Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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26.

Rahel an Marwitz.

[Teplitz,] Donnerstag früh zehn Uhr, d. 22t. August 1811.

Obgleich erst übermorgen die Post nach Dresden geht, schreibe ich Ihnen doch aus Ungeduld schon heute. Zwei Briefe hatte ich schon von Ihnen, ohne Ihnen antworten zu können, ohne Ihnen geantwortet zu haben. Endlich hatte ich mir fest vorgenommen Ihnen zu schreiben, daß ich Ihnen nicht schreiben könne, daß Sie suchen sollten hierher oder, wie Sie längst projektiert hatten, nach Dresden zu kommen, wohin ich alsdann auch kommen wollte, oder ginge das alles nicht, ich zu Ihnen nach Potsdam kommen wollte, wenn es Sie in keinem Verhältnis stört; weil, da ich Sie doch noch bald sollte sehen, nach dieser großen Störung in den Briefen das Einzige, das Beste sei. (Wie soll ich Ihnen wohl meine Erkenntlichkeit für Ihre Briefe dartun, in denen Sie mir alles mitteilen, vorlegen, was Sie erleben, was Sie betrifft? Hören Sie mir auf, mein teurer Freund, dies zu tun; wenn ich auch verzaubert daliege und nicht antworte, ich höre doch, ich empfinde doch, es muß ein doppelter Trost für mich sein, ein zweifaches Bedürfnis von Ihnen durch Sie zu hören, belebt zu werden. Von allem, was Ihre Nachrichten betrifft, mündlich, und haben Sie keine Antwort von mir vernommen, so glauben Sie nur, jeder Laut von Ihnen hat seine alte Stelle, wuchert in meinem Herzen, und trotz der Stummheit hätten Sie über den Bruder, Harscher, Müllers, über sich und alles zu keinem Besseren reden können. Ich lag arg bezaubert, ja getötet hier. Gerechter Gott! Nach zehn Jahren mußt' ich unter den tötendsten, ungünstigsten Umständen meine erste Krise machen. So getötet, vernichtet hat mich noch nichts, geschmerzt und elend gemacht schon vieles mehr. Kein Wort hierüber in einem Briefe, der an die 3000 Chancen ausgesetzt ist. Mündlich alles besprochen! Als ich Ihnen nun endlich doch schreiben wollte, um Sie eigentlich zu fragen, ob ich rückzu nach Potsdam Sie besuchen kommen könnte ohne incognicité für Sie, bekam ich letzten Dienstag Ihren dritten Brief (leider um einige Stunden zu spät, um noch nach Friedersdorf antworten zu können). Ich muß nun diesen [an] Graf LippeAlexander Graf Lippe, unter den Bekanten der R. oft genannt: vielleicht der spätere kurtrierische Kammerdirektor, 1753–1836. schicken, damit er ihn an Hrn. von Rühl[e] bringt und Sie ihn wenigstens in Dresden bekommen. Hören Sie also! Die Kosten sind zu gering hierherzukommen, um daß Sie sie scheuen könnten, das Leben hier durchaus so wohlfeil und wohlfeiler als das in Dresden. Sie schicken mir also gleich, wenn die Post nicht gleich geht, einen Boten, sowie Sie nach Dresden kommen, und bestimmen genau, wann ich Sie erwarten soll. Ich werde wahnsinnig! Mit Ihnen damals, Eichwald-Graupen im Mondschein, im September-Mondschein zu sich, in der September-Sonne. Ich bin es wert, daß Sie kommen. Vielleicht ist es unser letztes Gebirg-Zusammensein, wie es unser erstes ist. Ich bin hier ganz frei. Sie sind es hier auch. Nur was uns angenehm ist, brauchen wir zu kultivieren. (Vielleicht kommt Gentz Ende September her.) Varnhagen reist bestimmt diesen 28t. August. Heilen Sie diesen schrecklichen Sommer aus meiner Seele! Tun Sie einmal rein etwas für Ihre Freundin! Ein Spaziergang mit Ihnen, ein Blick in Ihre Augen, auf das verwandte Gesicht wird mir das Herz genesen, die Gemütskräfte wieder in Gesundheit zusammensetzen. Ich füge kein Wort hinzu, ich verlasse mich auf Sie.


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