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Der militarisierte Schlafwagen

Nach einer römischen Meldung erhielten die Angestellten sämtlicher internationalen Schlaf- und Speisewagen die Order, auf italienischem Boden nur noch auf faschistische Weise zu grüßen, d.h. durch Salutieren, ohne die Mütze abzunehmen oder zu berühren.

Das ist eine Neuerung, die viele Konsequenzen in sich bergen kann. Wir kennen ja den Schlafwagenkontrolleur als beliebte Figur französischer Schwanke. Auf Katzensohlen schleicht er an legalen und illegalen Pärchen vorüber, immer verbindlich, immer diskret lächelnd, und, wenn er schon stören muß, dann natürlich dienstlich, mit schuldbewußten Mundwinkeln und verständnisinnigem Blinzeln.

Dieser sanfte Mann soll jetzt in Italien mussolinisch werden. Noch auf Schweizer Territorium dezent, behutsam, wie stets, wird sich an der lombardischen Grenze sein Antlitz in eherne Falten legen, und wäre er auch aus Glauchau oder Groß-Salze, der Zoll wird den Erben latinischen Blutes, den in neuem Bewußtsein seiner Weltgeltung erwachten Enkel der römischen Wölfin verraten.

Natürlich werden auch die anderen Nationen nicht zurückstehen wollen. Woraus sich dann zwangsläufig die Militarisierung des Schlafwagens ergibt, in den verschiedenen Ländern je nach Brauch variierend. Schmetternde Clairons wecken in Frankreich den Schläfer. »Essen holen«, heißt es in Deutschland. Mit Blechnäpfen treten die Reisenden an. Der sonst so eilfertige Kellner steht als Küchenbulle am Kessel und teilt die Portionen mit der Miene der unnahbaren, durch Gefreitenknöpfe hinreichend legitimierten Gottheit aus. Wer sich aber endlich abends in Rußland müde in die Koje zurückgezogen hat, der irrt sich. Denn die Schlafwagenbeamten, die eben noch lettisches Militär markierten, stampfen, als Rotarmisten verkleidet, die Internationale singend, auf wuchtigen Sohlen durch den Korridor, zur Erhebung der Reisenden den Siegesmarsch der Arbeiterbataillone symbolisierend.

Montag Morgen, 1. Februar 1926


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