Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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22.

Rahel an Marwitz.

Sonnabend zwölf Uhr mittags, d. 8t. Juni 1811.

Sagen Sie, Lieber, was ist das? Gestern vor acht Tagen schreiben Sie mir und sagen mir, Sie würden mir am Sonntag mehr schreiben; Sie erhalten unterdes einen dicken Brief von mir, und nun erwarte ich Ihren versprochenen vergebens. Ich muß mich ja immer auch ängstigen, wenn Sie mir so etwas tun. Wodurch geschah's denn diesmal? Mir ist es sogar im Briefe in der Entfernung recht unangenehm; nun muß ich Abschied von Ihnen nehmen. Mittwoch reise ich. Also bis Dienstag kann ich nur noch Nachricht von Ihnen haben – erkundigen Sie sich doch nach der Posten Lauf und Ankunft – schnelle, nahe Nachricht. Wie unangenehm mich zu entfernen, ohne einen Brief zu entfernen! Vieles habe ich zu besorgen und zu tun, mir alles Verhaßtes. Schwer wird's mir zu reisen; ich sehe nun, ohne schöne Heimat reist es sich schlecht und schwer. Tätig sein ohne Glück und – das ich's sage – ohne irgend eine Hoffnung ist nur Narren möglich; vom Unwesen sich verzehren, erschlagen lassen wie vom Gewitter, das kann man allenfalls in seiner Herzensmorgue. Wie drückt dies selbst geschmiedete Wort ein Verhältnis zu den beiden Sprachen aus! Ich mag nicht über eine Elende grübeln oder auch nur schwätzen. Das Wetter ist der größte Reiz, die Sonne plinkt der Erde zu, bald ist sie da, bald nicht, lebendig reden Schatten und Licht miteinander. »Wäre nur das Mögliche möglich!« aber auch nicht. Und warum büßt und bessert man sich nicht schnell, wenn es weiter nichts sein soll? Wenn ein noch Bekannter stirbt, vorher viel leidet, komme ich immer zu der ergrimmten TalbotschenTalbot, der englische Heerführer in Schillers Jungfrau von Orleans, 2. Aufzug. Laune. Schon die Dinge im Leben, die nicht schnell und mit einem effort gelitten und abgemacht werden können, ekeln mich, nun gar das ganze heilige Dasein. Warum die edle Seele einsperren und warum sie hoch und niedrig bis zum unflätigsten Kote kommen lassen, wie Wasser, welches bald Sumpf ist und die niedrigsten Dienste leistet, bald als luftiger Gebirgstau Sonne und Sterne abspiegelt. Leben Sie wohl! Mein ganzes Herz ist mit Ihnen und sprengt die dicke Rinde des augenblicklichen, doch zu ernst und oft ermüdeten Unmuts! Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben soll, und alles, was Sie betrifft. In Töplitz Rahel Robert, im Lamm. Ich mache zwei Nachtlager bis Dresden, bin den dritten Tag dort und bleibe höchstens drei Tage, dann über den Geiersberg.

Rahel.

Ich habe Ihre Nichte am Fenster allein sitzen sehn, sie spielte mit ihren eigenen Händen. Das ist ja ein starkes, strotzendes, adliges und adlig angezogenes Kind. Sie saß allein; ich kannte sie gleich; ihre Schwester am andern Fenster.


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