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PEN-Club in Berlin. So wäre denn in der Pfingstwoche der Geist gleich waggonweise eingezogen; und für einen Nachmittag hat er sogar einen Ausflug nach Potsdam gemacht. Sonst gabs Bankette, Besichtigungen, Empfänge und Reden. Immer wieder wurde betont, daß die Nationen doch einander näher kommen müßten und die Geistigen dazu der natürliche Vortrupp seien. Wir kennen Weise und Text. Wir freuen uns, Galsworthy und Jules Romains persönlich kennen gelernt zu haben. (Karin Michaelis, die auch dabei war, ist uns ja längst vertraut.) Das ist Alles sehr nett und wäre vor sechs Jahren wirklich eine große Tat gewesen. Heute riecht solche Art Völkerfrühling schon reichlich ranzig. Wie das gute Europäertum selbst ein herzlich ausgelatschter Begriff geworden ist, eine höfliche Unverbindlichkeit, die sich mit jedem nationalen Unfug vereinigen läßt. Der PEN-Kongreß war nicht Politik, sondern Society, unkämpferisch und risikolos. Nachdem die politischen Lenker in Locarno friedlich zusammen Kaffee getrunken haben, können auch die geistigen Wegbereiter an einer Tafel speisen, ohne sich in nationalen Fragen in die Wolle zu geraten. So weit wären wir wenigstens. Einige Anspruchsvolle bei uns haben die deutsche Repräsentation gerügt; auch daß die literarische Jugend völlig gefehlt habe. Es war vielleicht nicht sonderlich ehrerbietig, der ersten Garnitur der schreibenden Welt diesen Pickwick-Club, mit dem versierten Europäer Fulda an der Spitze, entgegenzustellen. Doch seien wir dankbar, daß für den deutschen Geist nicht grade Gustav Roethe oder der Münchner Akademiepräsident Pfeilschifter vorgeschickt wurde. Da hätte der PEN-Club gestaunt.
In Genf wird über Abrüstung geredet. Die Versuchung kitzelt, hinter diese oft vertagte, innerlich und äußerlich fragmentarische Veranstaltung einen ironischen Schnörkel zu setzen. Dennoch liegt eine gewisse Bedeutung darin: zum ersten Mal seit dem Haag nehmen in der Abrüstungsfrage die Offiziellen der Mächte wieder Tuchfühlung. Da beraten Delegierte mit gebundenen Mandaten, ohne Initiative, einzig mit dem Auftrag, Absichten und Wünsche der Andern abzutasten. Im Grund sind wohl alle Regierungen über das Stadium weg, wo Rüsten Spaß macht. Alle seufzen über die Irrsinnsziffern der Heeresbudgets. Aber keine ist zum ersten Sprung bereit. Und doch muß Einer den federnden Willen aufbringen, zu beginnen, den Mut, dabei vielleicht der Dumme zu sein. So, wie man in Genf eröffnete und fortfahren wird, schiebt bei Allen die Sorge, sich etwas zu vergeben, Formalitäten vor, in denen etwa vorhandene Energien ersticken. Nirgends pulst eine antreibende Kraft; sogar hinter Nikolaus II. stand ein leidenschaftlicher Pazifist wie Johann v. Bloch. In den Völkern besteht gegen die Abrüstungs-Konferenzen ein eingefleischtes Mißtrauen: man hat zu oft und immer vor den großen Katastrophen davon gesprochen. Verläuft sich auch dieser Genfer Versuch in eine Blamage, so wird ein verhängnisvoller Fatalismus die Folge sein. Jetzt hätten die Sozialisten und Pazifisten überall die Pflicht, ein knappes, deutliches Programm aufzustellen, das ein unverschleiertes Ziel gibt und den vieldeutigen Begriff Abrüstung aus dem Bereich der gehässigen wie empfehlenden Redensarten rückt. Dann würde auch ein Fiasko dieser Konferenz keinen Schaden anrichten.
England wird in Genf vertreten durch den konservativen Fortschrittler Robert Cecil, Frankreich durch den sozial-patriotischen Lyriker Paul-Boncour. Für Deutschland erscheint zum ersten Mal in diplomatischer Mission Graf Bernstorff wieder. Der galt immer als klug und über den Tag schauend, schickte von Washington warnende Signale nach Berlin, während die Tirpitze die ganze Welt herausforderten, und hätte sich sogar als echter Staatsmann bewähren können, wenn ihm nur gelungen wäre, seine Militär-Attachés an der Leine zu halten. Die Herren v. Papen und Boy-Ed haben in Amerika sein Werk zerstört und damit auch seinen eignen Ruf etwas angesengt. Ist ein übles Omen, daß Bernstorff in Genf gleich mit einer Koppel von sieben militärischen Sachverständigen einzieht? Der Eindruck: Deutschland sendet vier Zivilisten und sieben Militärs. Ein Einwand, der an den Grundbau dieser Konferenz rührt: was hat der Sachverstand der Militärs dort zu schaffen? Bei diesem ersten bescheidenen Versuch einer Aussprache handelt sichs doch wohl vornehmlich um Fragen politischer, ökonomischer und sozial-politischer Natur; erst wenn eine gemeinsame Plattform gefunden ist und über die Technik der Durchführung beraten wird, erst dann wird die Hinzuziehung von Spezialisten erforderlich. Jetzt kann man Tausend gegen Eins wetten, daß jeder der Herren seine Waffengattung frenetisch verteidigen wird, der Mariner seine Dreadnoughts, der Kavallerist seine Lanzenreiter. Der militärische Fachmann wird den Politiker erdrücken. Und was sollen gar diese großen Sieben in der Delegation eines Landes, das doch, wie versichert wird, vollständig entwaffnet ist? Bringen sie Vorbeugungsmaßnahmen mit gegen die Bildung schwarzer Kadres? Oder sollen sie ganz einfach aufpassen, daß die Zivilpersonen nicht pazifistisch über die Stränge schlagen? Wenigstens befindet sich unter ihnen auch ein Major von der Heeresstatistischen Abteilung, die ja nebenbei auch die Landesverratsverfahren zu verwalten hat. Das kann hübsch werden.
