Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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95.

Rahel an Marwitz.

Sonntag, d. 3t. Januar 1813.

Ihr sehr freundlicher, lieber Brief kann mich nur bewegen zu schreiben; geantwortet habe ich Ihnen eigentlich schon voraus in dem, den ich Ihnen schickte. Nehmen Sie sich mit rauchenden Zimmern und dgl. sehr in Acht, es verdirbt einem ganze Nächte und im Rückschlag – par ricochet – ganze Tage, und genau genommen ist doch nichts ärger, allein recht arg, als wenn wir uns selbst fehlen. Die Festigkeit, die der richtig spielende Körper giebt, ist auf der Stelle Luxus, wenn man es auch nur als höchste Notwendigkeit anschlagen will. Alle diese Weisheit ist mir gestern überkommen (und ich predige sie nur in Folge großer Narrheit und Unachtsamkeit von meiner Seite!), da ich in mildem Wetter bei hell gelockertem Himmel nach vielem Verdruß allein spazieren ging. Zwar natürlich nur in der Stadt, aber doch im Rondel – oder wie es heißt – am Potsdamer Tor, da sah ich viel Himmel, die Luft ist da ländlich, es war still. Und wie böse Hüllen fiel es von mir, all das Fremde, mir von der Lage Aufgezauberte, und ich wurde auch still. Weil mir die Luft behagte, ich gesund war, und sie mich gesund machte. (Zweimal bin ich schon gestört worden, dann kann man nicht schreiben.) Der Verdruß war von der Art, daß er ganz von meiner Lage her kam, und die wieder in all ihren Punkten, also auch in den empfindlichsten, wovon es die andern mit wurden, berührte. Ganz unleidlich! Und das Unleidlichste der Lage ist, daß ich sie nicht und nie zu ändern vermag. Nun bedenken Sie mich und meine Fasern, und was ich in mir trage und weiß, und stellen Sie Ihre Berechnung an! Dies Schwere all wurde mir leicht, weil mein Blut richtig fließen, meine Nerven richtig vibrieren konnten, und ich so mit Elementen, Farben, Licht und Erde in einem augenblicklich richtigen Zusammenhang und Wechselwirkung kam. Ich genoß es lauschend, beinah verwundert, und dann machte ich dem Himmel Vorstellungen, mir dies wenige Natürliche zu lassen, und klagte auch gegen ihn. So floß mein Tag, von Stadt und Hauswesen gestört, noch ziemlich gesund aus mir heraus, an mir vorbei. (Den Abend, wo Gerlach bei mir war, störte mich durch Schreien und Unkunde Graf Kalckreuth genug.) Die Nacht aber mußte ich schrecklich an Nerven leiden; nun kommt das Ende dieses Werks, womit ich es begonnen, und was ich beweisen wollte, weil mein Zimmer schon den zweiten Abend für die Nacht zu heiß war, welches ich nicht vertragen kann, und wogegen sich mein Blut mit nach dem Kopf steigen wehrt. Was dies ist, wissen Sie. Es artete in Nervendröhnen und in dem ganzen Hofstaat der Nervenübel aus. Wir wollen uns also sehr, sehr! vor solchen Zimmern hüten. Amen.

