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1926

606

Fechenbach-Museum

Man hat ein paar Jahre um Felix Fechenbach gekämpft. An Hand von gekürzten Zeitungsberichten, von Darstellungen der Verteidiger, die durch ihre Schweigepflicht gebunden, Wichtiges nicht sagen konnten, so führten wir die Kampagne, mangelhaft informiert, fast mehr dem Gefühl folgend, daß das Recht gebrochen, als um Einzelheiten wissend. Erst heute, nachdem das Buch »Recht und Politik im Fall Fechenbach« von P. Dreyfus und Paul Mayer (Ernst Rowohlt Verlag) erschienen ist, liegt alles in voller Klarheit vor uns. Da erfährt man mit mustergültiger Akribie, gestützt durch überreiches, von zwei konstruktiven Köpfen glänzend gegliedertes politisches und juristisches Material, was damals, im Oktober 1922, in München im Namen der Justiz angerichtet wurde.

Vor einem Jahr gerade wurde Fechenbach auf freien Fuß gesetzt. Die aktuelle Erregung des einen Falles verdampfte, der Zustand, aus dem er wuchs, blieb. Die »Gnade« konnte ein Akt der Scham sein, ein Säuberungsversuch der befleckten Justiz; leider waren nicht moralische, sondern rein politische Zweckmäßigkeitserwägungen dabei maßgebend. Deshalb wirkt das Buch auch nicht überholt, es bringt, von einer überquellenden sachlichen Fülle abgesehen, eine unerhört vollkommene Porträtgalerie aller Beteiligten, es ist so etwas wie ein Baedecker durch die Dschungeln der neubayrischen Physiognomie, die uns ja so fremd geworden ist. Da sind sie alle, die Richter, die Sachverständigen, die Zeugen, sie alle, die wir kennen, die verknüpft sind mit zwei Gerichtsfällen, die die Justiz in ihrer tiefsten Erniedrigung zeigen als beamtete Vollstreckerin künstlich gemachten Gassenradaus. Namen erhalten plötzlich Gesichter, Konturen Farbe, flüchtige Skizzen lebendige Rundung. Einige Personen und Episoden sind es, die sich dem Gedächtnis unauslöschlich einprägen. Wir versuchen es, sie nachzuzeichnen. Zunächst ein ganz kleiner, aber ungemein aufschlußreicher Zwischenfall. Februar 1919. Eisner auf der Straße niedergeschossen. Fechenbach, der Sekretär, war neben ihm, hat mit dem Mörder gerungen. Bringt als erster die Kunde in den Landtag. Herr von Frauendorffer, der Verkehrsminister, schreit ihn an: »Nehmen Sie erst mal gefälligst den Hut ab!« Das nennt man Haltung, nicht wahr? (Und drei Jahre später war Frauendorffer selber ein von der royalistischen Meute zu Tode gehetzter Mann.)

Aber zwei Figuren sind es vor allem, die den Fall Fechenbach beherrschen. Zwei viel genannte Männer. Doch wer kennt sie, weiß von ihnen?

Der eine ist Herr Coßmann, der Dolchstoßmann und Schuldlüge-Spezialist. Herr Paul Nikolaus Coßmann gehört zu jenen fatalen Mitbürgern jüdischer Konfession, deren kokett getragenes teutonisches Bärenfell den Kaftan der Väter vergessen machen soll. Herrn Coßmanns Sehnsucht wurde erfüllt, er darf in der alldeutschen Tafelrunde aus dem Methorn nippen, wenngleich man es auch ihm manchmal zu verstehen gibt, daß er schließlich an der deutschen Eiche doch nur ein Pfropfreis vom Libanon ist. Coßmanns Stärke ist seine Gedächtnisschwäche. Deshalb pflegt er bei wichtigen Unterhaltungen Protokolle aufzunehmen. Ein solches Protokoll wurde 1916 seinem Freund Veit Valentin zum Verderben. Der junge Freiburger Professor, damals im Auswärtigen Amt tätig, schüttete ihm sein Herz über Bethmann und Tirpitz aus. Herr Coßmann aber protokollierte ...und infamierte den vertrauensvollen Freund öffentlich. Der wurde schimpflich von der Hochschule gejagt. So rettete Coßmann das Vaterland. Auch an der Wiege der beiden Fechenbach-Prozesse, wenn man so sagen darf, steht ein von Herrn Coßmann gründlich mißverstandenes Telephongespräch. Dann verschwand er für ein Weilchen, aber man spürte seine regiegeübte Hand hinter den Kulissen. Wahrscheinlich hat er die für das Landesverratsverfahren notwendigen Dokumente von Fechenbachs geschiedener Frau, einer rachedürstenden Hysterica, erhalten. Ein taktvolles Gericht ersparte es dem verdienten Patrioten, sich öffentlich zur Urheberschaft zu bekennen. Seitdem widmete er sich ausschließlich seiner alten Schwäche für Dolchstöße. »Dein Register hat ein Loch«, sagt Spiegelberg, »Du hast das Gift weggelassen ...«

