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Das blutige Treffen von Frankenhausen, das in der ersten Maihälfte des Jahres 1525 dem großen Bauernaufstand für Mitteldeutschland ein Ziel setzte, wird in den Annalen der Geschichte sehr irrtümlich als »Schlacht« geführt. Es war in der Tat nur ein wider Treu und Glauben gelöster Waffenstillstand, ein Einbruch der vorzüglich ausgerüsteten Truppen des Landgrafen von Hessen und der sächsischen Herren in einen schlecht equipierten Haufen armer Teufel, die sich in Erkenntnis ihrer Schwäche in einer Wagenburg auf dem Hügelgelände oberhalb der Stadt eingebaut hatten. Ein »Friedensangebot« an die Bauern war ergangen: die Fürsten würden Gnade walten lassen, wenn die Rebellen ihnen ihre Führer auslieferten. Das Bauernheer, durch den Anblick der gepanzerten Männer unten im Tale erschreckt, eingeschüchtert durch die stattliche Zahl der Geschütze, während es selbst nur über ein paar dürftige Falkonetbüchsen verfügte, löste sich in eine Reihe von Diskutierklubs auf, die ja in allen deutschen Revolutionen eine so unglückselig bedeutungsvolle Rolle gespielt haben. Massenweise trieben sich feindliche Emissäre im Lager herum, die kleinlaut gewordenen Bauern abwechselnd mit Lockungen und mit Drohungen bearbeitend.
Einer alten Legende nach, die uns auch in der Schule als historische Wahrheit verzapft wurde, soll Thomas Münzer seine vertrauensseligen Bauern mit spiegelfechterischen Reden in den Tod gejagt haben. Er soll ihnen angeblich gesagt haben, sie brauchten die Artillerie nicht zu fürchten, er, der Wundermann und Vertraute Gottes, werde die feindlichen Kugeln in den Ärmelfalten auffangen. Nichts verbürgt dieses Gerücht, das so gar nicht zu dem Charakterbild eines Mannes paßt, der bis zum letzten Atemzug ein glühender Bekenner seiner Wahrheiten war und nicht ein desperater Charlatan. In Wahrheit hatte Münzer allzulange der inneren Auflösung seiner Streitkräfte zugesehen, völlig beeindruckt von seiner Ratlosigkeit in allen militärischen Dingen. Er war ein Gegner des Planes einer offenen Feldschlacht gewesen. Heinrich Pfeiffer, der Freund und Genosse, sonst der Umsichtigere von den beiden, hatte den fatalen Vorschlag gemacht, Mühlhausen, den festen Stützpunkt, das Hauptquartier der Bewegung für Mitteldeutschland, zu verlassen und den Fürsten entgegenzuziehen. Münzer war überstimmt worden und wider seine vernünftigere Einsicht dem Druck gewichen. Er war sich über den unglücklichen Ausgang der Expedition sicher im klaren. Auf einen Hokuspokus wie den Kugelfang mag ein alter Soldat kommen, der über die menschliche Intelligenz ebenso gering denkt wie über das Menschenleben überhaupt, aber kaum ein idealistischer Intellektueller wie Münzer. Wahr ist nur, daß er schließlich die Tüchtigsten unter seinen Leuten um sich sammelte und in einer zündenden Ansprache für den Kampf begeisterte. Schwerlich wird er noch an einen Sieg geglaubt haben. Vielleicht wollte er untergehen wie die geliebten Heroen des Alten Testaments, wie Simson, der in sein Sterben noch die verhaßten Feinde hineinriß.
Weder hatte Münzer Zeit, anzugreifen, noch die Bauern, abtrünnig zu werden. Ehe der Waffenstillstand noch abgelaufen, setzte die Überrumpelung durch das Fürstenheer ein, das sich schlachtbereit gemacht hatte, während die in der Wagenburg disputierten. Ein planvoller Feuerüberfall schlug das Schanzwerk in Stücke, das Fußvolk stürmte und brach an vielen Stellen zugleich ein. Die Bauern, die zum Teil Weib und Kind im Lager hatten, dachten nicht an Gegenwehr, bis auf einige fanatische Trupps, die nach zähem Widerstand abgeschlachtet wurden. Es war ein Gemetzel und keine Schlacht. Nach zeitgenössischen Quellen sollen an die 5000 Bauern ums Leben gekommen sein.
In regelloser Flucht wälzte sich alles den Hügel hinunter in die Gassen von Frankenhausen hinein, die Verfolger auf den Fersen. Am selben Abend noch waren die Fürsten Herren der Stadt und ließen vor dem Rathaus 300 Gefangene hinrichten. Münzer selbst war noch in die Stadt gelangt, aber nicht mehr hinaus. Er verbarg sich in der Dachkammer eines Hauses am Nordhäuser Tor, um den Kopf einen dichten Verband, um nicht erkannt zu werden.
