Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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41.

Rahel an Marwitz.

Montag Vormittag halb elf, d. 28t. Oktober 1811.

Gestern Mittag noch kamen die drei Schedens zu mir, und ich benutzte den Besuch sogleich, mir den Fr. SchlegelF. Schlegel, Über die neuere Geschichte. Vorlesungen gehalten zu Wien im Jahre 1810. Wien 1811. von ihm zu erbitten; der gestand ihn mir auch gleich zu, obgleich er ihn selbst noch nicht ausgelesen hat. Er ist mit Büchern sehr liberal; ich bitte Sie aber doch, sobald Sie ihn ausgelesen haben, mir ihn zurückzuschicken, wenn das natürlich vor Ihrem Herkommen geschieht, weil ich Schede nicht gesagt habe, daß ich ihn Ihnen schicke und ihn selbst gerne lesen möchte. Der vierfach eklige Hitzig – Sie werden gleich hören, warum, ich hör' es auch jetzt erst in größter Wut – schickte mir erst gestern Nachmittag, ach, es war beinah Abend, das ungebundene Landrecht – wie das in den kultivierten Ländchen noch alles liegt –, ich also in der größten Eil zum nächsten Buchbinder, er ist nicht zu Hause – Sonntag –, ich lasse ihm sagen, ich müsse heute um halb elf das Buch geheftet haben; jetzt schicke ich hin, läßt mir der berlinische Esel sagen, Mittwoch soll ich es haben, eher könnte er nicht, ohne mir die Bogen zurück zu schicken. Solch brutales Einspänner-Volk giebt's nur hier, ohne allen Sinn, wozu sie gebraucht werden, ohne jede Urbanität. Glauben Sie nur nicht, daß dieser Vorfall allein mir dies eingiebt. Er stürmt mir nur meinen inveterenierten Haß wieder auf. Hätte mir aber nur der plustrige Hitzig nach sonnabend- und sonntagschen Billet die Blätter zu rechter Zeit geschickt, so hätte ich andere Anstalten treffen können. Die Bogen sind zu enorm groß und zu viel, um sie Ihnen ungelegt und ungebunden zu schicken, jetzt sind sie bei L. Robert, der soll sie legen. Tut er's, und sie riechen dann nach Tabak, so wundern Sie sich nicht. Sie schrieben schon Donnerstag darum und wollten sie sogleich, und heute ist schon Montag. Es ist ein dunkeler Tag mit dem ernsthaftesten Regen aus Wolken vom dicksten Löschpapier; also heute können Sie auch nicht ausgehn, nicht nach Sanssouci, über Varnhagens Brief dacht' ich wie Sie, und nach dem, was Sie mir sagen, ist mein Vergleich mit dem Sande und den Glasscheiben nur noch richtiger, so trocken, so lose, so zu jeder andern Figur fertig liegt die aus kleinen unzusammenhängenden Körnchen bestehende Stimmung. Das mit Nostitz finde ich so ganz eitel nicht; denn es bezieht sich wirklich auf vieles, was er mir sagte. Robert wird mir die Ilias geben. Ich liebte, Sie zu sehen in Ruhe, wenn Meyer fort ist, nicht wegen das bei mir Absteigen, jedoch richten Sie sich danach nicht und schreiben mir ja noch, wann ich Sie sehn soll. Meyers Toben der letzten Einrichtung wegen ist jetzt ein rauschendes Presto. Wolf – nur vorläufig – ist der Mensch, den ich am klarsten und rechenschaftsvollen über seine eigenen Talente und Arbeiten gefunden habe. Fünfzehn oder mindestens zehn Jahre hätte er gewiß jedes seiner Werke im Kopf numeriert und bearbeitet und durchdacht, eh' es ihm Bedürfnis geworden wäre es wirklich zu machen oder herauszugeben, und vorher hätte er nie gewußt, daß es geschehen soll und wird. So hätte er nie Deutsch geschrieben oder gewußt, daß er's könnte, mit einem Male habe er's gekonnt, und bloß von den alten Sprachen. Ich gratuliere mir nicht wenig das gemerkt zu haben, ohne alte Sprachen. So sei's auch mit der Übersetzung der »Wolken« gegangen. Zum Stil gehöre Charakter. Adieu. Das Paket muß fort. Ich bin viel, viel bei Ihnen.

Ihre

R. R.


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