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Hannover hat seit ein paar Tagen seinen Hochschulskandal. Der Werwolf Haarmann, im vorigen Jahr Sensationsstoff dieser alten, halb welfisch, halb preußisch vermiekerten Beamtenstadt, ist nicht mehr. Mit wehenden Fahnen, die Zähne gebleckt, sind die nationalen Wehrwölfe auf den Plan getreten. Ihr Angriffsobjekt ist der Professor Theodor Lessing, seit 20 Jahren Dozent an der Technischen Hochschule, ein Gelehrter von umfassendem und überfachlichem Wissen, ein Schriftsteller von Unabhängigkeit und eigener Prägung.
Klebt an dem erlauchten Namen Lessing etwas Suspektes? Gotthold Ephraim hatte es mit den evangelischen Orthodoxen zu tun. Theodor erregte im Haarmann-Prozeß die Erbitterung der juristischen Rechtgläubigkeit und wird jetzt zum Zielpunkt des Kesseltreibens der nationalen Orthodoxie.
Theodor Lessing hat am 25. April, also noch vor der Wahl, im »Prager Tagblatt« einen Artikel über Hindenburg veröffentlicht. Keinen Wahlkampf-Artikel. Eine scharfe psychologische Studie, in menschlich liebenswürdiger Form, was durch einige ironisch flackernde Lichter nicht beeinträchtigt, eher verdeutlicht wird. Kein regulärer Zeitungsartikel. Eher die Abhandlung eines Philosophen, den an den Männern der politischen Bühne allgemein Menschliches in individueller Ausprägung weit mehr interessiert, als ihr Programm. Im ganzen Wahlkampf ist kein höflicherer Artikel geschrieben worden.
Vierzehn Tage nach der Wahl aber wird dieser Artikel zum Anlaß genommen, um die Entfernung Lessings von seinem Lehramt zu fordern. Rektor, Senat und Studentenschaft spielen sich gegenseitig in die Hände. Vom Kultusministerium wird die Absetzung Lessings verlangt. In einer Beratung hinter verschlossenen Türen erklärt der Vertreter des Rektors, wenn das Ministerium nicht handle, so handle er »von sich aus«.
Soweit das akademische Hochgericht. Dann zeigen sich die ersten Folgen des Bannspruches. Nächtliche Katzenmusik vor dem Hause des Verfemten, Familienmitglieder werden tätlich bedroht. Das Bestiarium der nationalistischen Presse wird lebendig. Zuerst trompetete der große Kriegselefant, der »Hannoversche Kurier« los; das ist das Signal auch für die allerkleinsten vaterländischen Schakale und Hyänen. Dann die lieben Kollegen! In der »Niederdeutschen Zeitung« lebt sich ein sicherer Müller aus, Privatdozent. Dieses akademische Stück Unglück wagt es, Lessing den wissenschaftlichen Charakter abzusprechen, faselt von »geistiger Onanie« und »philosophischem Bolschewismus«, nennt das »Prager Tagblatt«, das Organ des liberal-demokratischen Deutschtums in Böhmen! eine »deutschfeindliche tschechische Zeitung«. Warum schreibt der Mann? Will er durch sein Beispiel demonstrieren, was sich an unseren Hochschulen dozierend herumdrücken darf?
Der Fall Lessing, richtiger der Fall Technische Hochschule, hat zwei Seiten. Die eine geht den demokratischen Unterrichtsminister an, der hoffentlich knochenhart genug sein wird, die akademische Freiheit zu wahren und den Herrn stellvertretenden Rektor, den es gelüstet, »von sich aus zu handeln«, bei den stoßbereiten völkischen Büffelhörnern zu packen. Die andere Seite ist wichtiger und prinzipieller. Es heißt, rechtzeitig den Anfängen einer neuen Hochkonjunktur von Majestätsbeleidigungsprozessen zu widerstreben.
Schon jetzt fordern Blätter, die den ersten Präsidenten in den Tod gehetzt haben und sich vor Wonne kugelten, wenn eine Beleidigung Eberts mit 50 Mark »gesühnt« wurde, eine straffe Justiz zum Schutze des Reichsoberhauptes. Die demokratische Presse hat vom Augenblick der Tatsache des Rechtssieges an in musterhafter Weise in Hindenburg nicht mehr den Kandidaten der Gegenpartei erblickt, sondern das von der Mehrheit des Volkes gewählte Oberhaupt der Deutschen Republik. Wenn von der Rechten jetzt scharfe Maßnahmen gefordert werden, wenn als erster Theodor Lessings Kopf fallen soll, und noch dazu wegen eines Artikels aus der Wahlzeit, so hat das nichts zu tun mit dem sehr berechtigten Verlangen, den Reichspräsidenten besser als bisher gegen Verleumdung und Besudelung zu schützen. Es steckt dahinter der Versuch, unbequeme Kritiker und Bekämpfer eines sinnlosen Heroenkultes zu treffen, es ist ein Attentat zur Unschädlichmachung von Republikanern, die in der Republik allzuviel Monarchistisches finden. Nichts hat die Zeit Bismarcks und Wilhelms odioser gemacht als die läppischen Majestätsbeleidigungsprozesse, die nur ein Mittel waren zur Niederknittelung der Opposition.
Die ersten Kundgebungen des neuen Reichspräsidenten haben in ihrer sympathischen väterlichen Sprache beruhigend gewirkt. Eine Ära von Hindenburg-Majestätsbeleidigungs-Prozessen dagegen würde augenblicklich eine Differenz zwischen Wort und Praxis offenbar werden lassen und das Zeichen zu neuem innerpolitischem Kampf von unerhörter Gehässigkeit werden.
Der Kampf um Lessing kann die erste Probe aufs Exempel sein. Die Orthodoxen aber sollten rechtzeitig begreifen, daß mit diesem Namen kein Ruhm für sie verknüpft ist.