Was für Gedanken mögen den verlorenen Mann in jener Nacht bewegt haben? Unten im Hause hatten die Junker Quartier bezogen, und der Lärm der trunkenen Sieger drang bis in die Giebelstube hinauf. Auf den Straßen stöhnten die Blessierten, schleppte man neues Futter für den Henker heran. Schreckliche Stunden für den, dessen Namen das bankrotte Unternehmen trug. Welches war sein Verbrechen gewesen? Man jagte ihn wie einen tollen Hund, setzte einen Preis auf seinen Kopf. Volksverführer schalt ihn der neue Papst von Wittenberg. Er fühlte sich nicht als Verführer, sondern als Erwecker. Zehn Jahre jünger als Luther, hatte er bereits vor ihm als grüner Kleriker angefangen, gegen Rom zu predigen, für die Wiederherstellung eines evangelischen Christentums. Im Reformationswerk sah er eine Halbheit, weil dessen Verkünder sich scheuten, ihre religiöse Bewegung zu vereinigen mit der politischen und sozialen, die sich allenthalben in Stadt und Land vorbereitete. Auch er wollte nicht die Insurrektion. Jahrelang hatte er als Prediger gewirkt, ein unerschrockener Strafredner der Großen, Trost und Hoffnung der Unterdrückten, überall nach kurzem Wirken vertrieben. Endlich hatte er Fuß gefaßt in dem damals sehr bedeutenden Mühlhausen, war, als die Feindseligkeiten begannen, erklärter Führer der Bauern und Bergknappen von Thüringen und Sachsen. Die Lügen seiner Mörder haben seinen Ruf vergiftet. Die Nachwelt hat in ihm immer entweder einen grausamen Demagogen oder einen irren Fanatiker gesehen. Er war keines von beiden, dafür aber ein unerhörtes agitatorisches Talent, das sich unter günstigeren Bedingungen vielleicht zum Staatsmann ausgewachsen hätte. Er trug in die hemmungslose Menschenausbeutung seiner Epoche die soziale Idee viel späterer Zeiten, nur daß bei diesem leidenschaftlichen Kind der Reformation alles politische theologisch ward und in der erhabenen aber uns fremden Gewandung der Theorie von Gottesstaat auf Erden nicht mehr zu uns sprechen will. Wenigstens müssen wir seinen modernen Gedankenkern in einer absonderlich genug gewordenen Sprachhülle suchen, inspiriert und geschult von den bilderreichen Beschwörungen und Verwünschungen der Propheten Altisraels. Wäre er ein blutrünstiger Fanatiker gewesen, wie Jan Ziska v. Trocnow, der furchtbare Hussitenführer, er hätte genug gleichgestimmte gefunden, um aus Deutschland ein Trümmerfeld zu machen. Er war Lichtbringer, nicht Brandfackel ...
Münzers Unterschlupf in der Giebelstube am Nordhäuser Tor war schnell entdeckt. Von dem Augenblick an, da er vor die Fürsten geführt wurde, wich der Kleinmut des Flüchtigen von ihm. Er war nicht mehr der stets etwas dilettantische Diktator von Mülhausen, der hilflose Heerführer, sondern wie in seinen stärksten Jahren der wortgewaltige Mahner, die dröhnende Posaune eines säkularen Gewissens. So trat er vor seine Ankläger. Nur als der gelbschnabelige Landgraf von Hessen, derselbe, den lutherischer Byzantinismus später » den Großmütigen« nannte, ihn in der » reinen Lehre« unterweisen wollte, da schwieg er voll Verachtung.
Ein paar Wochen ließ man ihn noch leben. Das heißt, man schleppte ihn von Ort zu Ort und folterte ihn entsetzlich. Es wird berichtet, daß er einmal nach stundenlanger Tortur zwölf Kannen Wasser hinuntergegossen haben soll, um den Fieberbrand in der Gurgel zu löschen.
Eines Tages aber fuhr man ins Feldlager hinaus, auf einen Karren gekettet ein armseliges Bündel von zerschundener Haut und zerbrochenen Knochen, ein deformiertes Etwas, das einmal der Mensch Thomas Münzer gewesen, und an dem nichts mehr lebte als das Haupt mit dem noch immer wildflackernden Hirn und den dunkel brennenden Augen. Dieses Haupt schlug man ab und pflanzte es auf einen Spieß als ewige Warnung, wie gefährlich es sei, in Deutschland an Revolution zu denken.
Und diese Warnung hat immerhin für ein paar Jahrhunderte vorgehalten.
Berliner Volks-Zeitung, 26. Juni 1925