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Der stille Mann in der Bendlerstraße

Seitdem Herr Dr. Geßler sich dazu hinreißen ließ, gegen einen unbequemen Enthüller polemische Formen zu gebrauchen, die ihm das Beifallsgebrüll des antisemitischen Stehparterres sicherten, hat der sonst so Beredte völlig die Sprache verloren. Vergebens wartet man auf eine amtliche Erklärung zu den Fememorden, auf eine Rechtfertigung im Fall Rupprecht. Gelegentliche Verlautbarungen aus dem Reichswehrministerium bekunden, daß dessen Oberhaupt noch am Leben. So weiß man jetzt, daß der Versuch unternommen wurde, den Richter Freymuth, den tapferen Kämpfer für Fechenbach, als Landesverräter zu denunzieren, daß der Journalist Wandt als »Hochverräter« weiter im Zuchthaus schmachten muß, weil das Wehrministerium die Auslieferung der Akten verschleppt.

Wer durch all die Jahre das Wirken Herrn Geßler[s] verfolgte und bekämpfte, wird angesichts seiner Selbstentlarvung im Fall Emil Ludwig nicht überrascht sein, sondern nur mit einer gewissen melancholischen Genugtuung empfinden, daß der Tatbestand eigentlich viel schlimmer. Man wußte es längst: die Republik reicht nur bis zur Bendlerstraße. Dort in Geßlers Ressort mit seinen schwarzen Filialen hat man ganz andere Sorgen.

Was tut Herr Geßler jetzt? Wartet er ab, um sich im Notfall wieder von seinen Offizieren seine Unentbehrlichkeit bescheinigen zu lassen? Und wie stellen sich die Parteien zu ihm, die nicht so fest wie er durchdrungen sind, daß Bayern wieder einen König braucht?

Die Situation ist unhaltbar. Bald muß es sich erweisen, ob Herr Geßler ein parlamentarischer Minister ist, wie seine Kollegen auch, oder ein unausrottbares Übel, wie eine Schicksalsfügung zu ertragen.

Notabene, wie lange wird es dauern, und er hat sich davon überzeugt, daß auch die Preußen einen König nötig haben ...

Montag Morgen, 23. November 1925


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