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636

Ein Jahr Hindenburg

Irgendwie muß Deutschland doch regiert werden.
Reichskanzler Luther

Am 7. April 1926. Die Torflügel des Präsidentenpalais öffnen sich weit; und, während die Militärkapelle den Präsentiermarsch rasselt, erscheint die mächtige, massige Figur des Präsidenten der Republik in der Uniform eines kaiserlichen Marschalls. An diesem Tag vor sechzig Jahren ist Paul v. Hindenburg in die Armee eingetreten. Wie er die Front der Fahnenkompagnie abschreitet, verrät nichts in dem verwitterten, golemhaft unbewegten Gesicht eine Empfindung. Vergebens lugen die Reporter nach einer einsamen Träne, die Anlaß zu einer Schlagzeile gäbe. Aber er ist in seiner steifen Feierlichkeit ganz Soldat, ganz preußischer Offizier und Wahrer eines Rituals, das von andern Sterblichen sondert.

Drinnen gibts dann die fälligen Festreden. Der Reichswehrminister spricht Belanglosigkeiten von »Tradition« und »militärischen Tugenden«, und was ein Zivilist so sagt.

Aber entscheidend sind nur die paar Minuten vor dem Palais. Denn diese Fahnen und Monturen, das sind Reststücke einer Welt, die schon gar nicht mehr da ist. Die so wenig wiederkehrt wie der alte Plessen, der da im Vorhof als gerührter Gratulant auf melancholischen Kranichbeinen stelzt und in seiner blauen Generalskluft aussieht wie eben aus dem Zeughaus geholt. Was das Schicksal auch mit Deutschland vorhat: das hier kommt niemals wieder. Diese Stahlhelme, Standarten und Feuerrohre, die sind so dahin wie Alles, was Kriegskunst von Pelopidas bis Schlieffen ersonnen. Sechs chemische Fabriken werden künftig genügen, um den Tod durch ganz Europa zu blasen.

Von den Linden dröhnen Hurras. Auf die Leute wirkt noch die Magie des Militärrocks. Den haben sie ja vor einem Jahr gewählt, als Amulett gegen alle Not. Wie aus Aarons Stecken die Mandeln, so sollten aus diesem Marschallstab Gerechtigkeit, Ordnung, Wohlstand blühen. Sie jauchzen zu dem kleinen bunten Aufmarsch martialischer Vergänglichkeiten. Was eine Abschiedsparade ist, von Wehmut überschattet, das nehmen sie als frohe Verheißung. Wieder einmal haben die Requisiten die Zeit überlebt:

... was steckt denn auch
in Schleiern, Kronen oder rost'gen Schwertern,
das ewig wäre? Doch die müde Welt
ist über diesen Dingen eingeschlafen,
die sie in ihrem letzten Kampf errang,
und hält sie fest.

 

Hindenburg s'en va-t-en guerre: das war vor einem Jahr der Kampfruf der einen, der Wehruf der andern Partei. Hindenburg: das bedeutet mulmigste Reaktion im Innern, Platzhalterschaft für die Monarchie, Abenteuerpolitik nach außen. Mit gleicher Begründung wurde für ihn, wider ihn agitiert.

Das Alles ist schon längst verflossen. Heute sind es die bürgerlich-republikanischen Blätter, die ihm Kränze winden. Sie beloben ihn, weil er seinen Eid gar so treu gehalten habe, und ahnen nicht einmal, wie gräßlich geschmacklos solche Hudelei ist, und daß sie sich selbst mehr damit charakterisieren als ihn. Die Republikaner sind schon von Herzen dankbar, wenn man ihnen nichts tut.

Aber wäre dem alten Herrn satirische Laune zuzutrauen, er könnte wohl der Residenz erzählen, wie man Präsident wird. Er hat es wirklich nicht gewollt. Er könnte erzählen, wie er lange widerstrebte, und wie schließlich Tirpitz, der Gerissenste der Gerissenen, die Sache doch fingerte. Die volksparteilichen Hicketiere, an ihren versackenden Jarres geklammert, heulten vor Enttäuschung; im Salon einer beflissenen Amateur-Politikerin entstand bei einem five o'clock die Kandidatur Geßler; ehe der Tee zum zweiten Mal aufgebrüht wurde, hatte Stresemann – er sei gepriesen für und für! – diese wahrhaft phantastische Idee kurz entschlossen wie einen Küchenkäfer zertreten. Die Hindenburg-Inszenierer aber hatten richtig gerechnet: er wirkte aufs Volk nicht als Kandidat, sondern als Vorgesetzter. (»Wer wagt zu streiken, wenn Hindenburg befiehlt?«, hatte Groener im Januar 1918 geschnauzt.) Seine Wahl war dienstlicher Befehl.