Sie wissen, daß ich so sehr als Sie denke, daß die Schleiermacher das Beste wert ist, weil sie's versteht. Ich frage Sie auch, ob ich sie hoch gehalten habe von je und in Liebe geschaut. Ob ich eine Königin ehrerbietiger, zarter und zärtlicher zu behandeln nur vermöchte? Ich frage aber auch, in was ich mich ohne Stupidität oder Heuchelei unter sie stellen soll. Also müßte mir dieselbe Zartheit und Ehrenhaltung zufließen. Solche Anforderung aber ist stumm im tiefen Herzen gekauert da, stumm wie diese dunkle Tiefe selbst, und würde nie von Worten herauf gezwungen werden als Forderung, weil sie nur als Dank an das nichts schonende Licht mag, wenn ich sie nicht verteidigen müßte, diese Forderung. Verteidigen muß ich sie, weil sie sollizitieren soll, was ihr Wesen selbst bewirken sollte. »Unschuldig« ist hier nichts anders als unwissend. Über gewisse Dinge, wissen Sie im tiefsten Herzen, darf man nicht unwissend sein. Warum sollte ich jemanden mich schätzen lehren und mich dann von ihm schätzen lassen, und dasselbe mit Liebe und zartem Zuvorkommen und Erraten? Da habe ich's bequemer, ich schätze mich selbst und liebe andere, wo sie mir's erlauben. Daß man sich durch Tätlichkeiten die Achtung angedeihen läßt, die man nötig hat zum äußern Sein, dies kann man wohl gegen gleichgültige Leute in Äußerlichkeiten äußerlich üben. Aber wo Liebe, Überzeugung, Zartherzigkeit und Approbation wirken sollen, kann und mag ich nicht in Menschenherzen willkürlich operieren. Sie verstehen es genug das Schönste als Herzensfluten anzunehmen, und dies sei mir und Ihnen genug, wenn es noch so kommen mag. Sie wissen es, ich brauche nicht zu versichern, ich habe genug in Liebe geleistet, eine Heilige wär' ich zu anderer Zeit. Wem gönnt mein Herz nicht alles und jede Eigenschaft? Wer sieht, wer spürt sie eher aus und verkündigt sie? Wer ist gerechter, unpersönlicher? Wer ewig bereit zum besten Leben und Leisten? Wer scheidender und menschlicher? Wer zärtlicher gegen alles, was fühlt und zu fühlen scheint? Wer Gott erkennender in jedem Augenblick? Wo ich einen Zug von diesem Genannten sehe, beugt sich mein Herz und meine Kniee, das wissen Sie. Wo ich es reicher, vereinigter fände als bei mir, würd' ich in jubelnde Anbetung verfallen. Sie wissen es. Des Überschätzens aber bin ich ganz müde, d. h. ganz unfähig geworden. Tasso sagt: »Nur die Galeerensklaven kennen sich, die enggeschmiedeten«, wie es mit dem Überschätzen ist, wenn man selbst nur Gerechtigkeit noch verlangt – so bin ich wenigstens –, dann mag man diese auch nur leisten. Nicht im Behandeln und in der Nachsicht und im Leisten, aber im Beurteilen dessen, was geleistet wird.

Ich bin es sehr zufrieden, daß Sie der Schleiermacher meine Briefe zeigen, und empfinde ganz die Ehre, die Sie mir in Ihrem Herzen erzeigen, in meinem. Ich will ihr auch die Träume zeigen. Von Tiecks Fête aber kann ich nicht sprechen. Das können Sie tun. Wenn Sie wollen! Und hiermit erzeige ich Ihnen wieder die größte Ehre, die aus meinem Herzen kommen kann. Auch das wissen Sie, Marwitz, am schwersten in der Welt wird mir von einem Menschen zu fordern, wovon ich denke, daß er's mir ungefordert hätte leisten sollen. Sagen und fordern sind hier eins; und diesmal hab' ich nur gesagt, was ich hätte fordern können, nämlich was ich in Ihrer Stelle würde getan haben – vergessen hätte ich's auch nicht –, aber ich will gar nicht, daß Sie es tun; denn sagen Sie mir, was sollte ich damit in der Ausübung beabsichtigen! Nun fragen Sie, ob ich Sie noch liebe wie sonst! Wie sonst nicht; denn ich bin anders und habe manchen Schmiedeschlag auch seit der Zeit erlitten. Ich liebe Sie, wie es mein Wesen mit sich bringt, und mein ganzes Herz ist gerührt und getroffen von Ihrem Zutraun, welches ich Ihnen ganz erwidere, ganz. Denn wie betrübt und erschwert und verunreinigt ist dies Herz, wenn ich einmal denken muß, dies faßt er nicht, noch nicht, dies mußt du noch zurückbehalten! Oder wenn es gar denkt, hier wärst du aufmerksamer, liebender! Verstehen Sie dies, und Sie werden mich nicht mehr fragen. Aber fragen Sie mich in alle Ewigkeit, ich will in aller Ewigkeit antworten. Dies ist der eigentlichste Umgang, ja, der mit sich selbst. Mehr als mir selbst kann ich Ihnen nicht bieten, und eben das biete ich Ihnen in allen Stücken. Faserkind! Mein Kind mit Fasern.

Gerlach kann Ihnen von gestern Abend erzählen. Hanne, Varnhagen und KalckreuthGraf Friedrich von Kalkreuth auf Siegersdorf bei Berlin, Bruder der Gräfin Schlabrendorf. waren da; den mußt' ich annehmen; ich hatte ihm zu oft abgesagt. Gerlach bringt Ihnen diesen Brief, er gefällt mir noch, Hanne auch. Gott grüße und schütze Sie! Gedenken Sie meiner in Liebe.

R.R.


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