Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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85.

Rahel an Marwitz.

Mittwoch, d. 8t. Juli 1812.

Hätte ich vorgestern Zeit gehabt Ihnen zu antworten, so hätten Sie einen sehr guten Brief bekommen; ich hatte ihn schon fertig im Kopfe. Jetzt eben hat man mir wieder die Stimmung und Fassung geraubt, als ich Ihren Brief noch einmal las, das Papier auf dem Tisch lag und ich grad hinging. Mir kam ein Billet von Behrenhorst, ein Brief von Mad. Spazier aus Strelitz, ein Billet von einem unglücklichen jungen Menschen. Auf das erste mußte ich antworten, den Brief konnt' ich vor Kleinheit nicht auslesen, das Letzte nimmt mich ein. Vorher war ich bei meiner Kranken, der Portugiesin, mit dem Arzt und besorgte Küche und Wirtschaft dort für den ganzen Tag. Es geht ihr sehr besser.

Brutus also sagt mir, daß wir uns so bald nicht sehen werden! Wenn das Feld meiner Seele zu bösen Ahndungen umgeackert wäre, so könnten mich die Sprüche dieser Römer sorgen und traurig machen, wie sie unendlich, ganz unergründlich schön sind, erhaben, edel und freundlich-traurig. Aber ich bin zu sehr beschäftigt, habe zu viel zu tun, wovon Gutes entsteht oder Schlechtes abgewehrt wird, um nach dem Nachhall und Anklang, die dieser Spruch in jenen Gängen meiner Seele aufruft, lange hin zu hören; und von neuem bewundre ich nur Shakespeare davon wieder, der den Macbeth dem Arzt, der ihm den Tod der Lady ankündigt, als schon alles verloren ist und sich zum letzten Mal harnischt, antworten läßt: »Sie hätte ein ander Mal sterben sollen!«

Ich will mich bemühen auf Ihren Brief zu antworten. Wenn ich sagte, Angst und Sorge beschleichen Ihr Herz, so meint' ich auch nur Angst, daß Sie für Gemeines zu sorgen haben und mit ihm handhaben müssen, und daß, eben weil Sie dies – auch aus großer Neuheit – nicht können, die Sorge darum größer anwachse, als Ihre Natur es mit sich bringe. Ich ging so weit zu glauben, daß Ihnen Berlin durch den Aufenthalt der Mutine etwas verhaßt werden würde und nicht mehr als ein Lustort und eine Freistatt erscheinen würde, wo man müssige Zeit zur Erholung zuzubringen liebt. Für's erste nur, versteht sich. Ihr Brief ist einer der schönsten, die ich von Ihnen habe. Ihr darstellendes, malerhaftes Talent war darin recht wach; so haben Sie mir die Mutine – so soll sie heißen – und die Mutter überaus treffend geschildert. ... Das Mädchen ist einmal fertig auf der Welt, wie sie da ist. Was sich mit ihr zugetragen, ist geschehen und darum ganz gut. Jedes Ereignis ist roh und nur das, was wir daraus bilden; dies im menschlichsten Vereine des Geistes, der Einsicht und des besten Willens zu tun sei unser Werk!... Da das Kind meines werden soll, und Ihres ist, so habe ich sehr darauf bestanden, daß es, auch noch blind, schon in edlen, freundlichen, für die Mutter gewiß erhebenden Umgebungen umhergetragen wird, und daß bessere Sitte und Laune ihm mit Gewalt durch und in das Blut eingeflößt werden; und aus dieser großen Rücksicht vielleicht auf all die Monate sechs oder acht Rtl. mehr Ausgabe nicht gescheut. Mäßig ist sie überall, wie Sie's auch finden. Nun haben Sie noch zu tun, denn der Mensch ist sterblich in jedem Alter und zu jeder Stunde – mir sind junge Freunde und Bekannte genug gestorben – ein Testament zu machen nach allen Formen und Rechten, worin Sie bestimmen, wie es mit dem Kinde gehalten sein soll, was es verzehren und besitzen soll. Besäße ich nur etwas, so würde ich so dringend wenigstens nicht sein, aber Sie wissen, ich habe kaum für mich selbst, und stürbe ich, so wäre das Geschöpf eine arme Waise. Nehmen will ich es mit Freuden, kosten soll es Sie natürlich nur, was es braucht, dafür erkaufen Sie ihm auch mich zur Mutter. Nur muß ich sagen können, es gehört einer Freundin, die der Kriege wegen ihre Heirat nicht publik machen kann, aber wohlhabend ist und es niemandem als mir vertrauen will. Wie wir alle Details – ich will es gern nach seiner Geburt gleich haben – zu verabreden haben, findet sich noch. Sind Sie meiner Meinung? Auch die ganze erste Jugend, Umgebung und Behandlung halte ich für so wichtig.

Gerlach leibt und lebt vor mir, wie Sie ihn beschreiben mit den glücklichsten Worten. Voß auch; aber mit dem sind Sie zu glimpflich im Urteil. Ihnen mag's aber wohl so vorkommen, da Sie ihn sonst gar mit dem verhaßten, falschen Enthusiasmus kannten. Sonst darf man im tiefsten Innern nicht unbedeutend und schwach sein. Von meiner Portugiesin mündlich. Der Süden scheint mir von den Göttern, im Norden aber nur, zugedacht; so mit allem etwas. Ein adlich Herz in einer After-Lage, eine schöne Seele hinter meiner Maske, großen Sinn und kein Talent; aber all diesen Mißlaut beschwichtigt durch eine reine Himmelsgabe, eine ewig innere Musik, und in der Tiefe nichts Verzerrtes, ein reiner Tempel meiner Kinderseele. Wie komme ich auf mich? und nicht unfreigiebig!

Lesen Sie dies kleine Büchelchen, Dore hat es für sechs Pfennige von einem Jungen gekauft; ich las es gestern vor dem Zubettegehen und weinte die herzlichsten Tränen darüber; sagen Sie, ob es Ihnen auch so vorkömmt. Daß man dem Kinde viel vorgeredet hatte, sehe ich auch, doch ist's ein Segen und wunderbar, denn wahr ist dies. Adieu, Antwort! Und wenn Sie krank sind, will ich's wissen; die Frau sagte Sie unpaß; das paßt mir zu allen Stimmungen, die durch Ihren Brief gehen. Ich sehe heute noch die Mutine: sie ist jetzt eben zu mir gekommen, es ist halb drei Uhr, sie knöpelt Kanten. Wenn Sie doch veranstalten könnten, wenn auch bezahlend, daß ihr die Mutter ein Kissen und Zwirn herbesorgt, ich wünsche sehr, daß sie knöple. Sie versteht nicht freundlich und soumis zu sein. Es wird sich bei mir geben.

R.R.

von Behrenhorst, Sohn des Schloßhauptmanns v. B. – Brutus sagt zu Cassius bei Shakespeare: »Sehn wir uns wieder, nun so lächeln wir. Wo nicht, ist wahrlich wohlgetan das Scheiden.« – Bouché, Kommandant, ist nicht näher zu bezeichnen.


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