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Ehrhardt, Hugenberg, Severing

Kapitän Ehrhardt reist im Lande herum als Propagandist für die geeinte Rechte. Die deutschnationalen Führer sind nicht besonders entzückt davon. Einstweilen wird geplänkelt. Schon hat ein völkisches Akademikerblättchen ausgepackt, daß Westarp sich entschlossen habe, Stresemanns Außenpolitik zu schlucken; selbstverständlich werden dabei für die nationale Opposition ein paar Ministersessel abfallen. Das hat die Vaterländischen verstimmt. In Wahrheit liegt der Konflikt tiefer. Es handelt sich darum, unter wessen Zeichen sich die kommende Neugruppierung auf der Rechten vollziehen soll. Wer soll die Führung haben: die Parteihäupter oder die Bandenchefs? Zum Schießen war Ehrhardt gut genug. Aber der neue Ehrhardt, der nach politischen Lorbeeren schielt und versichert, daß der Kampf in Zukunft nur noch im Parlament entschieden werden könne und nicht durch einen Schuß aus der Hecke – der wird weit weniger geschätzt. Die Kreaturen machen sich selbständig. Wer wird das Roß sein, wer der Reiter?

 

Freilich wird die Entscheidung weder bei Westarp noch bei Ehrhardt liegen, sondern bei Hugenberg. In solchen Situationen pflegt der Säckelmeister den Ausschlag zu geben.

Man hat in den Blättern der Linken viel über den Mann orakelt, hat fanatischen Haß, dämonische Triebkräfte hinter seiner gleichgültigen Bürgermaske gesucht. Man übersieht bei dem Rätselraten, daß Herr Alfred Hugenberg heute vornehmlich Zeitungsverleger ist, der viel Geld in sein Unternehmen gesteckt hat und ebenso in die politischen Verbände, die ziemlich auf derselben Ebene wimmeln wie seine Blätter. Hugo Stinnes gründete sein Reich auf Kohle und Eisen: Hugenberg baut auf Zeitungspapier. Stinnes kaufte Blätter, um sie seinen Interessen entsprechend zu modeln. Hugenberg sicherte sich den Geist, den er begreift: den Lokalanzeiger, und änderte gar nichts daran. Während der ruhelose Raffer Stinnes sich in Spekulationen verlor, die schließlich den gehäuften Schatz wieder fraßen, hat der Käufer des Lokalanzeigers etwas viel Ausbeutungsfähigeres erworben: die deutsche Dummheit. Deren Bedürfnissen entspricht die Richtung des Lokalanzeigers, entspricht die Politik Hugenbergs.

Wäre dieser Mann zufällig auch noch von Dämonen besessen: es gäbe heute keine deutsche Republik mehr. Ein gnädiges Schicksal will, daß Herr Hugenberg nur ein dürres, phantasieloses Köpfchen ist, Prototyp des alldeutschen Spießers, der den Radau des Radaus wegen liebt. Das kindliche Techtelmechtel mit Moskau, von dem Marauhn und Rechberg zu berichten wissen, entstammt ganz und gar demselben weltpolitisch gefärbten Schwachsinn, der im Kriege Vernichtung der Vereinigten Staaten durch Mexiko erhofft hat. Herr Hugenberg mag durch seine gigantischen Mittel gefährlich werden – er selbst bleibt immer der Herr Generaldirektor aus der Industrie, wie wir ihn bei tausend Gelegenheiten kennen gelernt haben: technisch und kaufmännisch geschult und tüchtig, politisch ein Analphabet, vollpfropft mit Vorurteilen unausgekochter Herrengefühle.

Wir kennen seinen flachen Konservativismus, seine entfesselte Rückständigkeit – aber wissen wir wirklich um seine Pläne? Die sollen ja fast bis ans Blau des Himmels sich türmen. Wenn ein verrückt gewordener Enthusiast wie Léon Daudet heute in Frankreich plötzlich die Oberhand gewänne, so wäre die Wiederherstellung der Monarchie sicherlich eine Frage von Stunden. Aber würde ein Hugenberg als Herr des Staates etwa den Vertrag von Versailles zerfetzen, den Dawes-Pakt kündigen, das Locarno-Papier mit Hohngelächter nach Paris und London zurückschicken? Würde er seinen Hussong diplomatische Noten schreiben lassen? Seinen Breslauer zum Gesandten in Warschau ernennen, damit die Polen endlich zu sehen bekommen, was ein echter deutscher Mann ist?