Das ist Herr Coßmann. Der andere ist der Richter Haß. Trotz Thimmes und Freymuths Bekundung: wir glaubten niemals so recht an ihn. Wir waren verleitet durch seinen Namen ihn für eine allegorische Figur zu nehmen, für ein Fabelwesen wie den Erlkönig oder den Vogel Rohk. Nein, er lebt wirklich. Dank unsern Autoren, die fühlbare Proben seines Seins geben.

Herr Haß hatte ein bestimmendes Erlebnis: er saß im Kriege in Berlin bei der Spionage-Abwehr. Da bereitete er sich für sein kommendes hohes Amt als Präsident eines Münchener Volksgerichtes vor. Als Jurist gibt er wahrscheinlich nicht viel her, aber seine Berliner Tätigkeit machte ihn zu einer schneidig funktionierenden Fußangel, zu einem todsicher zuschnappenden Fangeisen. Aber solcher Richter gibt es leider nicht wenige, sie fühlen sich mehr als Vollstrecker, denn als Rechtsprecher. Herr Haß erhält persönliches Kolorit erst durch einen tiefverwurzelten Hang zu stammeseigentümlicher Bierphilosophie. Wer wußte eigentlich davon? Wir hielten ihn für einen fahlen, hageren Torquemada. Ja, wenn man es so mystisch ausdrücken darf, Herr Haß hat immer einen unsichtbaren Biertisch vor sich. Auch im Gerichtssaal. Und die strenge Justitia thront vor ihm auf einem Matthäser-Faß, dem Gerechten einen schäumenden Maßkrug kredenzend, den Schuldigen mit einem scharfgeschliffenen Radi niederschmetternd. Wahrscheinlich gab es niemals einen redeseligeren Richter. Seine Stimme dröhnt alles nieder, was sich ihm entgegenstellt, und die Logik, eine spinöse Dame von altjüngferlicher Zimperlichkeit, kuscht sich vor diesem warmen Bräukellerorden entsetzt in die Ecke. Seine Beredsamkeit macht den wetterfesten Spionage-Abwehrer fast zum Dichter. Der Angeklagte Gargas hat einen informierenden Bericht über die antisemitischen Hetzereien im Alpenverein ins Ausland gesandt. Und aus der Haß-Posaune dringen mächtige Töne: »Das Einzige, was uns der Friede von Versailles noch gelassen hat, sind Licht und Luft und unsere deutschen Berge, die uns niemand rauben kann. Und da kommt so ein Pole daher ...« Ja, da kommt so ein Pole daher ...

Was man aber als Journalist überhaupt ins Ausland geben darf, das definiert, nein rhapsodiert, der Jurist Haß also: »Zwei gesunde Augen im Kopf und das deutsche Herz am rechten Fleck, und man weiß, was man dem Auslande mitteilen kann.«

Soviel Lyrik hätte niemand von Herrn Haß erwartet. Denn immerhin verhängte dieser schlichte Sänger um Bagatellen 10 und 12 Jahre Zuchthaus. Doch wer kann nun mal als Bajuvare den freundlichen Regungen eines biergesättigten Heimatgefühles widerstehen? Mild faßt der königlich bayerische Wind in die Saiten, zur Äolsharfe wird das Galgenholz.

Das Tage-Buch, 2. Januar 1926


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