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Dienstag, d. 5t. November 1811, zwölf Uhr Mittags.
Sie Häßlichster (Liebster heißt das, heißt aber nicht immer Liebster), Ihnen habe ich wieder gestern ein großes Stück Tag gewidmet, wollte Ihnen auch gestern einen ausführlichsten Brief schreiben, meine Gesundheit ließ es aber nicht zu, die sich eigenst gegen das Schreiben erklärt hatte. Ha! Robert (mit dem muß ich erst eine Sitzung halten. Adieu!). Jetzt nun ist Robert weg; ich habe sein Stück mit ihm durchkorrigiert – was alles durch mein Zimmer läuft! Er hat mir alle Stimmung und das bißchen Kräfte genommen. Ihre Botenfrau war vorgestern nicht so bald aus dem Zimmer und ich noch im Bette, als Jettchen und Madam Albergh[ini] in die Türe traten, beide zur katholischen Kirche angezogen, die letztere mit dem zitronengelben Mützchen, so frisch und hübsch von der Luft gemacht, als sie nur sein kann; sie wollte mich nur eine Viertelstunde sehen und blieb vor meinem Bette. Ich bat Emilie, morgen oder übermorgen, welchen Tag sie wollte, mit mir zu dinieren. (Ihnen zu Gefallen, des Ausfragens wegen; ich weiß alles über solche Kleine, was ich nur wissen kann und mir nützt; ich habe zu viele gekannt, für Sie aber wollte ich die einigen faits herauspressen. Sie stellen mich doch an? In Ihren Staat?) Gestern Mittag also vor zwölf Uhr; ich sitze und lese Roberts Stück, welches endlich doch geschehen muß, mit der Bleifeder in der Hand, die Türe geht auf, die schlanke Alberghini steht koloriert, freundlich, hübsch, gelbbemützt da. Ich nehme sie freundlichst beruhigend auf, frage, ob sie zu Tisch bei mir bleibt. »Wenn ich es erlaubte.« Ich hatte darum gebeten und bat noch darum. Capotte, Mütze, alles wurde ihr abgenommen, die Entschuldigung eingereicht, daß ich das Geschriebene, welches sie sähe, nachsehn müsse. Von zwölf bis drei, diese Aussicht mit ihr war zu stark, ausgehn könnt' ich nicht mit ihr, sie zeigt sich zu viel mit Jette – da sie nun öfter und für sich und mich ohne gêne kommen sollte, so würde ich fortfahren zu lesen und anzustreichen, sie solle aber auch lesen, reden könnten wir doch dazwischen; und so überreichte ich ihr Madam Frohbergs Roman, geboren zu so etwas. Wir sprachen auch dazwischen; als wir, oder vielmehr ich, ausgelesen hatten, gefrühstückt hatten wir vorher, setzten wir uns nach einigen Gängen im Zimmer ans Fenster. Da frug ich sie ab, nach dem Tode ihrer Schwester und ihren Familienverhältnissen, diese erzählte sie mir antwortend und weinte über die Schwester, die erst vier Wochen tot ist, bald einundzwanzig Jahr alt war, einen in Spanien fechtenden Franzosen liebte, seine Braut war und viel schöner als Emilie. Sie verzog beim Weinen beinah das Gesicht nicht, und dicke Tränen stürzten ihr von den Backen in den Schoß; ich lief und holte ihr ihr Taschentuch vom Sopha. Sie ist von den Personen, die äußerlich unangefochten aussehen, daher kann sie auch wohl Ohnmachten kriegen. Nach dieser Ergießung frug ich sie nach ihrem Bräutigam, und ob sie ihm auch gut sein könnte, sie möchte das sehr erwägen, sonst wäre es ein großes Unglück. Sie versicherte, ihm gut genug zu sein, und sonst würde sie es ja auch nicht tun. Ich frug, ob sie noch nicht geliebt habe; sie sagte: einmal, vor einem Jahre, auch einen Menschen, der sie hätte heiraten wollen, in Westphalen, der