Gewiß: er ist mit Herrn Claß befreundet, dem Gewohnheits-Konspirator. Aber Herr Claß ist Politiker auf eigne Faust, Hugenberg dagegen mit allen seinen pangermanistischen Wallungen ein guter Industriepapa, ein Großverdiener, der zunächst und vor Allem für seine Familie sorgt. Er würde Das, was mit Kohle und Eisen Geschäfte macht, kräftig fördern, auch die befreundeten Agrarier nicht hungern lassen, die Sozialpolitik weiter verkümmern lassen und die Unabhängigkeit der Justiz peinlichst achten. Er würde also durchaus nichts Andres tun als Stresemann und Marx und Külz. Er würde Die zur bessern Deutlichmachung des Umschwungs zwar in Pension schicken, aber Herrn Geßler schon mit freundlichem Händedruck übernehmen. Wo ist da, sehen wir von allem durch die Parteiraison gebotenen Geschrei ab, der große Unterschied? Wo ist die tiefe, tiefe Kluft, die Hugenbergs Lager von Stresemanns Lager trennt, in dem ja auch die Herren um Koch gastieren? Die Wirkung ist auf jeden Fall die gleiche: der festgefügte Bürgerstaat mit der Vorherrschaft der Besitzenden.

Die demokratische Presse macht einen Fehler: sie vergrößert den Gegner zum Titanen, um die eignen Mängel und Sünden kleiner erscheinen zu lassen. Die Demokraten, die im Lauf der Jahre so oft Gefahren übersehen und Warnungen in den Wind geschlagen haben, sind übernervös geworden. Deshalb die Furcht vor Hugenberg. Aber der Schatten ist schrecklicher als der Mann.

 

Hugenbergs Blätter, so wird berichtet, rüsten zu einem neuen großen Stoß gegen Severing. Der preußische Innenminister war bisher nicht zu erledigen gewesen. Nun soll es mit einer Korruptions-Campagne versucht werden. Die Enthüllung eines Panamas wird angekündigt. So wurde auch Erzberger von Helfferich zur Strecke gebracht.

Severing ist so etwas wie das Symbol republikanischer Wehrhaftigkeit geworden. Aber auch hier ist der Schatten gewaltiger als der Mann. Er ist nicht so furchtbar, wie ihn seine Feinde, nicht ganz so heroisch, wie ihn seine Freunde machen. Ein unendlich fleißiger Mann, nicht ohne schnelle Entschlußkraft (die er zuletzt in der Magdeburger Affäre bewies), aber oft auch berauscht von seiner Energie, dann in Noske-Pose verfallend und allzu sehr geneigt, als Staatsretter zu paradieren. Die Wahrheit: der einzige Minister aus der Sozialdemokratie, dem die Macht nicht einfach unter den Händen zerronnen ist. Ein Mann, der viel geleistet hat und trotzdem immer das Letzte schuldig geblieben ist. Er hat sich gegen Cuno und Geßler erhoben, das ist wahr und soll ihm nicht vergessen werden, aber der gewissenhafte Chronist sucht vergeblich das Ende solcher tapfer begonnenen Aktionen. Er notiert: abgebrochen in der Mitte. Severing ist der Held unentschiedener Schlachten.

Und trotzdem weiß die Reaktion, was sie tut, wenn sie ihre Kräfte gegen diesen Mann konzentriert und ihn, den Besonnenen, zu einem legendären roten Beelzebub aufschwindelt. Denn so angestrengt man auch das Plattland der Sozialdemokratie überschauen mag: nirgends ist Einer zu sehen, der ihn ersetzen könnte. Das Problem Severing liegt außerhalb der Person: es liegt in dem Mangel an Nachwuchs in der offiziellen Sozialdemokratie.

 

Übrigens macht der Plan den Schmutzstrategen in der Zimmer-Straße alle Ehre: Severing ist heute nicht mehr wie früher im Besitz einer festen Gesundheit. Das ist offenes Geheimnis. Vielleicht genügt nur ein kleiner Stoß, und seine Nerven geben nach, und er wirft, übersatt der Kränkungen, sein Amt hin. Dann fiele der Rücktritt des leidenden Mannes zusammen mit den Höhepunkten der Enthüllungs-Offensive. Man kann sich ohne Mühe diesen Triumph ausmalen.

Die Rechte versichert, heute über die Ära des Putschismus hinaus zu sein. Selbst der alte Landsknecht Ehrhardt behauptet, sich zu den Mitteln der Politik bekehrt zu haben. Kampf mit geistigen Waffen also!

Aber wenn die Verleumdung Severings die erste Probe aufs Exempel der neuen Taktik sein soll, dann erscheinen uns die alten Waffen sauberer. Neben dem Tintenfaß des Hugenberg-Redakteurs wirkt Tillessens Revolver beinahe chevaleresk.

Die Weltbühne, 24. August 1926


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