Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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63.

Rahel an Marwitz.

Donnerstag, d. 23t. Januar 1812, elf Uhr morgens.

Nur zwei Worte, ehe Sie kommen, und dazu muß dieser Brief um zwölf Uhr weg. Sie sind meine einzige Stütze, wie auf weitem Meere ein Leuchtturm, ein dämmerndes Land; ich wüßte nicht mehr, daß ich Rahel bin, wenn ich nicht an Sie denken könnte, wenn ich Ihre Briefe nicht hätte, ich nicht wüßte, Sie werden kommen. So las ich bis vorgestern manches Mal Ihren kleinen Brief durch Herrn Busch, der mir sehr wohl gefällt. Als ich aber vorgestern Abend spät mir selbst unkenntlich, vernichtet, aus einem wahren Bataillentag zu Hause kam, wurd' ich plötzlich ennobliert wie durch Schwertberührung willentlich und Zaubersaft in einen andern Lebenskreis versetzt (wie wohl ward mir nur dadurch, in mein Lebenselement zurückzukommen!) durch Ihre sehr lieben Briefe, die mir Herr von Scheibler gebracht, aber mich natürlich nicht gefunden hatte. Es war dann endlich die wirkliche Ankunft meiner neuen Schwägerin. Mündlich, wie sie ist, des Zeitmangels wegen. Bis vier hatte ich bei Meyer arrangiert, lief nach Haufe, kaufte noch, aß, zog mich an, fuhr hin, ließ illuminieren, und eine Lampe war noch nicht angezündet, als sie kamen. Bis neun blieben wir bei ihnen, dann fuhr ich mit zu Marcus, bis elf, der unendlich affektiert, konfuse, platt und unleidlich war, mit einem Stücker drei bis vier guten Absichten drunter. Meyer ist, wie er war, wird jetzt eben zu mir herein stürzen, wie immer (das war schon gestern Morgen, und vorgestern annoncierte er es mir schon) und fragt mich immer ganz eilig: Nun hab' ich mich verändert, nein? Nein, antwortete ich. Gestern morgen besuchte ich meine Schwägerin bis vier Uhr, um zu sehen, wie eine von mir gegebene Köchin die Küche macht, und ihr noch ihre Wirtschaft übergebend und ordnend zu zeigen. Dann aß und schlief, sammelte und ruhete ich mich und fuhr zu Madam Herz, wo die Damen Schede, Stuhr, der andere Döhne, Legrand und Winterfeld waren. Ich nahm ein Nähzeug mit, um stockfaul zu sein und womöglich nicht zu forschen. Doch sprach ich mehr als billig, doch nicht hintereinander, und die andern Frauen wohl ebensoviel. Legrand hat mich durch sein Widerwärtiges und Kleines sehr überrascht, schien mir im Anfang affektiert in seines Vetters Art, die Art hat er doch ganz, nach und nach kam er mir besser vor, aufnehmend und aufmerkend und erregbar bis zu Farbewechseln bei bloßem Zuhören, in allem eingehend. Wie viel in dieser avortons-Welt! Eins sagte er, was ich nur von mir gehört hatte und ihn mir also ganz selbständig darstellt, was ich natürlich an mir nicht bewundere, nämlich er setzte der Holländer ihre Weise die Tragödien zu spielen über unsere und über die der Franzosen, versteht aber kein Holländisch so gut als ich, dachte auch über die Bethmann wie ich. Der Abend war lebendig natürlich, also gut, Madam Herz oft geschlagen, still bloß, wenn wirklich Gedachtes und Empfundenes gesagt wurde; jedoch nur mir merklich. Um zehn Uhr fuhr ich fort, weil ich [mit den] Neuvermählten bei Marcus essen mußte und wollte, um sie alle, besonders Meyer, zu soulagieren. Nun ist jede gêne vorbei. Morgen Abend nur noch bin ich bei Bethmanns zu ihrem Geburtstag. Von Harscher war gestern nur insofern die Rede, als er nicht mitkam aus Müdigkeit! BeckerImmanuel Becker, seit 1811 Professor der klassischen Philologie in Berlin. und Schede sind bis Sonntag bei Burgsdorff, letzterer [um] Tieck zu sehen. Auch bei Schleiermacher nannt' ich mit tiefem Bedacht Harscher nicht, weil meine Meinung dann doch trotz jedes Vorsatzes durchgebrochen wäre, welches ihn vorbereitet hätte zu einem ernsten Gerichte. Dies aber soll nicht sein, er soll gepackt werden mitten im Sündigen wie Hamlets Oheim, nicht wenn er betet. Fouqué – und darum schrieb ich eigentlich noch – sah ich vorgestern Vormittag; mündlich, was er sprach; er hat gesagt, aber es ist nicht gewiß deshalb, daß er diesen Abend kommen will. Für heute also, auch weil ich die Nummer nicht weiß, kann ich Scheibler nicht bekommen. Er soll ihn aber sehen. Frau von Fouqué hab' ich noch nicht gesehen. Sie lieb' ich wegen das, was Sie mir von Scheibler schrieben, und wie es dasteht und wegen dem ganzen Brief. Bin Ihre treue Furie und erwarte Sie.

R. R.

Die neue Schwägerin, Ernestine, ist die Frau von Meier Robert. – Döhne, nicht festzustellen, vielleicht Graf Dohna-Wundlaken, Staatsrat, der in Rahels Salon verkehrte. – Wilhelm von Burgsdorff, Tiecks und Humboldts Jugendfreund, lebte ohne Amt ganz seinen künstlerischen und wissenschaftlichen Studien und starb 1822 in Dresden. Durch Brinckmann war Rahel 1795 mit B. bekannt geworden und 1796 mit ihm in Teplitz zusammengetroffen.


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