Fort hieße, aber ihre Schwester und ihr Vormund hätten davon gewußt, sich nach seinen Umständen erkundigt, und die wären nicht gut, auch nicht nach seiner Aussage gewesen, so hätte es sich zerschlagen. Wir saßen hoch am Fenster, und als sie so mit mir redet, kommt unverhofft, dicht unterm Fenster, von der Friedrichstraße her Urquijo; wir schwindlen ihm, er grüßt. All mein Blut stockte und meine Worte; sie merkte es nicht. Als es gewaltsam wieder vom Herzen strömte, sagte ich ihr (was mach' ich mir daraus!): Sehen Sie, all mein Blut stand mir still, der uns grüßte, den hab' ich geliebt, er hat mich beleidigt, es ist schon sieben Jahr, et tout mon sang ne fait qu'un tour, es war mir hier ganz fest, nun fließt's erst wieder. Sie sind rot, sagte sie, ich werde blaß. Ich war blaß, sagte, ich, das sahen Sie nicht, nun werde ich erst rot. Mir geht's eben so, sagte sie, wenn ich fort sehe, ich werde aber wie der Tod. Was sollte ich nun tun? Ich sagte nach einigen Reden, die mich betrafen und noch mehr berechtigten, ich habe aber gehört, Sie haben einen andern geliebt, der Simon – ich machte mir einen ehemaligen Irrtum, um etwas vaguer sein zu können, zu nutze – oder Salmon heißt. Nein, sagte sie, den kenne ich nicht, beide Namen wiederholend, undurchdringlich, auch für meine Augen, am hellen Tage, in der Nähe, am Fenster; aber verräterisch entwich das Blut ihren Wangen, und was dies bedeute, hatte sie mir vorher gesagt. Ich habe so gehört, wiederholte ich, Simon oder Salmon, der Name ist mir entfallen. Undurchdringlich blieb sie, kerzengerade ohne eine Veränderung. Ohne Emilie nahe treten zu wollen, habe ich schon öfter geringe Menschen so feuerfest gefunden, die sind im Verkehr mit sich selbst und ihrem Innern fremd, aber streng gewöhnt, nur das Allergeringste, das Höchstgleichgültige, das factice in dem Umlauf des hohlen, leeren Tageslaufs von sich zu lassen; nicht so höhere Menschen mit Höherem, im besseren, etwas besseren Umgang. Sie gedenkt zu Ostern Hochzeit zu machen; für jetzt hat der Mann nur 7000 Rtl., giebt aber seiner gewesenen Frau mit drei Kindern 500 Rtl.; ich begreife nicht, wovon er leben will, und machte sie darauf aufmerksam. Sie meinte, es müsse doch gehen (?). Er würde eine Kattundruckerei oder Fabrik, ich glaube das erste, errichten. Mehr kann ich nicht erpressen. Machen Sie nur, daß Salmon sie nicht überfällt, ihr neues Verhältnis stört und ihr Verdruß macht. Er muß sich diese angenehme Emotion versagen. Sie wollte wissen, von wem ich die Namen Simon und Salmon wüßte. Darauf entgegnete ich ihr, da sie kein Zutrauen zu mir habe, so habe ich auch keins. Ich amüsierte sie noch sehr mit Balletanzügen, die ich den vorigen Tag in den Vestalinen gesehen hatte, und wir schieden sehr zufrieden und mit dem Versprechen, sie öfters bei mir zu sehen. Sie ist sieben Jahr im französischen Kloster bei Madame de Hasfeld in Potsdam gewesen, sie spricht es recht französisch und gut, welches mir auch recht angenehm ist. Jette und der Bräutigam hindern mich aber ganz und gar. Morgen von den Vestalinen, von Madam Bethmanns Tee, wo ich heute Abend mit Frau von der Recke und Tietge eingeladen bin, und von Reinhardt, den ich richtig durch Neumann gestern Vormittag sah. Ich sterbe vor Echauffement und muß in die Luft. Adieu, Häßlichster!
Mittwoch, d. 6t. November, Mittags zwei Uhr.
