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(Friedersdorf d. 12t.-14t. Mai 1811.)Friedersdorf bei Küstrin, das Gut von Marwitzens Bruder.
Sie wollen Nachrichten von mir, liebe Rahel, und ich will sie Ihnen geben, so gern ich sie zurückhielte (warum, wird Ihnen bald klar werden). Fa, meine einzige Freundin, der reichste, der glühendste Frühling umgiebt mich, und der Juli hat sich mit dem Mai vermählt, gewaltig heiß sind die Tage und doch durchhaucht von kühlenden Lüften, die von den glücklichen Inseln zu kommen scheinen, solch eine Flut von Duft und Wohlgeruch tragen sie bei sich, und in all dieser Pracht und Herrlichkeit geh' ich umher, verschlossen, bang und von wilden Gedanken abgejagt. Halb wie Werther komme ich mir vor und halb wie Harscher. Es wird mir immer klarer, daß ich die Tapferkeit nicht habe, die sich im Dulden bewährt, den ruhigen Gleichmut nicht, der bei großen Ansprüchen nötig ist, um sich durch das Leben hindurch zu kämpfen. Ich bin mit den edelsten Anlagen ausgerüstet, und hätte mich eine volle Woge des Glücks ergriffen, so würde ich etwas sehr Ausgezeichnetes geleistet haben, wohin immer sie mich getrieben hätte. Nun aber habe ich dabei eine zitternde Leidenschaftlichkeit, jeder Angriff auf meine Person rüttelt mein ganzes Wesen auf und bringt es dem Wahnsinn nahe. Auch das hängt mit dem Besten zusammen, ich kann die Berührung des Gemeinen nicht dulden; aber (und das ist der faule Fleck in mir) ich kann es auch nicht verwehren, wo ich soll, und ich kann es nicht mit Besonnenheit abwehren, sondern nur mit Wut. –
Dienstag.
Ich schrieb Ihnen dies vorgestern Abend, liebe Rahel, und mußte abbrechen, weil es spät war und ich sehr müde wurde. Jetzt ist es zehn Uhr morgens; das Wetter warm und windig. Ich sitze in einem großen Zimmer des ersten Stocks, mit der Aussicht nach Abend und Mitternacht, Kastanienbäume blühen vor meinen Fenstern, daneben links und rechts neu angelegte Boskette, rechts über das Gesträuch hinaus grüne Saaten, gelbe dazwischen ( ihr Raps), endlich am Horizont weit entlegen blau schimmernde Wiesen und Wälder. Vor mir zwischen den Kastanien die Aussicht auf einen Teich und jenseits desselben auf das Dorf. Das Zimmer ist hoch und weit, von dicken Mauern eingefaßt, die Tapete blau und weiß gestreift. Zwischen den beiden Fenstern ein großer Spiegel mit goldnem Rahmen und ein altmodischer prächtiger Tisch, mit grauer Marmorplatte und weißem Gestell, woran die Leisten vergoldet sind; ein ähnlicher zwischen dem ersten Fenster und der hohen Tür, ein dritter (breit und zum Schreiben) in das zweite Fenster hineingeschoben; an diesem schreib' ich. An den drei Wänden hängen drei große Gemälde, das eine (ein sehr schönes) meinen Urältervater vorstellend, der zu seiner Zeit (gleich nach dem Dreißigjährigen Krieg) ein überaus tüchtiger Kriegsmann war. Er steht vor einem dunklen Felsen, von Kopf bis zu Fuß geharnischt, den Kommandostab in der Rechten, ernst und streng vor sich hinblickend; hinter ihm auf einem Vorsprunge des Felsens liegt sein Helm mit hohem Federbusch; rechts neben dem Felsen öffnet sich eine weite, vom Abendrot erhellte Gegend, worauf ein Reitergefecht. Von den zwei andern Bildern stellt das eine einen Heiligen dar (nicht ohne Sinn), schön koloriert, er sitzt begeistert, mit ausgebreiteten Armen zurückgelehnt an einem Fels, den einen Fuß stützt er auf einen Adler, hinter ihm ein Ungewitter, das andre einen General aus der Zeit Friedrich W(ilhelm) I. (mildes frohes Gesicht, sonst unbedeutend). – Da ich einmal so tapfer ins Beschreiben hineingeraten bin, so sollen Sie nun auch gleich von dem ganzen Haus und seiner Umgebung hören. Es liegt im Garten, der aber größtenteils neu angelegt ist, so daß man fast allenthalben hindurch sieht, es hat dicke Mauern und ist ungewöhnlich hoch (die Zimmer im ersten Stock sowohl wie im zweiten haben 18 Fuß Höhe), auf die zwei Stockwerke ist ein mächtiges Dach gesetzt, das nach vorn heraus einen Erker hat. [Folgt eine Skizze des Grundrisses.] So ist das Haus. Jede Tapete, jedes Gerät müßte ich Ihnen beschreiben, wenn ich Ihnen recht anschaulich machen wollte, wie es in seinen großen Gemächern und Sälen eine vollständige Familien- und Zeitengeschichte aufbewahrt. Überall wandeln Geister der Vorfahren. Auch für meine Geschichte ist es der feste Punkt, zu dem sie epochenweise zurückkehrt.
Sie wollen mit Fragmenten zufrieden sein, liebe Rahel. So nehmen Sie denn diese hier. Mehr und Besseres kann Ihnen mein beunruhigtes, zerrüttetes Gemüt nicht geben. Die Natur heilt mächtig an meinem Leibe. Täte sie es nicht, so müßte ich längst in den heftigsten Fiebern liegen. So aber schreite ich wohl ein wenig vorwärts zur Gesundheit. Ich hätte sie längst wiedergewonnen, risse nicht eine unselige Gewalt in mir die eignen Wunden immer wieder auf. Adieu, liebe R. Ich freue mich darüber, daß Sie zuweilen in »göttliche Zustände« geraten. Ihre beiden Briefe habe ich erhalten; antworten Sie gleich.
A. Marwitz.
Friedersdorf d. 14t. Mai [18]11.