Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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59.

Marwitz an Rahel.

[Potsdam,] Mittwoch früh, d. 8t. Januar 1812.

Ich bitte Sie, liebe Rahel, dem Überbringer, meinem Freunde Busch, 100 Rtl. zu geben. Gestern Nacht um elf kam ich hier an und schlief heute früh zu lange. Die Fahrt war nicht ganz so langweilig noch so kalt, wie ich zu Anfang befürchtete. Ich dachte viel an Gentz (an »fragen Sie die Kleine, sagen Sie Rahel« und sagen Sie Rahel, sagen Sie Liebmann, ist es wahr) auch an Louis, an seinen edlen Tod und wie er sich bei einem schmähligen Ereignis den Kopf würde eingerannt haben. Sie müssen an Varnhagen sogleich schreiben, daß er sich die Geschichte des Todes von Nostitz erzählen lasse und ausschreibe. Ich täte es selbst, aber ich kann ihm eigentlich kein freundliches Wort mehr sagen, seit ich sein Betragen gegen die Frauen in Töplitz weiß; seitdem ist es aus mit uns, ich werde dies und jenes noch an ihm billigen und loben können, aber ich werde ihm nicht mehr gut sein, wie ich es sonst zu Zeiten war. Darum geht es nicht, daß ich ihm schreibe. Bedenken Sie, daß jenes edelste von den äußern Ereignissen unsrer Zeit der Geschichte erhalten werden muß. –

Heute morgen fiel mir ein, daß Bossuet eine gewisse Ähnlichkeit mit Möllendorf hat, die nämlich, daß ihm die Religion auf eine konfuse Weise imponiert – ein Grundgefühl, welches er durch eine Menge von Lügen, Falschheiten und Affektationen widrig verhüllt und vergemeinert hat, aber welches doch da ist. Er ist ohne alle Klarheit und ohne alle Tiefe in seiner Anschauung des göttlichen, aber l'élevé und zumal le lugrube desselben rührt und erschreckt ihn grade so, wie jenen die Orgel. Adieu, liebe Rahel, ich weiß Ihnen in diesem Augenblick nichts weiter zu schreiben, auch darum nicht, weil ich die schlechteste Feder habe, die mich in meinen Gedanken, nach der uns bekannten Art, hemmt. Schreiben Sie ja an Gentzen. Schelten und ängstigen Sie ihn so, daß er gleich antworten muß.

A.M.

Der vorerwähnte August von Nostitz nahm an der Schlacht bei Saalfeld teil, in der Prinz Louis fiel. – von Möllendorff, ein Verwandter des Feldmarschalls, Offizier im Ersten Garde-Regiment. – Jacques B. Bossuet (1627–1704), der berühmte Kanzelredner, hat mehrere Schriften verfaßt, die die Einigung zwischen Katholiken und Protestanten herbeiführen sollten.


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