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Berlin, 22. März.
Zwischen 11 und ½ 12 zieht der »Stahlhelm«, Stresemanns wilde, verwegene Jagd in langen Kolonnen durch die Bülowstraße, mit klingendem Spiel und herausforderndem Fahnenprunk. Dennoch will sich der Riesenraum des Sportpalastes nicht füllen. Obgleich immer neue Züge von Stahlhelmleuten und Nationalsozialisten militärisch gegliedert einmarschieren. Lange Stuhlreihen bleiben völlig leer. Ebenso sind auf den Rängen kaum die vordersten Reihen besetzt. Die Linksparteien haben den Sportpalast schon viel gründlicher okkupiert. Wer sich nicht von der üppig gespendeten, trommelfellerschütternden Militärmusik berauschen läßt, hat das Gefühl: eine Niete! Erschienen sind die Jünglinge von den vaterländischen Verbänden, korporativ eingeführte, »nationale« Arbeitervereine, kurzum – Comparserie, die auf Befehl »Hoch!« und »Nieder!« und »Rhabarber« schreit und ebenso sektionsweise nächsten Sonntag im Wahllokal anmarschieren wird. Der sogenannte gute Bürger, an den sich ja die Kandidatur Jarres zunächst wendet, ist zu Hause geblieben.
Aber ein seltsames Bild ist es doch, diese vielen jungen Menschen, die in roten, verarbeiteten Händen, in breiten oder hagerknochigen Gesichtern den ewigen Stempel des Proletariats tragen, hier applaudieren zu sehen, wenn oben auf der Rostra unter Kriegsflaggen und Hakenkreuzfahnen einer mit rasselnder Offiziersstimme die Demokratie zum Teufel wünscht. Haben sie alle denn eine solche Sehnsucht nach der Kaserne, nach dem Dreiklassenwahlrecht ...?
Kandidat Jarres hat in seiner Programmrede in der Philharmonie an die bewußten und unterbewußten Ängste des braven Philisters appelliert. Ein Ordnungsmann durch und durch, dem Boden der Tatsachen durch Instinkt und Karriere vermählt. Das war der Text. Die Herren aber vom Reichsblock, vom Loebell-Ausschuß, die machen eine ganz andere Musik als der schlichte Philharmoniker aus dem bergischen Land, der der Republik nicht wehe tun will, wenn sie ihm nicht wehe tut. Vier Redner sprechen, vier Redner von verschiedenen politischen Gruppen, aber sie operieren alle gleichmäßig mit dem Barmat-Kutisker-Skandal. Ein Herr von den Vaterländischen Verbänden hat die Stirn zu fragen, warum die Sozialdemokraten
nicht statt Herrn Braun,
Herrn Barmat nominiert hätten,
und minutenlanger Jubel lohnt diese Unverschämtheit.
Ein deutschnationaler Herr v. Jäcklin beginnt mit einem Ausfall gegen den »Volksbeauftragten Ebert«, der keinen Auftrag vom Volke gehabt habe. Wir müßten endlich den höchsten Platz im Reich wieder mit »einem Deutschen« besetzen, nicht mit einem Internationalisten. Herr Jarres sei ein kerndeutscher Mann; man habe Frau Jarres ein abschreckendes jüdisches Äußere nachgesagt. Sie werde heute in Hamburg an ihres Gatten Seite erscheinen, um die Verleumder Lügen zu strafen. (Man hat so seine Sorgen.)
Auch Herr Pfarrer Luther von der Deutschen Volkspartei gibt sich Mühe, sich dem Niveau der Versammlung anzupassen. Er wettert gegen Zentrum und Sozialdemokraten, erzählt biographische Details von Herrn Dr. Jarres, die nur mäßig interessieren: die Windjacken legen sich in sanfte Schlummerfalten und geraten erst wieder in Ekstase, als der sanfte Volksparteiler
von »unserem geliebten Hohenzollernhause«
spricht. War Herr Pfarrer Luther nicht zu anderen Tagen der Einpeitscher der Großen Koalition in seinen Berliner Parteivereinen gewesen? U.A.w.g.!
Als letzter Redner mit Tusch und Heilrufen begrüßt, erscheint semmelblond und wohlgescheitelt, wie immer Herr Reinhold Wulle am Rednerpult. Er hat den Bogen ganz anders raus als sein pastoraler Vorredner. Er legt los mit einer kräftigen Verwünschung der Revolution. Jetzt müsse damit Schluß gemacht werden. Der Geist vom Kurfürstendamm müsse wieder abgelöst werden durch den Geist von Potsdam. Die Ehe der Völkischen mit Herrn Jarres sei keine Liebesehe (gewiß nicht, wo doch Herr Jarres die Kosten für das Beilager aufbringt), aber Karl Jarres sei ein deutscher Mann und
schwarz-weiß-rot bis auf die Knochen!
Ohne uns hier weiter für die kolorierte Anatomie des Herrn Jarres zu interessieren – Herr Wulle muß ja von der früheren Probeehe im Ruhrkrieg her das Objekt seiner Verstandesneigungen näher kennen –, es wäre viel netter gewesen, wenn der stimmgewaltige völkische Bratenbarde etwas über die Kandidatur Ludendorff gesagt hätte. Aber er schwieg darüber mit beachtlicher Energie.
Mit Musik und Fahnenschwenken endete das frohe Fest. Das Stimmvieh zog kolonnenweise ab, wie es gekommen. Brave dumme Jungen mit roten, unschuldigen Rekrutengesichtern unter dunklen Käppis nahmen die Knochen zusammen und riefen wie gewünscht »Hoch!« und »Nieder!« Herren mit Mensurnarben, Herren mit gelben Ledergamaschen und karierten Breeches kommandierten ...
Montag Morgen, 23. März 1925