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Sonnabend, d. 28t. April 1810.
Sehr lieber Marwitz! An dreißig Briefe habe ich schon an Sie komponiert und heute morgen noch im Bette einen sehr schönen. Aber jetzt grade, da ich ganz erschöpft von einem an meinen Bruder bin, schreibe ich Ihnen in größter Eil und Nervenirritation diesen, der ganz schlecht wird, werden muß, ist. Warum hör' ich nichts von Ihnen, da Sie mir's doch von selbst versprachen? Sie sind mir doch sehr gut? Und das muß sein. Noch nicht einmal, habe ich gefühlt, haben Sie mich mißverstanden. Mir träumte vorletzte Nacht sehr schön von Ihnen! Minna Schede kam grade den Morgen, und der erzählte ich's gleich. Wir beide, Sie und ich, waren Sommers in einer weiten Ebene mit allen nur möglichen Bekannten. So sonnig und groß alles war, so befanden sich doch alle nur auf einem Sanddamm, einen Fahrweg breit, der durch die grasigen, doch wasserreichen Felder und Wiesen mittendurch nach einem Wasser ging, welches auch durch Überschwemmung der Gegend näher gekommen war. Ungefähr einen Markt weit war das Gedränge der Menschen und Bekannten größer und sehr wimmelnd; wir hielten uns, weil ich es nicht liebe, ferner unter wenigeren. Nach einigem Warten und Sehen, daß es doch noch sehr lange dauern müsse, bis alle, welches nur nach und nach gehen konnte, übergeschifft sein würden und wir auch herankommen könnten, – die Reisewagen standen zerstreut auf dem Sanddamm, und man sah das Ufer und Schiffe eine viertel Meile weit, hell grün und sonnig vor sich nach Morgen zu, – sagte ich Ihnen, wir wollten etwas zurück der Sonne nach die Gegend untersuchen gehn. Schweigend und gehend willigten Sie ein. Bald wurde es bergig, die Sonne gelb und abendlich; ich ging voran und um eine Ecke einen gemachten Gartensteg hinauf, mit einem Male Göttliches sehend, grüne, hohe, geschnitzte Wände und Aussichten in frischen, geputzten Tälern, durch ganz freundlich aussehende, frischgrüne Berge herab; einer sah besonders schön belaubt und dunkelgrün glänzend aus. Sehen Sie das? wandte ich mich um, faßte Ihre Hand, die Sie mir gaben, auch reichten, und wir küßten uns vor Freuden auf den Mund. So ging's wieder weiter, Sie hinter mir; der Pfad führte mich in ein rundes, ganz kleines und umschlossenes Bergtal, wie ein Hof; ich äugte nochmal links und fand einen Hof mit offenstehenden Zimmern. Was ist das? Aber ich besehe es! sagte ich scheu; Sie mir nach! Eine Reihe moderner Zimmer, mit Instrumenten, Büchern, Zeichen- und Nähzeug, Blumentöpfen, Tücherchen über den Stühlen; kurz ganz wohnlich. Mit einem Male steht ein Herr vor mir, nach 50, ohne Hut, wie ein Abbé; er kam aus noch andern Zimmern. Ja, im Hof waren schöne Hühner, Enten, alles lebendig. Mein Herr, sagte ich, verzeihen Sie; wir haben uns, das so sehr Schöne und Sonderbare der Gegend besehend, plötzlich in Ihrem Hof befunden, – es war Mondschein geworden im Hof – da war aber niemand, hier auch nicht, und so kam es, daß wir weiter gingen; verzeihen Sie! Aber wie so ist hier alles offen? Nehmen Sie's ja nicht übel! Hier kommen viele so herein, sagte der Mann, das schadet nichts; und als ich ihn doch noch ansah, setzte er hinzu halb fragend »Hier ist das Taubstummen-Institut? Wir sind hier friedlich und uns tut niemand was«. Da wurde ich einen blondlich dreizehnjährigen Knaben mit einem Buche in der Hand gewahr, ich wollte ihn auch entschuldigungsmäßig grüßen, aber er sah schüchtern auf sein Buch und las weiter. So verschlang sich der Traum, ohne daß Sie gesprochen hätten, und ohne daß wir gegen Morgen nach dem Wasser zurückkamen. Welches mir auch im Traum sehr lieb ist.
So bin ich. Wollen Sie nun im Ernste auch nicht sprechen? Mir nicht antworten? Mir nicht sagen, daß und wann ich Sie in Töplitz sehen kann? Ich komme nun bestimmt hin; mein Bruder Meier hat mich gefragt, wie viel ich dazu haben will. Antworten Sie mir gleich. Lieber! Nach Ihnen richte ich mich sehr! Ich lege hier ein Sendbriefchen von Pauline bei, das ich vorige Woche erhielt. Ich antwortete ihr in Du aus angeregter Seele. Mißverstehen Sie nichts darin! Lesen Sie ihn, als wären Sie bei mir. Zeigen Sie ihn ja von ungefähr Gentz nicht. Lang entfernt von mir könnte er, wird er wohl das Unheilige auch nur unheilig finden. Ich verlange weit mehr, und verlange es von Ihnen. Meinen höchsten Äußerungen von Achtung vertrauen? Voraussetzung des Talentes, jemanden behandeln wie mich selbst, und nicht, wie W. Humboldt schon vor zehn Jahren sagte: ich will nicht mit lauter Verwundeten zu tun haben; ich nicht mit Krüppeln. Ich habe Humboldt nur vorgestern gesehen; er verfehlte mich öfters, und ich konnte ihn ohne größere Gesellschaft nicht einladen, ohne ihn irre zu führen. Er fühlte es, wie ich sah, und fügte sich äußerst klug und sittig, ohne Verlegenheit für beide, doch waren wir nicht allein. Es schimmerte alles nur durch Minna Schede, die im Reußischen Garten gegenwärtig war, wo Humboldt wohnt und mit uns spazierte. Adieu, Lieber! Antwort, und das gleich.
Rahel.
Hier ist Helles Sonnenwetter mit Kälte, ich rheumatisch davon. Nordostwind der gräßliche.
Minna (Wilhelmine) Schede, Schwester des Regierungsrats Sch., der zu dem Bekanntenkreis der Rahel, der Herz, Schleiermachers u. a. gehörte. – Meier [Meyer] war der ursprüngliche Vorname des später sich Moritz Robert nennenden Bruders der Rahel. – Pauline Wissel, geb. Cesar, »die schöne Helena von Berlin«, Favoritin des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, bekannt durch verschiedene Liebesaffären. Sie war mit dem Kriegsrat Wissel, später mit Baron Vincent vermählt und starb 1849 in Paris an der Cholera. – Friedrich von Gentz, der bekannte Publizist und Staatsmann, abwechselnd in preußischen und österreichischen Diensten: einer der glühendsten Verehrer der Rahel. – Das Palais des Grafen Reuß, Leipziger Straße 5, hatte einen großen Garten, in dem einzelne Wohnhäuser standen.