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Das komische und ärgerliche Schauspiel der Verhandlungen um das Fürstenkompromiß geht zu Ende. Hätte einer der Herren des Reichskabinetts und der Fraktionszimmer nur etwas Instinkt für das Empfinden des Volkes bewahrt: diese Beratungen, die die Armut der Massen höhnten und das Parlament lächerlich machten, hätten abgebrochen werden müssen, als unbezweifelbar wurde, daß Fürstenfreund und Volksfreund nicht in gemeinsame Beschlußfassung zu zwängen waren.
Der Kanzler Luther hat die Dinge schmählich treiben lassen. Als er mit seinem Kabinett sich hinter das Gutachten des Staatssekretärs Joël vom Reichsjustizministerium stellte, da hätte es bei solcher Auffassung der Regierung nur die eine Möglichkeit gegeben: sofortige Demission. Aber Herr Dr. Luther hoffte, einen Sturm durch Nichtbeachtung bewältigen zu können: die Sache wird sich schon totlaufen! Herr Dr. Luther, ein Politiker von Qualitäten, die grade der Gegner nicht verkleinern darf, beweist nur wieder, daß er außerhalb der traulichen Couloir-Ecken, wo widerspenstige Fraktionshäupter mit Zureden und Versprechen willig geplaudert werden, unbeholfen und begriffsstutzig bleibt. Eingefuchst auf Interessen und Launen der Berufspolitiker sieht er in einer Volksbewegung eine Größe, mit der nicht zu rechnen ist. Das feine Organ für den Mann auf der Straße, das in hohem Maße dem konservativen Baldwin eigen, fehlt dem einstigen liberalen Stadthaupt von Essen vollständig.
Der überraschende Ausgang des Volksbegehrens hatte eine klare Situation geschaffen. Bemühungen um ein »Kompromiß« waren danach nur denkbar zwischen den Anhängern der entschädigungslosen Enteignung und jenen Linksbürgerlichen, die grundsätzlich auch dafür waren, aber eine geringe Modifikation verlangten um ihrer Wähler willen, die bei dem Wort »Enteignung« sofort Bolschewismus wittern. Statt dessen vertrödelte der Rechtsausschuß Tag für Tag, Woche für Woche mit gänzlich unsinnigen Versuchen, die gemeinsame Plattform zu finden für Die, die den Fürsten Alles nehmen, und Die, die ihnen Alles zuschanzen möchten. Der einzig brauchbare Vorschlag kam von den Demokraten: an den Volksentscheid nämlich einen Zusatz zu koppeln, daß es den Landesregierungen überlassen bleibe, den Fürsten eine »angemessene Rente« zu gewähren. Ein Kautschukbegriff zwar, doch den Absichten des Volksentscheids sicherlich nicht widersprechend, ihn sogar durch Beschwichtigung mancher Ängste agitatorisch wirksamer machend. Aber statt auf solcher Grundlage zu beraten, betrachtete man die 12 1/2 Millionen Stimmen als quantité négligeable und verzettelte viele Tage mit Feilschen. Und wenn dem rührigen Herrn Everling ein Fürstenprofit abgerungen war, nahm Herr Wunderlich von der Deutschen Volkspartei den Posten wieder auf, und der Tanz begann von neuem. Bis schließlich selbst die kummergewohnten Deputierten dieses Ausschusses Furcht vor der Drehkrankheit packte und Alles still seitwärts in die Büsche schlich. Nicht ohne daß vorher ein Zentrumsmann sich eines ungewöhnlich infamen Pfaffengesabbers über die »neuerwachte Begehrlichkeit« der Massen entledigt hätte.
Wenn nach kleiner Verlegenheitspause das Ramschen jetzt auch noch einmal auflebt – das Eine steht doch fest: das Plebiszit kommt. Der Regierung und den Parteien ist die Initiative aus den Händen geglitten.
Der sozialdemokratische Sprecher Rosenfeld hat im Reichstag gesagt: »Es geht für die Herren von Rechts nicht um die Millionen, sondern um die Krone.« Das ist richtig. Es geht aber auch für die breiten Volksmassen um mehr als den Fürstenmammon. Was sich vorbereitet, das ist: eine volkstümliche Abrechnung mit jener schauderhaften Politikmacherei, wie sie sich in den Jahren des Pantoffelregiments der Fraktionsvorstände im Reichstag eingenistet hat. Das Volk steht gegen den Reichstag auf. Das Volk erhebt sich gegen eine Sorte Parlamentarismus, die sich immer wieder unfähig gezeigt hat zu auch nur einer einzigen gradegewachsenen Gesetzesarbeit. Dieser Parlamentarismus, der im Halbschlaf Militär-Etats und Millionen gegen das Volk bewilligt und Alles, was Armen und Entrechteten zukommen soll, bureaukratisch kompliziert und schließlich mit verfassungsmäßigen Bedenken abwürgt – dieser Parlamentarismus steht unterm Schwert. Und es ist eine hohe Gunst der Stunde, für die wir dankbar sein wollen, daß zum ersten Mal seit 1918 wieder, ohne Trübung und Verdickung durch Parteiphrasen, blank und scharf zwei Prinzipien sich gegenüberstehen. Wo gestern noch Kuhhandel war, wird morgen reinliche Abstimmung, Mann für Mann, entscheiden. Faule Parlamentsdemokratie ist in ihrer eignen Unfähigkeit erstickt; das Volk selbst muß die Idee der Demokratie wieder retten.