Die Polen haben in Paderewski den musikalischsten, die Tschechen in Masaryk den geistigsten, die Deutschen in Hindenburg den politikfernsten aller Außenseiter auf den Schild gehoben. Populär, von Instinkt konservativ, unpolitisch und lenksam: dieser empfehlenden Vierheit von Eigenschaften verdankt Hindenburg die Gunst der heimlichen Präsidentenmacher.

Um einen Vergleich aus ganz andrer Sphäre zu holen: war Friedrich Ebert der politische Papst, so ist Hindenburg der religiöse. Ein frommer Bewahrer dessen, was er vorgefunden. Ohne Ehrgeiz und amtlichen Expansionsdrang. Er hat seinen Ruhesitz von Hannover nach Berlin verlegt, mehr nicht. Ebert war der Politiker von Beruf und Gewohnheit, unruhig, unbequem, immer dreinredend und dazwischenredend. Hindenburg ist zu alt, um eine Sendung zu entdecken, die auch vor vierzig Jahren seiner Neigung kaum entsprochen hätte. Eingesponnen in die Vergangenheit, in Denkweise und Interessenkreis eines alten Offiziers, lebt er dahin, ohne Anteilnahme am öffentlichen Geschehen. Das Beste an ihm, daß er nichts posiert.

Nur wenn er für eine festliche Stunde den Soldatenrock wieder anziehen darf, gewinnt die große, schwere Gestalt Wirklichkeit. Dann umwittert ihn Erinnerung an Glanz und Niedergang der alten Armee von Sadowa bis zur Champagne. Seltsame Ironie, daß er nur gegenwärtig erscheint, wenn er etwas repräsentieren darf, was gar nicht mehr lebt.

 

Die alte Hindenburg-Legende: der pensionierte, aber, Gott sei Dank, noch geistesfrische General in Hannover, nächtlich über Karten von Ostpreußen sinnierend, die Stellen ankreuzend, die später der Armee Samsonoff zum nassen Grab werden sollen.

Die neue Legende: die überlebensgroße Figur auf mächtigem Piedestal, in Festigkeit und Milde der überlegene Staatsführer, Kenner des Guten und Bösen in allem politischen Tun; zu Füßen gekauert, wie Tyras, der Reichshund, der Camerlengho Meißner, der gute Fridolin zweier Präsidenten; unten, am Sockel, die Basreliefs der Paladine und Instrumente seiner Allwissenheit: Luther, Stresemann, Geßler, Seeckt. Das sind die echten Kinder Fortunas, die immer die Legende für sich haben.

Der Kandidat Hindenburg: das war für die republikanische Presse der Torstürmer der Hohenzollern. Der Präsident, weil er den von der Verfassung vorgesehenen Formen bisher genügt, weil ihn in der rechtsradikalen Ecke irgendein Gehirnschwund als Verräter angerempelt hat: das ist für sie schon ein Gewandelter und Eckstein der Republik.

Nein, der Marschall-Präsident ist weder ein Platzhalter der Monarchie noch ein republikanischer Säulenheiliger. Nicht allein, weil seiner politischen Indifferenz weder die eine noch die andre Rolle liegt. Sondern weil es einstweilen um solche Dinge überhaupt nicht geht. Der Kurs, den der Reichskanzler Luther einhält, zielt klar und deutlich auf die Konsolidierung des Bürgerstaates. Der Kampf um die Staatsform wird in den Bereich des Ideologenzanks verwiesen. Die Reaktion hat sich besonnen; die Flegeljahre der Revolten und Verschwörungen sind vorüber. Nicht Monarchie, sondern Wiederherstellung des alten Obrigkeitsstaates in ganz veränderten sozialen Verhältnissen: darum geht es. Die dreisten Dummheiten der Cuno-Zeit, die Deutschland isolierten, sind überwunden. Man sucht Verständigung mit den alten Gegnern, um innen desto sicherer regieren zu können. Die einst verpönte Erfüllungspolitik wird nun den arbeitenden Massen aufgepackt, womit ihr für die Bourgeoisie der Stachel des Antinationalen genommen ist. Das ist, nach Stresemanns unbezahlbarem Wort, »nationale Realpolitik«. In den bildenden Künsten nennt man das Erwachen zur Wirklichkeit aus der Walpurgisnacht der Abstraktionen etwas verlegen: »neue Sachlichkeit«. Das ist ein ähnlicher Vorgang.

Wie gerührt waren die lieben Demokraten am vorigen Verfassungstag! Wirklich: Er erscheint zur hochoffiziellen Feier, mit ihm Schiele, der Deutschnationale. Er unter Schwarzrotgold. Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!

