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Auf unserem Redaktionstisch liegt ein Schreiben:
»Wir haben uns entschlossen, die Führung unserer Theater für einige Zeit in andere Hände zu legen. Wenn wir auch somit als Bühnenleiter vom nächsten Jahre ab ausschalten wollen, so gedenken wir doch mit dem Theater in engster Fühlung zu bleiben. Bei unserer ungeminderten Tätigkeitsfreude ist der so geschaffene Zustand nicht als ein dauernder anzusehen. Er wird enden, wenn wir den Zeitpunkt als gegeben erachten.
Mit vorzüglicher Hochachtung
ergebenst Carl Meinhard.
Rud. Bernauer.«
Was seit längerer Zeit von verschiedenen Seiten gemunkelt wurde, bestätigt sich hiermit. Meinhard und Bernauer werden ihren Theaterkonzern mit Ende der Spielzeit in andere Hände geben. Wir wollen hier nicht die Gründe untersuchen, die zu diesem sicherlich lange und reiflich erwogenen Entschluß führten, ob sie zu suchen sind in den kolossalen Schwierigkeiten dieses Theaterwinters überhaupt oder ob die beiden die Lust verloren haben an einer Tätigkeit, die immer weiter hineinführt in Konzessionen an den Marktgeschmack.
Denn Meinhard und Bernauer, die nebeneinander und durcheinander altes und neues Drama, Pallenbergschwänke und Orska-Komödien, Posse und Operette, Sardou und Strindberg spielten, waren Künstler, sind Künstler geblieben. Wenn sie sich jetzt zu einer hoffentlich nur kurzen Rast zurückziehen, dann vielleicht verschnaufend, wie Rennfahrer, die nicht mehr ganz mitkönnen. Vielleicht auch wie gutgelaunte Philosophen, die für eine Weile den Trubel andern überlassen. Es ist schließlich keine Kleinigkeit, immer etwas Neues zur Unterhaltung der Berliner zu ersinnen. Sie haben über fünfzehn Jahre durchgehalten, und so sehr man ihnen auch im einzelnen etwas am Zeug flicken konnte und mochte, sie haben gut durchgehalten. Sie haben gelegentlich ihrem Herzen einen Stoß gegeben, ihrem Kopf aber nur mit Maß.
Die Operette, war es wirklich ihr Sündenfall? Sie haben den Berlinern ja eigentlich die Massary neu entdeckt. Sie haben ihnen diese wundervolle Frau wiedergeschenkt, losgelöst vom Schema der Revue, mit Aufgaben, die wert waren, von ihr geadelt zu werden.
Der Schwank? Gewiß, die Libretti für Pallenberg waren manchmal schlimm. Aber wenn ein so herrliches Orchester einsetzt wie dieser Künstler! Was waren für ihn diese Texte mehr als unscheinbare Hülsen, aus denen entkapselt sein Feuerwerk in prächtig-bizarren Farben sprühte?
Nein, die Meinhard und Bernauer, vielfältig, nervös, nicht übermäßig geradlinig, in ihrer ganzen Art mehr ins Breite und Umfangreiche gehend als ins Tiefe, in Verbindung zu bringen mit dem vielbesungenen »Niedergang des Berliner Theaterlebens«, das wäre ungerecht. In der Nachbarschaft Max Reinhardts, in ihren Anfangsjahren im Berliner Theater in seinem Schatten stehend, mit seinem Schatten kämpfend, haben sie etwas von der Buntheit und Anmut des Meisters hinübergerettet, in denen die »Dekoration« aus grauen Tüchern und ein paar Treppenstufen bestand. Sie haben es nie vergessen, daß das Theater schließlich eine festliche Angelegenheit ist und keine Familiengruft. Nie haben sie es vergessen, obgleich sie beide zum Theoretisieren neigen und nicht nur literarisch, sondern auch einmal in der »Kreisler-Bühne« praktisch ihren experimentellen Neigungen folgen konnten. Wo mag der skurrile Mechanismus der Kreisler-Bühne heute magazinieren? Aber sie fanden zur Massary zurück.
Das ist vielleicht ihr Bestes, daß sie untrennbar verknüpft bleiben mit großen Schauspielerpersönlichkeiten: man denkt an die Triesch, an Hartou, an die Gläßner, an viele, viele andere. Und in der Erinnerung haftet nicht die »Cousine aus Warschau«, sondern die süße Magie der »Traumspiel«-Inszenierung, mit Indras Tochter oben im mondweißen Oval.
Sie verabschieden sich knapp und optimistisch. Sie werden neuen günstigeren Boden finden, sie werden gesammelter wiederkehren. Sie gehen nicht aus dem Theater, sondern nur in die große Pause.
Über den oder die Erben steht noch nichts fest. Barnowsky wird genannt.
Darüber wird noch zu reden sein.
Montag Morgen. 9. März 1925