Es wird ein Ringen werden, so erbittert, wie es Deutschland noch nicht gesehen hat. Ein Gürtelkampf, nach dessen Beendigung der eine Fechter nicht so bald wieder aufstehen wird. Denn auch die Rechte wird mit allen, mit allen Mitteln arbeiten. Man glaube doch nicht, daß sie sich beschränken wird auf Sottisen wie die mit Wildenbruch-Pathos vorgetragene Hohenzollern-Rede des Grafen Westarp. Nein, in der Agitation nachher, da werden ganz andre Minen flattern. Auf die Regierungskrise, so heißt es schon heute, folgt die Präsidentenkrise. (»Der alte Herr kann doch nicht die Beraubung seines einstigen Kriegsherrn mit seiner Unterschrift legalisieren.«) Die Kirche wird ihren ganzen Einfluß bald spielen, bald wuchten lassen. Faulhaber und Doehring, Krummstab und Swastika werden Verbrüderung feiern.
Aber noch wird ein Weilchen weiter gepfuscht und an Versöhnungsmixturen gebraut. Bald wird das nur Episode sein, und wer dann ins Zimmer der Kompromißler tritt, der wird dort Alles so finden wie beim tölpelhaften Hexenmeister: Schwefelgestank und rötlicher Qualm und in der Ecke was mit verdrehtem Genick. Tatbestand: – vom Teufel geholt.
Ohne die gegenwärtige Krise, die alle Kräfte beschäftigt, wäre wohl auch dem Russen-Vertrag, dem »Berliner Vertrag«, nicht so unwidersprochen von allen Parteien das Visum erteilt worden. Der Kritiker befindet sich diesem Abkommen gegenüber in unangenehmer Lage. Er muß nicht nur den Ludergeruch des Antibolschewismus fürchten und die Gefahr, mit allerhand weißen Existenzen zusammengepfercht zu werden: auch die Vereinsamung angesichts einhelliger Zustimmung rundum wirkt für Augenblicke verwirrend. Aber welche kapitale Dummheit wäre seit 1914 nicht einstimmig gebilligt worden? Am giftigsten hat man immer um Drittrangiges gerauft.
Während in Berlin Kompromiß-Allotria weitergeht, bereitet sich in London, Paris und Brüssel der Feldzug gegen den Russen-Vertrag in kleinen journalistischen Patrouillengängen vor, und Jules Sauerwein, der schon klassische Avant-Gardist diplomatischer Unternehmungen, sendet den ersten Pfeil. Fama kündet bereits – vielleicht zu früh – eine französische Demarche an. Der Wortlaut des Vertrags selbst gibt zu Beanstandungen nicht allzu viel Anlaß: nichtssagend und weiten Raum lassend wie Alles aus Diplomaten-Werkstatt. Seine Existenz erregt mehr als sein Inhalt.
Litwinow als amtlicher Interpret der Russen hat aufs Lebhafteste die Existenz irgendwelcher Geheimklauseln bestritten. Das darf gern geglaubt werden; hat doch Stresemann selbst in dem Notenwechsel mit Krestinski alles etwa vermutete Drum und Dran überdeutlich aufgezeigt: »Sollten dagegen, was die Deutsche Regierung nicht annimmt, im Rahmen des Völkerbundes irgendwann etwa Bestrebungen hervortreten, die, im Widerspruch mit jener grundlegenden Friedensidee, einseitig gegen die Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken gerichtet wären, so würde Deutschland derartigen Bestrebungen mit allem Nachdruck entgegenwirken.« Damit wird der einzigartige Fall akut, daß eine Macht in den Völkerbund eintritt als Mandatsträgerin einer andern, die noch nicht drin ist und ihm im übrigen die unfreundlichste Gesinnung entgegenbringt. Damit ist aber auch Konflikten jeder Gattung, formalen wie bewußt provozierten, die Tür sperrangelweit geöffnet.
Zunächst hieß es: Wir gehen nach Genf, um die Rechte der vergewaltigten nationalen Minderheiten wahrzunehmen. Dann dehnte man das Patronat liebenswürdig auf Österreich aus. Jetzt wird, großartig genug, gleich die Patenschaft für den russischen Bären übernommen. Das ist etwas viel für Einen, der in eigner Sache nicht immer die glücklichste Figur gemacht hat.
Bleibt noch immer die Frage nach dem tiefern Sinn dieser Überbelastung für die deutschen Schultern. Doch nicht um den Kommunisten einen Gefallen zu tun? Die sprechen offen aus, daß sie Herrn Stresemann nicht recht übern Weg trauen (und geben damit nur die Meinung einflußreicher Moskauer Kreise wieder). Ja, wenn in diesem Vertrag nur eine Klausel über die Behandlung von Tschitscherins deutschen Genossen durch die deutsche Justiz wäre ... Mit wirklichem Behagen hat sich nur Graf Westarp in einer Ansprache an sein Kriegsvolk ausgelassen und angedeutet, daß ihm jetzt sogar Locarno appetitlicher vorkäme.
Der Verdacht, vor zwei Wochen hier geäußert, bestätigt sich. Um der Rechten die Regierungspolitik wieder möglich zu machen, hat man die Brücke nach dem Osten geschlagen. Aber sie reicht nur bis zum deutschnationalen Parteibureau.
Die Weltbühne, 4. Mai 1926