Die ungeheuern Schwierigkeiten des Abrüstungsproblems hat unter allen Genfer Rednern der belgische Vertreter de Brouckère wohl am schärfsten gekennzeichnet, als er auf die Beweglichkeit der Grenzen zwischen Kriegs- und Friedensmitteln verwies: ein ziviles Luftfahrzeug könne ja binnen wenigen Stunden in ein Instrument der Kriegsführung verwandelt werden. Hier an dieser Grenze lauern die ärgsten Fälle, hier wuchert Mißtrauen und Furcht vor »unsichtbaren Waffen«. Mit welchen Plänen geht Deutschland nach Genf? Graf Bernstorff hat bisher eine Rede gehalten – eine Rede in jener nichtssagenden Biegsamkeit, die man seit Locarno für »europäisch« hält. Interessanter als Das, was Bernstorff sagte, ist ohne Zweifel, was er als Richtlinie mitbekommen hat. Soeben ist eine Denkschrift der Deutschen Liga für Völkerbund erschienen, die eine Beantwortung der Fragen des Völkerbundrates enthält sowie einige »praktische Vorschläge«, in denen wir wohl die Meinung des Auswärtigen Amtes vermuten dürfen. Zu den Verfassern gehört neben dem unvermeidlichen Max Montgelas der frühere Staatssekretär v. Rheinbaben, Abgeordneter der Deutschen Volkspartei und Intimer von Stresemanns Außenpolitik. Wir haben es hier mit jenem Pazifismus zu tun, der so gern pazifistisch sein möchte, wenn nicht die Ketten von Versailles wären. So wird denn auch das deutsche Werbesystem und die in den besiegten Ländern durchgeführte Abrüstung glattweg verworfen. Dabei verläuft sich die sachlich maskierte Wut der Herren Verfasser in die seltsamsten Kleinlichkeiten:
»Die in den vier Staaten durchgeführte Art der Abrüstung ist jedoch nicht nur militärisch völlig verfehlt, sondern hat auch schwere wirtschaftliche Nachteile zur Folge. Die Zerstörung zahlreicher Fabriken, die Verstreuung von Maschinen über das ganze Land, das Niederreißen von Anlagen, die durchaus friedlichen Zwecken dienen und nur im Kriegsfall ›möglicherweise‹ in Rüstungsbetriebe verwandelt werden können, fordert sinnlose Geldopfer. Die Beschränkung der Herstellung des Kriegsmaterials auf wenige Fabriken führt dazu, daß jede Konkurrenz ausgeschlossen ist, und die Preise von den begünstigten Fabriken nach Belieben festgesetzt werden können. Die Einschränkung der Reservevorräte an Waffen, Bekleidung, Geräten und so weiter hat zur Folge, daß der Ersatz für unbrauchbar gewordene Stücke stets sofort beschafft werden muß und die Bestellungen nur in ganz kleinem Umfange erfolgen können, wodurch die Preise unnötig hochgetrieben werden.«
Was bieten diese so ökonomisch gerichteten Pazifisten nun positiv? Sie skizzieren eine »defensive Wehrorganisation« auf folgender Grundlage:
»Eine derartige Wehrorganisation, die auch den Anforderungen des Artikels 8 der Bundessatzung genügt, müßte auf folgenden Grundsätzen beruhen: allgemeine Wehrpflicht im Kriege und zahlenmäßig beschränkte Dienstpflicht im Frieden von höchstens einjähriger Dauer.
In sinngemäßer Anlehnung an die Beschlüsse der Konferenz von Washington wären sodann die Friedenshöchststärken für die Großmächte des europäischen Kontinents festzusetzen, etwa in folgender Weise: für Deutschland, Frankreich und Italien je 200 000 Mann, für Rußland 300 000 Mann.
Für die übrigen Staaten könnte ein Drittel Prozent der Bevölkerung als Norm angenommen werden, was der deutschen Quote (200 000 auf 62 Millionen) ungefähr entspricht.