Nun von Reinhardt, aber ungemein wenig, denn mein schönes Feenkleid wirkte nicht. Ich fing alle Gespräche mit ihm an, deren ich nur mächtig werden konnte, die ich nur in unsern Kreis zu ziehen wußte, kurze und unbiegsame Antworten konnte ich ihm wohl abzwingen, sonst aber nichts. Er sprach auch nicht einmal zu mir. Bald hatte ich's inne und sprach nur noch aus Großmut und um meine eigene verlegne Lage voll zu sprechen. Ich schlug immer unbefangener und natürlich zu lebhaft auf alle Büsche. Er blieb nicht sowohl verlegen als präokkupiert mit allem, was ihm lieb und bequem ist. Emilie kam dazu; er empfahl sich bald mit dem Anerbieten Ihnen wieder einen Brief mitzunehmen. Ich wollte ihm nicht ein zweites Mal dieser Marter aussetzen, da er mir ohnehin von seiner ihm für Berlin zugeschnittenen Zeit gesprochen hatte, und daß die Familie ihm zugeredet habe, er solle es mit seinem Fuhrmann abmachen noch ein paar Tage länger hier bleiben zu können. Es wäre nur indiskret gewesen, ihm davon ganz ohne Ersatz etwas zu stehlen. Und ich bat ihn nicht wieder zu mir zu kommen. Sonderbar ist's, da Sie ihn doch auch auf mich präpariert haben; ich ging so weit ihm zu sagen, daß Sie achtundvierzig Stunden mit einander gesprochen haben, daß Sie sehr eingenommen für ihn wären. Es blieb bei nichts. Ich gebe ihm aber doch nur die Schuld zur Hälfte; ich hab' ihn ja auch nicht zu behandeln gewußt, leid tut es mir aber nicht, denn, wen ich nicht behandeln kann, der ist auch nicht für mich, wie ja das Meiste in der Natur. Lassen Sie sich aber davon ja nicht abschrecken noch abhalten, mir künftig doch den Menschen zu schicken, besser tausend falsche Versuche, als einem Menschen vorbeigesegelt. Ich finde, Reinhardt sieht Finckenstein und Grappengießer ähnlich. In manchen Dingen ist er gewiß kritlich und mikroskopisch, – hätte ich kleinlich gesagt, so hätten Sie kleinlich gedacht. Er hat auch keinen Backenbart. Sie sehen, ich bin aufgebracht auf ihn und nenne nur das Schlechte. Nein, wirklich nicht. Es ist mir nur leid, daß Ihnen der Wunsch nicht gelungen ist, daß Sie so sicher schienen, und daß ich halb schuld bin mit meiner Geschicklichkeit. Fragen Sie ihn mal über mich. Gestern war es beinah drei, als ich aufhörte an Sie zu schreiben; ich ging zur Frohberg, um etwas wegen dem Abend zu verabreden, und wollte allein umherlaufen; mir war sehr unwohl im Gehirn. Sie ging abends mit, und ich führte sie an das Potsdamer Tor, wo wir im Achteck oder wie es heißt umher gingen. Das schönste, mildeste Wetter, der lieblichste Sonnenschein, Berlins beste Luft; wir gingen ziemlich lange, den Wilhelmsplatz, die Linden durch nach Hause. Weit nach vier Uhr. Ich wollte erst mich sehr lange ruhen und zu Bethmanns [gehen]. Point de tout; ich finde inliegenden Zettel – den freundlichsten im Leben – von Marcus, und aus Schwäche gehe ich richtig in die Zauberflöte, bis acht da; – hatte ich meine Qual mit ihr. Ich gönnte mir keine Note. Sie wurde wirklich – wenn ich das hier sage, von Seiten des Orchesters gut gegeben. Die Madam spricht sehr gut und modifiziert das Deutsche aus, singt und deklamiert besonders mit großem Maß, war gut angezogen – die Sternenkönigin –, sieht Gräfin Pachta ähnlich und singt gräßliche Koloratur. Der Sänger eine schöne, gesunde Bruststimme ohne feine Seele zum Vortrag, kann viel lernen, auch von dem Fehlenden. Madam Schmidt keine Ahndung von Pamina, aber sehr gut gesungen. – Also ich doch in einem Leid! Das tun Sie mir aber nicht an. Torquato Tasso wird diesen