Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

25.

Marwitz an Rahel.

[Friedersdorf,] Dienstag d. 13t. August 1811. Abend halb elf Uhr.

Böse, Böse, warum schreiben Sie mir nicht? Dies ist der dritte Brief, den ich Ihnen zusende, und noch immer keine Antwort. Ich war dieser Tage in Berlin und bei der Markhusen, um dort Nachricht von Ihnen zu erhalten, aber sie wußte nichts, als das Gerücht, das in der ganzen Stadt umherläuft, daß Sie Varnhagen heiraten!! Manches ist mir wieder in dieser Zeit begegnet. Ich ging nach Berlin, um den alten Müller aus Bremen zu sehn, der mit seiner Tochter da war. Die rührendste Erscheinung! Er weinte unsäglich, wie er mich sah; und wie ich zuletzt ging und ich ihn, wie er behauptete, durch mein Wesen so sehr an seinen Sohn erinnert hatte, da brach ihm gänzlich das Herz. Dazwischen ist er sehr kräftig und lustig, von einer ganz jugendlichen Frische und von einer so redlichen und liebevollen Treue, daß man alle seine Konfusionen gern übersieht, ja vielmehr sie gar nicht bemerkt. Die Tochter gleicht dem Bruder über alles Maß, in den Augen, der Sprache und in der ganzen Art zu reden und sich zu betragen: der ungeheure Schmerz, den sie ewig in sich trägt, bricht nur, wenn man sie allein sieht, gewaltig hervor; in Gesellschaft weiß sie ihn mit der größten Stärke in stille Ruhe, ja in Heiterkeit zu verhüllen. Sie können denken, wie lieb sie mir geworden ist, und wie ich ihr heiliges Leiden in mein Herz aufgenommen habe, auch ich bin ihr sehr lieb. Sie ist sehr sicher, klar und richtig in ihren Ansichten, sehr wahr, edel und bequem in ihrem Wesen. Wie leid war es mir, liebe Rahel, daß Sie nicht da waren, daß Sie nicht Tränen und Leid mit der Elise austauschen konnten. Ich sprach ihr natürlich von Ihnen. Mich quälte es, daß ich den teuren Leuten gegenüber zuweilen stumpf sein mußte, oder doch nicht tiefbewegt sein konnte; nach sechswöchentlicher, beinah vollkommner Gesundheit war ich nämlich in Berlin recidiv geworden; ein starkes Herzschlagen, schwere Verdauung am Nachmittag und Angegriffenheit des Gehirns fand sich ein; das stumpfte mich ab an und für sich, noch vielmehr aber durch die ängstigenden Gedanken, die es in mir aufregte. Gott befreie mich von diesem Übel, es ist unglaublich groß. Adieu, liebe Rahel. Es ist tief in der Nacht, ich bin heute von Berlin zurückgekommen und dabei fünf Meilen geritten. Hier fühle ich mich wieder ganz wohl, doch ist es am Abend immer besser, als am Morgen. Mein Bruder reist mit meiner Schwägerin bis etwa zum 24t. Dann gehe ich fort von hier, und der Teufel muß im Spiel sein, wenn ich nicht in vierzehn Tagen in Dresden bin. Von dort schicke ich Ihnen sogleich einen Boten oder komme selbst. Liebe, warum schreiben Sie nicht? Stört Sie die fremde frivole Welt, die Sie umgiebt? Gott weiß, wie das zugeht. Ich kann Berlin fast gar nicht mehr aushalten, dagegen bin ich hier ganz glücklich und tätig. Noch eins. Elise hatte ein Bremisches Mädchen mit sich, eine Freundin; so etwas von altdeutschem Wesen ist mir nie vorgekommen, wie man die Frauen auf Holbeinschen Bildern sieht; solche naive Augen und Blicke, eine so fromme Treue in den Mienen, ein so stilles Aufmerken auf alles um sie her, und neben der demütigen Ruhe viel Geist und Stärke. Dabei dieselbe Haltung, der vorwärts gebeugte Kopf, die Hände, die sie beim Gehen unter der Brust über einander legt. Ihr Vater war gestorben, daher trug sie immer ein kurzes schwarzes Kleid von wollnem Zeuge, darüber, wenn sie ausging, ein großes weißes auch wollnes Tuch, auf dem Kopf einen einfachen weißen Hut mit schwarzem Band.

A. M.

Haben Sie meinen Brief durch Fichte erhalten, einen zweiten durch die Post? Hat Rühle Geld, Brief, Hefte?

Die Markhusen ist Nettchen Marcus, die Cousine der Rahel. Die Bekanntschaft Rahels mit Varnhagen bestand schon seit 1807; die Verheiratung beider erfolgte erst 1814 am 27. September, also erst nach dem Tode Marwitzens. – Der alte Müller ist der vorerwähnte Bremer Musikdirektor Wilhelm Chr. M.


 << zurück weiter >>