Es ist richtig. Man respektiert die Republik. Man darf es, weil man sie in der Hand hat. Ohne Gefahr kann man ihren Farben und Formen die »schuldige Achtung« erweisen. Denn man weiß, daß eben Alles nur noch Form und Farbe ist und kein Inhalt mehr. Deshalb kann man sich sogar den Luxus gestatten, die Republik zu schützen. Man läßt sich nicht mehr ins Geschäft hineinhitlern. Die Nebenregierung der völkischen Strolchokratie ist aus. Die Wehrverbände sind fest eingefügt in ein nationales Verteidigungssystem: Grundstock neuen Heeres. Aber indem man die offenen Gegner der Republik ins Hintertreffen treibt, tut man doch nichts, um sie für immer auseinanderzujagen. Man hält sie eben in Schach, um durch ihr bloßes Vorhandensein die Republikaner in Schach zu halten. Der Monarchismus, wohl konserviert, bleibt als Drohung im Hintergrund. Er ist der Knüppel, der aus dem Sack fährt, falls sich die Republikaner einmal einbilden sollten, die Republik gehöre ihnen.

Das ist die neue balance of power, das Hindenburg-Programm der innern Politik.

 

Vor einigen Monaten veröffentlichte Herr Hugenberg, der deutsche Harmsworth, in seinem Berliner Lokal-Anzeiger einen Vorschlag an die Deutsche Volkspartei, ihren Führer doch ganz einfach sitzen zu lassen und mit den Deutschnationalen eine große Rechtspartei zu bilden.

Das war mit jener brutalen Offenherzigkeit gesagt, die in jedem bessern politischen Zirkel als taktlos gilt. Die, wie zu erwarten, äußerst entschiedene Abwiegelung des Vorstands der Deutschen Volkspartei konnte indessen nicht über den tiefen Eindruck von Hugenbergs Antrag hinwegtäuschen. So wie ein ehrbares Mädchen sich nachher Gedanken macht, ob es recht war, den versprechungsfreudigen Verführer abblitzen zu lassen. Und die Deutsche Volkspartei ist kein ehrbares Mädchen, sondern eine Dame von Welt, die von richtig abgepaßten Anschlüssen lebt.

Hugenberg spannt weiter als die Dioskuren Luther-Stresemann. Die wollen, ohne sich nach Rechts oder Links zu verpflichten, pazifistisch nach Außen, sozial-reaktionär im Innern regieren. Keiner Idee, keinem geschriebenen Programm verhaftet. Irgendwie muß Deutschland doch regiert werden, und irgendwie wird es auch immer regiert. Schlimmstenfalls findet man noch immer bei den Sozialdemokraten technische Nothilfe, weil man in den öffentlichen Kundgebungen mit Geschick liberale Vierteltöne mitschwingen läßt. Hugenberg währt das juste milieu zu lange. Er hat die Gaukelei satt und will da planmäßig zusammenfassen, wo die Ära Luther sich improvisierend behalf. Die Schaffung der Rechten Sammelpartei, in der Alles, mit Ausnahme der völkischen Exaltados etwa, sich finden kann, soll die Vollendung sein. Die längst wirkende Macht soll endgültig Ausdruck und Gestalt finden.

Die Gelegenheit scheint nicht ungünstig. Das Zentrum, seiner Spritztouren ins Radikale müde, wird unter Guérard und Kaas nach Kaltstellung seiner paar linken Außenmänner wieder der große politische Devotionalienladen, der es früher war; die Demokraten überläßt man ruhig ihrem alten Traum, die Deutsche Volkspartei durch die große Koalition nach Links zu binden.

Hugenberg hat durchaus richtig gerechnet. Auf dem rechten Flügel der Stresemann-Partei, dem Wetterwinkel des Parlaments, sieht man bibbernd einem Wahlkampf entgegen, in dem die Partei Locarno und Genf zu verantworten hat. Während der Führer noch in Allerwelts-Liberalismus schwelgte, machte Herr Scholz, der Fraktions-Vorsitzende, bereits wieder in Bürgerblock. Ehe die Linke in ihrer scheinbar gottgewollten Instinktlosigkeit recht begriffen hatte, worum es sich eigentlich drehte, war in den Beratungen über das Fürstenkompromiß die Krise da. Der Rückzug der Deutschen Volkspartei nach Rechts ist in vollem Gange.

 

Ein Zufall will, daß die Erschütterung des juste milieu so ziemlich mit dem Jahrestag der Präsidentenwahl zusammenfällt. Bleiben nicht in den demokratischen Leier – Erst wenn auf Luthers Platz Einer sitzt, der weniger interessiert erscheint, reaktionäres Wollen den Gesetzen der Vernunft einzuordnen – erst dann werden die letzten Möglichkeiten der Präsidentschaft Hindenburg offenbar werden. Denn wer zu lenken ist, ist auch zu schieben.

Ist der Weg nach Genf bedroht? Lauert hinter pseudo-parlamentarischem Brimborium die Diktatur?

Ungelöste Fragen hängen über der Ehrenpforte des zweiten Hindenburg-Jahres wie graue Wolken, und an festlichen Girlanden zerrt ein mürrischer Wind.

Die Weltbühne, 27. April 1926


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