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Lauenburg, d. 3t. Mai 1813.
Ich habe Ihnen nicht geschrieben, liebste Rahel, weil wir zwar wenig tätige, aber recht viele unruhige Tage gehabt haben. (Mein Unglück, die scheußlichste Feder, mit der es unmöglich ist, einen vernünftigen Gedanken zu haben und keine Aussicht eine andre zu bekommen.) Jetzt ist Freude für uns seit fünf bis sechs Tagen, ich war in Hamburg und sitze nun hier in einem kleinen freundlichen, an hohe Hügel zwischen Schluchten hinaufgebauten Städtchen; oben auf den Anhöhen ist die Aussicht wunderschön. Es ist zehn Uhr Morgens, die Sonne scheint durch leichte Nebel, es ist windig und kühl, beinah kalt; dicht vor meinem Fenster fließt die Elbe, drüben auf dem andern Ufer stehn grüne Weidenbüsche und Häuserchen dazwischen. Das alles ist nun recht hübsch, und ich könnte recht innig angeregt und vergnügt sein, wenn es mich in einer andern Stimmung träfe, aber ich bin traurig. Wie geht es Ihnen, liebste Rahel? Varnhagen sagte mir, daß Sie bei Einrichtung des Lazaretts vieles besorgt haben, daß Sie niemanden sehen, außer der Familie, daß diese Sie sehr frequentiert; er zeigte mir eine Stelle Ihres Briefes, worin Sie Niebuhr tadeln und das »Hanseatische Heergerät« loben. Wegen NiebuhrsBarthold Niebuhr gab damals den »Preußischen Correspondent« in Berlin heraus, der sich scharf gegen Napoleon wandte. – August Varnhagen war Adjutant des russischen Generals Tettenborn. – Das » Heergeräth der Hanseatischen Legion«, 1813 bei Perthes in Hamburg erschienen, beleuchtet scharf die Zustände in Hamburg. – Wilhelm von Dörnberg, der Freischarenführer, durch seinen kühnen Streifzug gegen Kassel bekannt, diente damals als Führer einer Heeresabteilung unter Wittgenstein und erfocht bei Lüneburg über ein französisches Korps einen Sieg, – Ernst von Pfuel war Chef des Generalstabes bei Tettenborn, später als Gouverneur von Berlin und Kriegsminister bekannt. bin ich mit Ihnen einer Meinung; er sieht alles in einem falschen Licht, die Gesinnungen, die er teils vorzufinden glaubt, teils herbeiwünscht und fordert, sind nicht die wirklichen, nicht die, die sich von dieser Zeit erwarten lassen, und die man ihr wünschen soll; er hat sie in Büchern aufgefunden, in römischen, griechischen und spanischen Geschichten, hat sie nicht recht verstanden, denn notabene auch in jenen Zeiten waren sie ganz anders modifiziert, und nun fordert er das fremde Gewächs von unserer Zone, meint, ein solcher allgemeiner Schatten, ohne die bestimmten, endlichen, mangelhaften und eben darum liebenswürdigen Züge, sei gesundes, natürliches Leben.
Daß Ihnen aber das »Heergerät« gefällt, wundert mich; ich nahm das Büchelchen mit großer Begierde in die Hand wegen Ihrer Empfehlung und finde eine triviale Deklamation, ungeschickt in einem angelernten Stile vorgetragen, geschichtliche Fragmente, mit einer oberflächlichen Allgemeinheit hingestellt, die ihnen das Bedeutende und Ergreifende nimmt, eine gute Meinung, aber wenig Kraft und keine völlige Ächtheit des Gefühls und der Gesinnung; halb ist diese letzte wahr und ursprünglich, halb anempfunden, doch trägt sie im Ganzen einen gutmütigen, ja liebenswürdigen Charakter.
Von mir werden Sie wissen, liebste Rahel, daß ich Adjutant beim General Dörnberg bin. Im Ganzen kann ich über meine persönliche Stellung nicht klagen. Die Umgebungen des Generals sind nicht unbequem, es kommt mancher bedeutende Mensch zu uns, wir stehen mit vielen in Verbindung, sehen und hören manches. Nur ist die Rolle, die wir spielen, matt. Der General ist das Gegenstück eines Anführers; er hat keine feste Meinung, keinen festen Willen und gar keine Routine, nicht einmal die, die ein jeder Lieutenant in Friedensdiensten sich zu eigen machen muß. Mir ist nie ein Mensch vorgekommen, der so gar nicht zu befehlen weiß. Ich stehe ganz gut mit ihm; er fragt mich bei dem Meisten um Rat, aber einesteils kann ich ihm das Rechte und Beste in den wenigsten Fällen raten, weil er nämlich der Ausführung nicht gewachsen ist, weil ihm in den entscheidenden Momenten, wo der Anführer nicht mehr durch einen andern zu ersetzen ist, die Worte, die Blicke, kurz die notdürftige Haltung fehlt. Andernteils kommt man immer mehr dahinter, daß, wie in allen bedeutenden Dingen der Welt, so bei der Kriegführung, alles aus einem Guß sein muß, und daß es nichts ist mit dem Flickwerk. Gehe ich mit jemandem nicht ungefähr von den nämlichen Grundsätzen aus, kann ich gewisse unumgängliche Eigenschaften nicht bei ihm voraussetzen, so hilft mir mein Raten nichts; er fällt beständig aus der Rolle, und ich schade am Ende öfter, als ich nütze, wenn ich ihn in die Höhe treibe. Allerlei Einzelnes läßt sich tun, und das habe ich auch getan, nur läßt sich dem Ganzen kein andrer Charakter geben, wodurch allein erst etwas Bedeutendes gewonnen wäre. In Hamburg ist tolle Wirtschaft, viel Schein, viel Lärm und wenig Gründlichkeit. Pfuel hat manches getan, aber teils nimmt er die Sachen hin und her zu leicht, teils ermüdet er auch über ihnen. Er begeht den Fehler, daß er nicht in einem stillen und saubern Bureau, sondern in dem Saus und Braus des Tettenb[ornschen] Hauptquartier arbeitet, welches durch einen Haufen von angestellten unwürdigen Nichtstuern und durch das Zuströmen aller übrigen Neugierigen in eine Klatsch- und Freßbude verwandelt ist. Dadurch verliert er Zeit und Sinne. Er ist nicht nach allen Richtungen wach, wie es sein müßte, treibt nicht nach, faßt ein jedes neue Ding geschickt und mit seltner Einsicht an, führt es aber nicht bis auf die Hälfte der Vollendung hin. Daher ist von allem Gearbeiteten nichts tüchtig.
Lauenburg, d. 4t. Mai 1813, Dienstag.
Ich muß schließen, beste Rahel; ganz unerwartet marschieren wir. Schreiben Sie mir, wo möglich, ausführlichst.
Sehen Sie die Schleiermacher? Schreiben Sie mir über sie; ich habe ihr oft geschrieben, habe aber lange nichts von ihr gehört. Wenn es eine Feldpost in unserm Hauptquartier giebt, so adressieren Sie: an den p. p. Lieutenant und Adjutanten des Generals von Dörnberg im Hauptquartier des Generals von Dörnberg: giebt es keine, so adressieren Sie nach Hamburg, abzugeben bei dem Buchhändler Herrn Perthes oder an Varnhagen. Adieu.
A. M.