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Wolkenkratzer-Romantik

Man schlägt seit einiger Zeit kein illustriertes Blatt mehr auf, ohne eine Aufnahme von New York darin zu finden. New York von der Hafenseite, New York aus der Vogelperspektive, New York von der Hochbahn aus gesehen. Blicke in enge, schluchtgleiche Straßen, eingebettet zwischen ungeheuerlich hohen Steinwänden.

Es ist also kein Zweifel mehr, der Wolkenkratzer, in dem man vor ein paar Jahren noch eine besondere amerikanische Kaprize sah, ein ästhetisches Greuel, wird Mode. Auch bei uns macht man sich an »Hochhäuser«, wie man sie nennt. In den Industriezentren wachsen die ersten Achtetagen-Häuser empor, schüchterne Vorposten zunächst, kleine Parvenus, gemessen an der amerikanischen Turmhaus-Aristokratie.

Viele Kommunen projektieren heute dergleichen. Überall sieht man Pläne, phantastische Pläne. Über altehrwürdige Stadtbilder recken sich schwarze drohende Häupter, assyrisch stilisiert. Rhein- und Elbebrücken werden entworfen, flankiert von zwei riesenhaften Türmen, die nicht als Kriegerdenkmäler gedacht sind, wie man zuerst annimmt, sondern als Bureauhäuser.

Man möchte ein ganz klein wenig zur Besinnung trommeln, auf die Gefahr der Bezichtigung, den Geist der Zeit nicht ganz kapiert zu haben. Die Amerikaner sind von ihren Mammuthäusern nicht so ganz entzückt, wie die deutschen Bewunderer. Gewiß, diese schlank in die Wolken strebenden Geschäftspaläste, Börsen und Hotels sind Wunder des erfinderischen Menschengeistes. Doch wenn man in Betracht zieht, daß New York anfing hoch zu bauen nicht aus irgendwelcher architektonischen Experimentierlust, sondern weil die Bodenpreise zur Ausnutzung des Raumes drängten, so muß man leider wieder schließen, daß es dem herrlich ingeniösen Menschengeiste leichter wird, mit den verzwicktesten Problemen der Statik fertig zu werden, als mit dem orphischen Dunkel der Bodenpolitik.

Nun aber sind die Wolkenkratzer längst zum Signum Amerikas geworden. Man fragt nicht mehr, warum zuerst so gebaut wurde. Ja, sie sind das Symbol der weltbeherrschenden Wirtschaft Amerikas, stolzer und sinnvoller fügte man nicht die Mauern Karthagos. Wie aber steht es in Deutschland mit Commerz und Industrie? Haben wir eine Veranlassung, so monumental aufzutrumpfen, obgleich wir es von Haus aus ohnehin schon furchtbar mit der Monumentalität haben? Die Flammenschrift an der Wand besagt: Pleite! Die Magier verstehen sie allzu gut, schleichen verdattert durch die Hintertür hinaus und Belsazar, des großen Nebukadnezar Erbe, begibt sich leise weinend unter Geschäftsaufsicht. Wo ist in der deutschen Wirtschaft etwas, was nach so pompöser Kultstätte schreit (außer dem Dalles)? Unser bodenständiger Gott Mammon mit den treuen Vergißmeinnicht-Augen kommt im Vergleich zu seinem amerikanischen Kollegen ganz gut mit einer kleinen freundlichen Wallfahrtskapelle aus, von Epheu und Schlingkraut traulich umsponnen, und im Herbst wird es dazu noch ein paar Marterln setzen. Genügt das nicht?

Vor einigen Jahren schlug ein Spaßvogel vor, auf dem Königsplatz einen riesigen Turmbau zu errichten und dort alle Reichsämter unterzubringen, alles, was heute über Wilhelmstraße und Umgegend malerisch verstreut haust. In Wahrheit, eine tiefsinnige Huldigung für Deutschlands politischen Genius, der immer ins Blaue geguckt hat, während auf dieser grauen Erde die Entscheidungen fielen. Und sehr gut kann man sich das Auswärtige Amt z. B. im vierzigsten Stock wirkend vorstellen, während man für das Ressort Justiz nach den Erfahrungen der letzten Zeit die Kellerräume reserviert wünschte.

Das Tage-Buch, 29. August 1925


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