Monat hier gegeben. Zu dem Tag sind Sie hier, für den Platz sorge ich. Dann fuhr ich zu Madam Bethmann, wo Frau von der R[ecke] nicht war. aber Herr Tietge, Stägemann – Staatsrat –, Komödienschulz, ein musikalischer Herr Volange, Deutscher, Herr Greuhm, Herr von Lüttwitz, Mademoiselles Seebalds, zwei Marcusens, Madam Frohberg. Beide Marcusens sangen sehr gut und viel, die Seebalds auch, und gut französisch die Li[man] und Bethmann vortrefflich italienisch, die Liman wie niemand in der Stadt. Ich nannte sie beständig Simonetti. Ich sprach nur mit Herrn von L[üttwitz], der mich amüsierte, und einmal aus respect humain mit der Töplitzer Seebald, damit sie den Äußerungen gegen sie zufolge nicht denken sollte, ich spiele Ball mit ihr. Mit den Herren allen hatte ich auch gesprochen – apropos, Bernhardi war auch da mit Herrn Tiedge und Stägemann besonders. Als ich gegen ein Uhr zu Hause komme, finde ich einen liebenswürdigen Brief von Redtel, den ich mit Stolz Ihnen danke. Und nun erliege ich und gehe spazieren, warte auf einen Brief von Ihnen und gehe heute Abend zum Tee bei Madam Lercaro, alles dieses fade, weil Sie's nicht miterleben und es nicht fade war, nur hier so ist. Adieu.
Donnerstag, d. 7t. November, halb ein Uhr.
Louis, mein Bruder, sitzt bei mir und schreibt seit einer Stunde. Nun möchte ich schon toll werden. Es kam so, weil er und Moritz nun heute nach der Spandauerstraße ziehen. Heute also wird wohl der letzte Trouble dieser Art hier sein, morgen vielleicht noch Nachwehen. Auch Reinhardt war soeben einen Augenblick hier, mir zu sagen, daß er morgen Mittag reist; er war etwas freundlicher. Ich gebe ihm diesen elendesten Brief mit, der letzte, das gelob' ich mir, in dieser Art. Ehe ich nun einen von Ihnen habe, schreibe ich nicht wieder. Bei Lercaros war es häßlich, weil es mit einer gebetenen Familie und der stummen Frohberg so sein muß. Ein alter kassierter Franzose und der sächsische Gesandte – mein Bekannter – kamen hin. Ich hielt mich an das gute Französisch und machte leise zuletzt den Thiele ein wenig toll. Heute hör' ich mit Madam Lercaro Ascherling. Ich muß Mademoiselle Fleck sehen, die man mir sehr lobt und die Meyer bitter tadelt. Adieu. Ich gehe aus désespoir aus. Die Metallfeder macht mich wahnsinnig.
Sonnabend, d. 8t., abends sieben Uhr.
Wenn Sie mich lieben, lieber Marwitz, so machen Sie künftig immer diese Adresse an mich: Herrn Marcus Levin, dem Kasino gegenüber, für R. R. Ihren Brief von Dienstag erhielt ich gestern Abend, den von gestern heute Abend, jeden später, als es unter der angegebenen Adresse geschähe; die Ursache wissen Sie. Deshalb nun, dieser Verspätung wegen, könnt' ich erst heute früh Reinhardt schreiben, daß Sie heute nach Berlin kommen; er wollte heute abreisen und konnte vielleicht seine Reise danach einrichten; er hat mir aber nicht geantwortet und er wird wohl jetzt bei Ihnen sein. Habe ich aber müssen eine Konfusion machen, so ist es meine Schuld nicht. Diesen Brief hier, an dem ich schreibe, den sollte er mitnehmen, ich hielt ihn aber seit dem Ihrigen von gestern Abend zurück. Also künftigen Freitag. Ich weiß nicht, ob es mir lieb oder leid sein soll, weil ich nicht weiß, – aber Torheit! – wie Ihnen der morgende Tag gewesen wäre. Seit dem Sonntag existiert nämlich die Verabredung wegen eines Leibessens von Quast, das ihm Moritz bei einem jüdischen Restaurateur bestellt, daß diese beiden, Madam Frohberg und Louis, jeder eine Schüssel liefernd, morgen Mittag bei mir essen. Dazu habe ich Heister