Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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38.

Rahel an Marwitz.

Freitag, d. 24t. Oktober 1811, zehn Uhr morgens.

Potsdam ist nicht weit genug von dem Schuß, es sichert Sie vor keinem Morgenbillete. Dieses hier enthält einen Auftrag, den auch ich von Meyer bekommen habe; er war gestern Morgen in Potsdam, seinen verfluchten Judentrauschein einzulösen, wo er in einem Bureau ein Bündchen Schlüssel liegen ließ. Haben Sie die Gnade für mich, nach inliegendem Zettel sich richtend, diese Schlüssel von dort holen zu lassen, sie einzusiegeln und unter Moritz Roberts Adresse, Behrenstraße Nr. 48, hierher zu schicken. Ich bin in der schlechtesten Stimmung, habe Ihnen wie immer hundert Dinge zu sagen, sie wurden aber alle angefärbt von ihr ein schlechtes Regal für Sie sein. So habe ich Ihnen auch schlecht auf Ihre Briefe – vorgestern – geantwortet; ich blieb immer in meiner Stimmung. Gott, Gott, welch ein Verlust, welche Gewalttat, welch Unermeßliches sich nicht zu sprechen. Wie redet man sich da die Seele los, wie wird der Geist lebendig, das Herz befriedigt! Ich habe Herzschmerzen, dunkeles Blut schlägt dran und überwältigt mich; herauf seufzt mein Geist nur, es kann auch anders sein, ist anders, wird anders. Bedenken Sie meine Gefangenschaft, ja meine Verzauberung. Seh' ich Menschen? Tiere, die ich so behandeln muß, zu denen ich nicht sprechen kann, oder wie zu Hunden in gütiger, betrogner Voraussetzung. Und was sah ich denn? Außer Menschen? Vorgestern schrieb ich Harscher zu Schleiermacher hin, er möchte vor der Oper einen Augenblick zu mir kommen, – ich wußte ihn mit Madam Herz dort – ich wollte ihm etwas zeigen, es war eine Zeichnung von Pauline, die ich wieder abgeben mußte. Er ließ mir mündlich sagen, dies ginge nicht, er müßte in Vorlesung. Gut! Aber so war er noch nicht hier. Wen will der den sehen, als die ihm wohltun und ihn klar machen? Auch Schleiermachers lassen mir nie sagen zu kommen. Beurteilen Sie, ob es mich verletzt. Nein. Schon immer zu drei, vieren zugleich zu gehen, ist für mich nichts; dies sind nun die feinen Leute. Nein, nein, es geht nichts über schlechte Gesellschaft – und meine alten Gedanken, wie ich mir es längst ausdachte. Meine Leseanstalt habe ich mir noch nicht genügend und ersprießlich einrichten können, da ich erst vorgestern vom Onkel Antwort hatte und Meyer auch ewig stört. Sowie der weg ist, wird bei mir eine Universität errichtet. Gestern las ich ein Märchen von Fouqué: Undine,Fouqués Undine war 1811 erschienen. darin will er viel, aber grade, wo er nicht viel will, wird es schön. Ein Wort darüber, wenn ich's ausgelesen habe. Das Wetter ist schön, geht mir aber nicht an's Herz; nur wenn ich am Ende der Behrenstraße das Abendrot und Gewölk seh', denk' ich, Sie sehen's. Adieu. Schicken Sie die Schlüssel gleich, und hassen Sie nicht im Ernst die verekelnde Furie.

R. R.


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