Diese Zahlen stellen Höchstzahlen dar, die nach Ablauf von fünf Jahren nicht mehr überschritten werden dürfen.«
Wir wollen uns hier nicht mit den Unebenheiten dieses Schemas auseinandersetzen, wir wollen ruhig unterstellen, daß einmal erste Schritte zur Abrüstung auf ähnliche Weise unternommen werden können zwischen Staaten, die sich durch Paktverträge gesichert haben – es wirkt etwas peinlich, daß grade von deutscher Seite eine Anregung kommt, die für die Andern zwar Abrüstung, für Deutschland aber Aufrüstung bedeutet. Es wäre gescheiter und taktvoller, im ersten heiklen Teil der Diskussion wenigstens Deutschland völlig aus dem Spiel zu lassen. Denn das Genfer Problem ist doch nicht, wie Deutschland seine Wehrmacht vergrößert, sondern wie die Andern sie herabsetzen. In dieser grundsätzlichen Verkennung aber zeigt sich unser ganzer amtlicher Pazifismus in Reinkultur. »Wenn die unleidlichen Rüstungsbeschränkungen nicht fallen, dann macht uns der ganze Völkerbund keine Freude mehr«: das ist so der Tenor aller Regierungsreden. Sollte nicht auch in Genf sich davon etwas regen? Vielleicht nicht grade in den öffentlichen Sitzungen, wo rein dekorativ gesprochen wird. Wieder und wieder versichern Eingeweihte, der deutsche Delegationschef sei ein zu guter Diplomat, um sich zu einem so törichten Impromptu verleiten zu lassen. Nun, nicht umsonst hat die Bendler-Straße die vier Zivilisten von einem siebenköpfigen soldatischen Sachverstand umzingeln lassen, und das Unglück des Grafen Bernstorff waren eben immer die Militär-Attachés.
Im Preußischen Landtag hat der Abgeordnete Heilmann berichtet, daß aus den beschlagnahmten Putschplänen eine Verbindung zwischen der Reichswehr und dem Oberst v. Luck vom Sportclub Olympia erwiesen sei. Der Herr Oberst habe die Leute, die in die Reichswehr eintreten wollten, auf ihre völkische Gesinnung hin begutachtet. Im Reichstag gab Herr Külz offen zu, daß das »in vereinzelten Fällen« zuträfe. Herr Külz ist nur Stellvertreter des beurlaubten Herrn Geßler; deshalb etwas grün und schüchtern im Metier. Welch ein Kommersbuch von Humoren hätte der echte Geßler über die neugierigen Fragesteller ausgegossen! Nichts hätte der zugegeben, und die Sozis wären abgezogen mit dem ministeriellen Ratschlag, sich ein Kalbfell um die schnöden Glieder zu hängen. Was würde wohl außerhalb Deutschlands einem Kriegsminister passieren, dessen Offiziere überführt werden, mit Verschwörern unter einer Decke zu spielen, die die Rekrutierung kontrollieren und, wie gerichtlich nachgewiesen, dem Chef der Heeresleitung nach dem Leben getrachtet haben? Die im Völkerbund vertretene Republik Liberia wird so viel Romantik kopfschüttelnd ablehnen. Die Herren unsrer Wehrmacht unterstreichen so gern die Fortführung der Traditionen der alten Armee. Wer als Republikaner das als schädlich bekämpft, wird doch wünschen, eine der Traditionen des preußischen Heeres würde sorglicher gepflegt: – die Disziplin. Die ist es ja, die in einem zivilisierten Staat das geordnete Heereswesen von einer freibeuternden Soldateska sondert. Es gibt in der Reichswehr Unterrichtsstunden für die Mannschaften. Warum nur für die Mannschaften? Herr v. Seeckt sollte für seine Offiziere mindestens das Studium des ›Prinzen von Homburg‹ obligatorisch machen.
Der junge Grütte-Lehder ist zum Verhängnis der völkischen Zentrale geworden: Wulle und Kube erwartet das Verfahren wegen Mordanstiftung. Die Bloßstellung dieser beiden Herren, die politisch heute weniger als Null sind, hat dennoch eine bestimmte Bedeutung: zum ersten Mal in den politischen Mordaffären dringt die Untersuchung bis zu den intellektuellen Urhebern vor. Eine Camorra ist damit aufgestöbert; es ist nicht die einzige; andre könnten folgen, wenn man die Mordakten nochmals revidierte. Es ist jetzt dreiviertel Jahre her, daß hier in der ›Weltbühne‹ Carl Mertens seinen ersten Artikel über die Fememorde veröffentlichte. Damit war ein bis dahin fast legendäres Thema plötzlich in den Brennpunkt gerückt. Was wäre ohne diesen Antrieb wohl geschehen? Der Oberleutnant Schultz liefe frei herum, keiner der Mörder wäre zur Rechenschaft gezogen, und der Major Buchrucker säße vielleicht neben Nicolai als Hilfsarbeiter im Reichswehrministerium.
Die Weltbühne, 25. Mai 1926