geladen und Sie, wenn es Ihnen nicht zuwider gewesen wäre, wären mein Liebstes und gewiß aller lieber Gast gewesen. Moritz hat schon heute Nacht nicht hier geschlafen, war soeben zum dritten Mal hier, ich auch schon bei ihm. Und wollen Sie meine ganze turpitude sehen und kennen? Mir tut es weh und leid, aber- und abertausend Mal stürzt' er des Tages mit jeder innern und äußern Angelegenheit in mein Zimmer, blieb, bis ich ins Bett stieg, kam, wenn ich noch drin lag, sprach alles und jedes sich vom Herzen mit einem Zutrauen und Bedürfnis, was allein mich schon gewinnt, öde kommt es mir vor, wenn alles, was im Hause geschehn soll, was ich tue, sich nur auf mich bezieht; freudig bin ich nur, wenn ich mich bequeme, schaffe, besorge, bedenke [für andere]. Helas! Nach und nach sehe ich erst ein, aus welchen geselligen Bestandteilen ich gemacht bin; sonst schrieb ich alles der verliebten Liebe zu, ach, und die selbst schwoll und flammte nur von diesen Eigenschaften getrieben, genährt, entzündet, zur verzehrend-verheerenden Glut auf. Zu Asche ist mein Herz, wie ich Campan schrieb; ich überlegt' es noch gestern, es liebt nicht mehr für seine Rechnung, seine Seele lebt nur noch und der Geist; es ist wirklich tot. Und in Eins hat Harscher recht, daß er sich wundert, daß ich weiter lebe. Sehen Sie, wie traurig ich bin! Ich weine auch und sage das Meiste nicht, niemals. Und doch sehe ich auch dies so ganz anders an und kann es wie ein Glück betrachten. Ich bin so unendlich frei in meinem Innern, wie nicht verpflichtet der Erde. O, ich kann es gar in Worten nicht sagen. Mir ist noch immer zu Mute als damals, als ich vierzehn Jahr alt war; für die andern, für die großen Leute war alles; und so ist es noch, vergesse ich meine gräßlichen Schmerzen, die grimme Schmach, und ich habe eigentlich kein Talent mich mit ihnen abzugeben, zu wiederkauen, wie es war, weil von Natur aus ich zum Unglück nicht gemacht bin. Sie war üppig, stolz, übermütig vor Freude, als die Erde mich empfing, aber weiter ging es schlecht und gut, d. h. viel und nichtsnutz, aber gar nicht recht zum Unglück, obgleich ich's empfinde und genoß wie wenige. Den größten Dichter setz' ich da nicht über mich; es traf in's frische, in's bewußte Leben. Mit großer Gefälligkeit sprech' ich von mir, aber Sie wissen zu viel von mir, als daß Sie nicht alles, was ich ergrübeln kann, auch wissen sollten. Und es ist doch nichts Interessanteres als ein Mensch dem Menschen. Sie glauben nicht, wie ironisch ich mich über mich erheben kann bis zur freiesten Lustigkeit ohne Groll und Zorn, und wie ich gewöhnlich ganz von meinem Schicksale abgewandt bin. Neue Kräfte, neuer Mut, neues Sehen, ein frisches, unpersönliches Herz, ein gesunder Kopf, ein recht geistiger Geist, die helfen sehr. Und Sie, Sie helfen mir auch. Sie machen es mir wahr und wirklich, was ich liebe, was ich in mir liebe. Sie vergewissern es mir, daß ich kein Träumender allein hier bin. – Um von einer schönen Frau zu sprechen: Frau von B[assewitz] ist eine. Aber glauben Sie's? Ich sah sie nur von ferne und mied sie, wie alle Bekanntschaft. Ihre Mutter, die auch dort war, kannt' ich von ungefähr, ich werde Ihnen erzählen wie, – und diese, eine überaus gute Frau mied ich, so daß ich Umwege machte und auf einem Ball auf einem Ende des Saals blieb, bloß weil sie auf dem andern waren, und bloß, weil ich die tötend nichtigen Dinge nicht sagen wollte ohne Endzweck, Plan und Lust, und ganz besonders, weil diese Mutter einen gemein freundlichen