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Der Baron Berger

In diesen Tagen feierte das Hamburger Schauspielhaus seinen 25. Geburtstag. Berliner Kritiker, die zum Fest herbeigefahren kamen, schrieben nachher sichtlich enttäuscht, klagten, Schauspielkunst von vorgestern gefunden zu haben, leeren Pomp der Sprache und Gebärde, mit einem Wort: – Hoftheater.

Dabei war die Gründung dieser Bühne um die Jahrhundertwende eine mutige, rebellische Tat. Ihre kurze Blüte und rapider Verfall ist verknüpft mit dem Namen des Barons Alfred von Berger, dem wieder dieses Hamburger Theater zum Schicksal wurde. Das Fatum hat sich mit ihm seltsame Umwege erlaubt: er wurde in Hamburg Theaterdirektor, um die Wiener Hofburg zu erobern. Der heutigen Generation dürfte der eigenartige Mann völlig entschwunden sein. Ein paar Novellen von ihm reichen vielleicht über den Tag hinaus.

Es war ein großes Erstaunen in Hamburg, als sich ihnen der neue Theatermann präsentierte: ein Wiener Literaturprofessor, bisher Sekretär des Burgtheaters, dazu Gatte einer gefeierten Schauspielerin, der ewigen Naiven dieses ehrwürdigen Instituts. So, wie sich die guten Hanseaten einen Professor vorstellten, sah der fremde Herr allerdings nicht aus. Eine ungeschlachte Cyklopengestalt mit einer unglaublich dicknasigen Nilpferd-Physiognomie. (»Bin ich wirklich so häßlich?«, soll er zu Liebermann gesagt haben, als er sein Porträt betrachtete.) In diesem Hünen aber wohnte ein graziöser, südlich-lebendiger, komödiantisch vagabundierender Geist. Diese Hände, die eines Preisringers, waren nicht gewohnt zu kämpfen, sondern diplomatisch zu glätten, genießerisch zu liebkosen. Das Seltsame geschah: der Wiener Improvisator eroberte Hamburg kampflos, nein, er verführte, behexte es.

Sicherlich war er ein Nachfahre der großen Theaterdespoten, der Laube und Dingelstedt, die gleich ihm von der Literatur herübergeweht kamen, aber was ihn unterschied von diesen, war der Mangel an Arbeitsernst, die Geneigtheit zu allen und jeden Konzessionen. Er schmeichelte den Konservativen mit breiten, gewichtigen Klassikeraufführungen, den Jungen mit Ibsen und Hauptmann, dem großen Publikum mit jedem neuen Blumenthal, mit Aufführungen von »Alt-Heidelberg«; mit dem Neuengagement anmutiger Aktricengesichter hielt er den Aufsichtsrat bei Laune ... Er war ein Teufelskerl. Niemals ist einem künstlerischen Menschen das greuliche Hamburger Klima leichter geworden. Er war der populärste Mann. Er macht mit einer Berührung das essigsaure Patriziat zuckersüß, Wilhelm II. favorisierte ihn, aber auch die roten Gewerkschaften feierten ihn als einen mutigen Kämpfer der Aufklärung gegen künstlerische und geistige Reaktion. Wahrscheinlich hatten sie alle recht.

Prestigiateur? Fragt man sich heute nach dem Warum dieses Erfolges, wird die Antwort ziemlich schwer. Mit scharmanter Beredsamkeit, gesellschaftlichem Tausendkünstlertum läßt sich schließlich zehn Jahre ein Salon beherrschen, aber nicht eine Stadt, und was für eine Stadt! Wahrscheinlich erklärt sich das alles nur aus den Hamburger Theaterverhältnissen, wie er sie vorfand und die allerdings ins Aschgraue gingen. Als Regisseur brachte er nur mit, was er an der Wiener Hofburg gesehen hatte, was in den großen Tagen Brahms, in Reinhardts Werdejahren bereits ein Stück glänzende Vergangenheit wurde. Vergangenheit, ja, aber den Glanz, den wußte er zu bannen und mit dem natürlichen Genie eines geborenen Hexenmeisters auf neuem Grunde neu strahlen zu lassen. Und wenn das alles auch nur farbiger Abglanz war, er war in Hamburg der nach Thule verschlagene Phäake, der die anmutigen Künste des Südens lehrte. Wenn sein dekoratives Talent Makartstil war, vor ihm hatte, um im Bilde zu bleiben, tristester Piloty geherrscht. Er brachte die Freude an der Farbe ins Theater, den bunten, lustigen Aufzug, er machte aus jeder Neuaufführung ein Fest mit leuchtenden, lachenden Hintergründen. Wenn das alles auch nur Kulissenzauber war, schnell verblassend, die biedern Hanseaten, die mit der Ziehharmonika groß geworden waren, lernten von ihm die Flötentöne. (Im Thaliatheater begann um 1905 ein junger Regisseur, Leopold Jessner, Ibsen zu spielen. Ganz schlicht und innerlich, wie man so etwas bei Otto Brahm machte.)

Alfred von Bergers Ausgang ist nicht ohne Tragik. Hamburg war ihm immer nur Zwischenstation gewesen, die Probeleistung, sein Ziel war die Hofburg. Bei jeder Schlenther-Krise wurde sein Name genannt. Die Jahre gingen, er wurde nervös, zehrte sich im Warten auf, kümmerte sich weniger und weniger um seine Direktorenpflichten. Unter seinen Augen entwickelte sich ein munterer Schlendrian. Schließlich kam die große Stunde, aber ein kranker Mann ging an ein krankes Institut. Er hatte die Wiener Künste nach Hamburg gebracht und prosperiert, aber was er nach Wien brachte, das waren schließlich nur die Hamburger Künste. Und das war für 1910 zu wenig. Der alte Zauberer mochte die Magie entweichen fühlen, er wurde matt, er erlaubte der Krankheit, die jahrelang an ihm gefressen, die er mit ungeheurer Anstrengung zurückgedrängt, Fortschritte zu machen. Eines Tages legte er sich hin und starb schnell.

In der Hamburger Galerie hängt sein Bild von Liebermann. Da sitzt er vornübergeneigt, breitschultrig, schmerbäuchig, dicklippig, die Nilpferdnase phantastisch häßlich, eine Zigarre in den Fingern zerknautschend. Wie vital wirkt das alles. Seltsam, daß nicht nur dieser überlebendige Mensch dahin ist, sondern auch sein Theater müde, grau und verstaubt daliegt, wie ein einstmals leuchtender Makart, den man zusammengerollt ins Magazin geschoben hat. Ja, sein Schauspielhaus ist ein Theater der Alten für die Alten geworden. Spielt nicht in Hauptmanns »Veland« ein Nestor der Schauspielkunst den blutjungen Hirten? Nichts ist von Alfred von Berger jung geblieben als sein Bild.

Wer aber seine Blütezeit erlebte, wird gern Zeugnis ablegen, daß er für ein paar Jahre eine hoffnungslos unmusische Stadt froher und festlicher gemacht hat.

Das Tage-Buch. 26. September 1925


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