Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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76.

Rahel an Marwitz.

Montag, d. 8t. Juni 1812.

Vorgestern Abend, lieber Marwitz, erhielt ich ein Schreiben von Hrn. von Klewitz, worin mir gesagt wurde, ich würde »nach dem Drang der Umstände« (?) geschont werden und sollte künftig nur einen employé oder einen Offizier zur Einquartierung haben. Von Hrn. Brink ist weiter nichts erfolgt, dies halte ich aber für eine Folge. Dies endlich danke ich Ihnen! Ich war so ganz durchdrungen, wie Sie es nur sein können, von dem Opfer, welches Sie mir durch die Ihrem Sein ganz unangemessenen und widersprechenden Schritte auf dem Bureau brachten. Aber ich habe es gefordert und ließ es mir bringen, weil Sie anders in meiner Seele stehen sollen als all die, die ich wie Christpuppen in meinem Geiste ansehe, denen nur ich und sie mir nie leisten. Jetzt ist auch eine Zukunft, und ich will nicht mit allen Versprechungen und Erfüllungen bis über das Grab hinausgeschoben sein. Ich leiste, was ich vermag, auch gleich und stets, und meine Liebe und Achtung ist eine fruchttragende; so sollen meine Freunde auch sein. Sie sind so gut wie ich oder keine. Zu lange bin ich verächtlich schonend mit Schund umgegangen: mit dem ich so rede wie mit Ihnen, der muß sein können wie ich. Es ward mir so schwer als Ihnen, Sie dahingehen zu lassen – dies glauben Sie! – aber lieber war mir alles, als auch Sie in mir anzuklagen und fahren zu lassen. Sie werden nicht finden, daß ich von einer Kleinigkeit eine zu große Wichtigkeit mache; es ist keine Kleinigkeit, was uns plagen kann, und es ist keine Kleinigkeit, ob der, den wir als Freund behandeln, uns von dieser Plage rettet, wenn er kann, oder nicht. »Des Lebens Baum ist frisch und grün«, und will manchmal mit der Scheere beschnitten, mit Tätigkeit behandelt, mit dem Messer geputzt sein. Apropos! Der Maler Müller hat mir göttliche Augenblicke erweckt, herbe, häufige Tränen gelostet. Ich erriet, daß er aus einer schönen, lieben Gegend ist, und so war es auch. Er ist aus Kreuznach und hat eine Ode an diesen Ort in Prosa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat weinen machen. Der liebt sein Vaterland, weil er sieht, weil er seine Mutter, seine Schwestern liebt.

Ich bin gestört durch Nettchen. Vorgestern war Götterwetter; ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz an allen großen Plätzen der Stadt umher und dachte an Sie. Gestern war ich im Tiergarten und wollte Ihnen Kaprifolium pflücken und mitschicken, und nachher vergaß ich's doch. Adieu. Lesen Sie alles von Müller und kommen Sie bald. Auf meinem Wege vorgestern traf ich Madam Schöndörffer, die etwas mit mir ging. Sie lobte Sie, und ich konnte mitsprechen, so gut machte sie's. Über Harscher ist sie ziemlich klar. Kommen Sie bald, Lieber. Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald, Luft und bete darum. Und denke an Sie und Pauline. Adieu. Morgen schreibe ich ihr. Hitzig war heute hier mit Herrn von Rochow, der sehr besser geworden ist in Heidelberg. Es ist drei Uhr Mittag. Gestern ging keine Journalière. Adieu, Lieber.

R. R.

Madam Spazier war auch hier und hat mir den Kopf inwendig ganz wund gesprochen. Ohne diese Störung hätten Sie einen ganz andern Brief bekommen. Das Papier lag immer neben den Federn auf dem Tisch. Ich erfahre gar nicht mehr, was Sie lesen. Sie kommen bald. Gehen Sie nur recht! Adieu. – Marcus hat mir gleich, ohne daß ich Sie erwähnt habe, gesagt: Bei mir ist es so sicher, als auf der Kammer, er hat all Righinis Vermögen und das Herrn von Winterfelds auch.

Anton Wilhelm von Klewitz, Kriegs- und Domänenrat, später Geh. Staatsrat und Finanzminister. – Brink war Lotteriedirektor. – Madam Schöndörffer ist vielleicht Frau Schondorff, die zu dem Bekanntenkreis der Rahel gehört. – Gustav Adolf Rochus von Rochow, studierte in Heidelberg Rechtswissenschaft, dann freiwilliger Jäger in den Freiheitskriegen, 1834 Minister des Innern.


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