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Dienstag Vormittag um elf Uhr bei trübem, kühlen Wetter, d. 7t. Mai 1811.
Schreiben Sie mir auch immer die Stunde und das Wetter.
Ich bin sehr zerstört, weil Robert gestern debut en blanc bei Marcus Diner (wo er aß) vor allen Hausgenossen mich atroce beleidigte und kränkte. Sehr unzeitig, weil ich ihm gar keine Gelegenheit gab; wahrlich niedrig, weil er sich es gegen niemanden in der Welt als gegen mich unterstehn würde; gemein, weil er von meinem losen Maule sprach, wovor sich die ganze Stadt (?) und die ganze Familie fürchtet; unvernünftig, weil er unser ganzes Verhältnis aus den Augen setzte und anders darstellen wollte. Aber höchst umbringend, assomierend für mich, weil er zu ungemessen sich in der Familie Gegenwart so auszudrücken wagte, daß ich deutlich sah, wie ich bei ihm stehe, und was sie von mir denken und sagen. Traurig, weil ich diesem Sein ausgesetzt bleiben muß ohne Rettung, und man gegen mich noch die Moralischen spielen kann, eben weil ich gestellt bin, daß sich niemand meiner annimmt, als ich selbst. Deutlich fiel es mir heute Morgen ein, daß sie mich eigentlich so ansehen wie der Köhlerjunge das Mädchen von Orleans, und ich auf eine gemeine Art untergehe. Ich schreibe Ihnen diese ekelhaft traurige Geschichte, weil sie mir vor der Seele steht, und weil ich die Art von Stimmung verloren habe, die dazu gehört Ihnen Madame Wolff zu beschreiben, die ich nach meiner Katastrophe die Jungfrau spielen sah, und es doch tun will. Ich aß nach vielen herben Tränen gegen fünf, mußte mich niederlegen und ging nach sechs Uhr in Möll[endorfs] Loge, wo ich glücklicherweise allein war. Ich fand wieder Madame W[olff] auf dem Theater, allein im Monolog, wo sie den Helm bekommen hat. Das Erste, was mir auffiel – und ich wußte mit dem ersten Blick auch, daß sie schlecht ist –, war das R durch den Hals und eine Stellung, die ihr beinah ununterbrochen das Ansehn giebt, als wäre eine Hüfte schief, so streckt sie sie hinaus ohne Grund. Die Natur hat nicht an Tragödie noch an irgend etwas Hohes gedacht, als sie gemacht wurde. Es ist Frevel, dergleichen auszusprechen, ich bin aber gewiß, die Frau ist gemein und gering. Sie sieht abgetragen aus im ganzen, kann sich nicht einen einzigen Augenblick einen anderen Anstand noch Ausdruck geben, als wie schlecht gereiste Damen aus der Provinz oder Sängerinnen vom dritten, vierten Schlage haben. Man kann nicht sagen, daß sie garstig ist, aber alles an ihr ist ruppig, so auch ihr Haar, und nie sah ich so hervorstechende Backenknochen unter den Augen; auch bilden sich diese dadurch ganz fremdartig, und, wie ich es auch noch nicht gesehen habe, sie sind in so großen, sonderbaren Höhlen, daß, sieht sie nur mindestens hinauf, nur Weißes zu sehen ist, das ist etwas zur Furcht. Dabei ist sie immer nicht häßlich. Ihre Stimme ist gering, von wenig Umfang, keiner Kraft, ohne alle Innigkeit. Ich mache mir sonst nicht viel daraus, ihr Fuß aber ist unangenehm groß. Eine theatralische Unart hat sie an sich, die mir in guten zehn oder fünfzehn Jahren gar nicht mehr vorgekommen ist, die aber eine Ausflucht aller schlechten Acteurs war und ist, wie ich sehe, und bleiben wird. Nämlich, ich weiß nicht, ob Sie es kennen, wenn ich es Ihnen nicht vormache, es ist bei einem Übergange von einem Seelenzustande in den andern oder auch nur bei abwechselnder Vorstellung oder gar nur bei Punkten in der bloßen Rede, ein gewisses schluchzendes Atemholen. Kennen Sie das? Die gemeinste Unart und Manier der schlechtesten Anfänger auf den schlechtesten Theatern. Wie aber Goethe [diese] Unart duldet, das ist mir das Rätsel, welches ich nicht verstehe. Solch R und solch Schluchzen und solche Hüsten z. B. Und daß sie in einer förmlich weißen battistmusselinen Chemise mit inwendig noch einem Pausch und unten einem Falbalas als Hirtin vorkommt und bleibt. Eine Schärpe wie eine Thee-Dame von demselben Zeuge, an jedem Rande entlang mit kirschbraunem schmalen Band eingefaßt. Rotbraune saffiane Pantofflen dazu an, wie sie sich die Dienstmädchen auf dem Jahrmarkt kaufen. Was soll ich davon denken? Was nur Möllendorf, der zuletzt kam, sagte: »Ich sehe nun, daß Weimar wenig Feuerstellen zählt.« Sie werden mir glauben, daß ich es sah – und gesehen hätte, wenn ich es auch nicht gewußt hätte –, daß ihr alles eingelernt ist. Steif machte sie es nicht, aber so dürftig, so gleich hinterher, wo die Lektion abbrach, so nichts! Sie fiel einigemal gut und inaugierte die ganze Rolle mehr, als ich es je sah, aber dies kam, weil man es ihr erstlich gesagt hatte, und weil sie sie wie eine Madam nahm, die sich noch eine Menge Kleinigkeiten dabei und zerfallene Details denkt. Sie hatte ewig bis auf die gelernten Momente einen Visiten-Anstand. Sie betete aber besser, als man glauben konnte, mit etwas stärkerer Stimme, als zu erwarten war, war aber äußerst schlecht angeschlossen und sprang miserabel aus den Ketten. Starb ziemlich gut, eingelernt, wie ein wahres Kind gegen die Schütz. Sie wurde aber doch Gott Lob heraus gerufen, und das aus wahrer Ehrfurcht vor Goethe. Das freut mich sehr. Da er nicht vergöttert wird, muß er mit Unrecht befehlen, richten können, verehrt werden. Die Applaudeurs sagten deutlich: Goethe fei ihr Orakel. Sie sagte: »Wenn Ihnen mein schwaches Talent nur den geringsten Teil der Freude gemacht hat, die ich jetzt empfinde, so bin ich sehr glücklich!« Heute seh' ich sie zum Thee bei Frau von Grotthuß, wo sie sich wahrscheinlich als Hirtin anziehen wird – er, Herr W[olff], wird dort, weil es Goethe sagte, den Prometheus, »ein etwas obstruses Werkchen von mir«, vorlesen. Davon schick' ich Ihnen Freitag die Rezension mit Müllers Buch und Xenien von Robert. Sie schreiben mir »in meiner Wüste«. Ihr Dasein, Ihr Andenken stellt mir viel vor. Ich sag' Ihnen nicht alles, was. Als Kriegerin hatte sie einen schlechten Panzer und Schuhe hoch auf dem Spann von goldenem Zeug, das aussah wie Goldpapier. Harscher kommt nicht zu mir. Adieu!
R. R.
Marwitz, dieser große Brief! Macht es Ihnen nichts?