Mann – gewesener preußischer Offizier – – hat. Den floh ich eigentlich und alle die Menschen, und weil man so sehr um sie her war, um die Schöne. Wenn sie etwas von der Natur, von Grünes, weiß, so ist das sehr viel. Doch glaub' ich's; warum nicht? Sie haben mir gestern einen göttlichen Brief geschrieben; ich weiß nicht, welche Mischung von unbezwinglicher, aber eben bezwungener Rührung, ja Erschütterung zwischen jedem, auch noch so gleichgültigem Wort gedrungen ist. So stark, so ernst, so tränenreich klang mir noch kein Brief von Ihnen, und so aus einem Stück. Sie glauben nicht, wie es mich schmeichelt, daß Sie mich des Französischen wegen loben, weil ich es gar zu gern wüßte und all meines, ich mag es machen, wie ich will, deutsch bleibt. Also die mindeste Illusion, die ich Ihnen nur machen konnte, ist mir Gold wert. Soviel aber ist dabei wahr; ich schrieb es so schnell, wie dies hier, und sehr bewegt wie immer. Heute hatte ich lange Konferenz mit Jette, die mir manches Bestätigende über Emilie erzählte. Sie hat der schon von drei Bräutigams gesprochen, und naiv bemerkte sie: So nennt sie die Männer, die sie hat, immer. Doch ist dieser ein Bräutigam, und Jette glaubt es auch. Mündlich mehr, aber wenig anderes. Die Schmalz sang gestern virtuos, also hatte ich Vergnügen. Sie schreiben mir vor dem Freitag und sagen Redtel viel Angenehmes vor mir. Er soll ja kommen.
R. R.
Ich schäme mich des langen Briefs. Sie müssen mich immer von neuem beruhigen, aber nur im Ernst! Ich finde es himmlisch, daß Sie mir immer schreiben, was Sie machen. Ich traf gestern nach dem Theater Madam Bethmann und Liman bei Marcus, Frohberg und Moritz. Ich amüsierte mich. Gute Nacht, Lieber! Es ist elf Uhr. Die Frohberg hat mich ennuiert; ich wollte Moritz da sehn.
Ludwig Robert, der zweite Bruder der Rahel; gemeint ist wohl sein Trauerspiel »Die Macht der Verhältnisse«, das erst 1819 erschien. – Jettchen Mendelssohn, Tochter des Philosophen. – Raphael d'Urquijo, Legationssekretär bei der Spanischen Gesandtschaft, 1802–1804 mit Rahel verlobt. Die Briefe Urquijos wurden der Rahel durch Uhland zugestellt. – Christoph August Tiedge, der Dichter, Freund und Reisegenosse der Frau von der Recke, die ebenso als Dichterin wie als religiöse Schwärmerin bekannt ist. – Grappengießer, bekannter Berliner Arzt. – Fräulein Schmidt, Sängerin am Kgl. Schauspielhause. – Friedrich August von Stägemann, Staatsrat und patriotischer Dichter. – Komödien-Schulz ist nicht näher zu kennzeichnen, vielleicht der Mann der vorerwähnten Sängerin Kilitschky. – Volange, ebenfalls nicht näher bekannt, vielleicht Wollank, der Stadtjustizrat war. – E. Salemon, Kammergerichtsreferendar, der Regierung in Potsdam überwiesen. – Geschichte des Herrn William Lovell. Von L. Tieck. 1795/96. – von Greuhm, war Geh. Legationsrat und Lippe-Detmoldischer Geschäftsträger. – Ernst Frh. von Lüttwitz, seit 1809 bei der Regierung in Berlin, begeisterter Patriot, später auf seinem Gute Gorkau in Schlesien lebend. R.s Urteil über ihn ist nicht günstig. – A. F. Bernhardi, Direktor des Friedrich-Werderschen Gymnasiums. – Lercaro war Legationssekretär bei der Westfälischen Gesandtschaft. – Der sächsische Gesandte war ein Herr von Thiollaz, vielleicht ist das derselbe, den Rahel einige Zeilen weiter Thiele nennt, jedoch gab es auch einen Major im Allgemeinen Kriegsdepartement von Thiele. – Ascherling, der Name eines nicht näher zu bezeichnenden Stückes. – Madame Schmalz war Sängerin und Schauspielerin in den Kgl. Schauspielen.