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Dienstag abends elf Uhr, d. 13t. Januar 1812.
Ich weiß nicht, ob Sie das kennen. Ich war gleich zu meiner Schwägerin gegangen, trete jetzt in mein Zimmer; es ist noch ganz erfüllt von Ihnen, und die größte Liebe zu Ihnen kommt mir darin entgegen, durchströmt mich mit einem Mal. Sie erwarben sie sich gestern ganz wieder von neuem, Sie Lieber! Sie haben es auch gesehn. Gewiß, des einzigen, unschuldigen, milden, weichherzigen Wortes wegen: »Sie müssen sich doch sehr freuen ihn zu sehn.« Von Ihnen, der Sie sich keine Vorstellung zu machen vermögen von der Geistesirrung, die ein starkes, herzgesundes Gemüt entbinden kann zum trüben Gang auf Glück oder Unglück, von Ihrer gesunderhaltenen, reinen, ungebeugten Seele ist dies zu hören ein Triumph. Was menschlich ist, schön und mild, reizend, einfach und lieblich, versteht die unschuldig unbefangene liebe Seele. O Lieber, wie sehr ist mein ganzes Herz dazu gemacht das zu vergöttern, was liebenswürdig ist! Ich muß ihm ewig beistehn, diesem Herzen; es hascht ja nur nach Verehrung und billigungswerten Gegenständen. Es findet sich ja nur im klaren Element der Seligkeit, wenn es leben und lieben kann. So habe ich wegen hundert kleinen Zügen Sie diese Tage unendlich geliebt und bin unendlich dankbar gegen Sie, das Schicksal und mich, die mir dieses belebende, einzig himmlische Gefühl gönnten. Bleiben Sie ja gut, und seien Sie versichert, niemand hat einen besseren Freund gehabt, der mehr jede Bewegung des Herzens sieht und erwägt, als Sie einen an mir haben. Ein großer, ein schöner Trost. Dies wollt' ich Ihnen nur noch heute sagen, und daß Fouqués drei Wochen hier bleiben. Robert sagte es diesen Abend. Auch wollt' ich sagen, daß Sie gestern Abend, als Sie das zweite Mal kamen, über meinen Empfang so empfindlich waren, das entzückt mich, bei andern empört mich und ekelt mich Empfindlichkeit oft, Ihre freute mich. Sie wissen, wie mich das Bild von meinem Freunde heute in Gedanken ängstigen konnte, – es muß so bleiben, denn es ist so. Gönnen Sie mir auch daher die Freude Ihnen sagen zu dürfen, wie Sie mir lieb sind. Gute Nacht! Nun find Sie doch wohl dort.
Mittwoch.
Bis zu dieser Zeile, das hatte ich gestern Abend geschrieben mit einer Skandalfeder, mit tausend ausgestrichenen Worten, zuletzt goß ich noch Tinte drauf; nun habe ich es abgeschrieben mit derselben Feder, zurecht geschnitten von mir selbst mit der Scheere. Gefallen Ihnen die caractère? Sie haben mir gewiß nicht geschrieben, Bösewicht, und wenn Herr von Scheibler kommt, gar nicht. Nämlich, ich will wirklich nur wissen, wie Ihnen die kalte Nacht bekommen ist, und ob Sie wieder rot sind. Dore sprach schon gestern anstatt mich: Ob nun Herr von Marwitz schon dort ist? Bei meiner Schwägerin mußten alle – und gütig taten sie's – mit ausrechnen, ob Sie schon dort sein könnten etc. Heute Mittag esse ich ein Leibegericht dort, und gestern mußt' ich Fanny auf frischer Tat tancieren und sprach immer per Ihr, weil sie sich nämlich auch gegen die Mutter verging. Natürlich tat mir dann die Härte leid, und, hören Sie nur, drei Viertelstunden nachher sprachen wir von allerlei, vom Sommer, vom Frühling, von Reisen und da sagt' ich im Laufe der Rede: »Ehe ich nach Schlesien gehe –.« So schreit Fanny mit einem Male laut auf: Warum nicht gar! Fanny, sag' ich, was ist das? Ja, sagt Hanne, ich will es auch nicht, und Fanny nickt mir, sie war weit von mir; ich winke ihr, sie kommt ganz zerknirscht und traulich, äußerst kindisch zu mir, und wir küssen uns ungeheuer. So versprach ich ihnen noch mancherlei Vergnügen, blieb noch ziemlich lange und ging nicht leer nach Hause. Auch las ich noch, nachdem ich Ihnen geschrieben hatte, viel Billete vom Spanier, mit Fassung. Adieu! Ich bin schon wieder sehr echaufiert. Adieu.
Sieben abends.
Ich will's nicht vergessen, in vierzehn Tagen kommt Achim und Bettine. Und Sie zersprechen sich jetzt mit Herrn von Scheibler. Ich bin ganz allein, zu allem aufgelegt und will lesen.
Sonnabend, d. 18t.
Nein, Sie Häßlicher, Sie sind zu garstig. Sie schreiben mir doch nicht. Und dieser Brief lag hier immer und wartete auf sein Ende. Diesen Augenblick war Fouqué mit Herrn Hesse aus Hamburg zusammen hier; es mag ein Uhr sein. Er war lustig, nämlich munter scherzend, redselig, ich auch, sieht wohl aus. Sie ließ mich außerordentlich grüßen und mir sagen, sie möchte am liebsten einen Mittag mit mir essen. Erst sagt' ich, es sei mir zwar des Mittags am unliebsten, aber wenn sie's wolle, wollt' ich's auch. Beim Weggehn aber widerrief ich das, weil durch vieles Hinundherreden (worin er mir denn auch erzählt hatte, sie wären gestern zu einem großen Tee bei einer Generalin Bieren gewesen) ich nach mancher Freundlichkeit sagte, wenn sie nicht bald kämen, so würde ich sie einen Augenblick des Morgens in ihrem Wirtshause, der Hirsch, Leipziger Straße, besuchen. Ach, nein, sagte er, da fielen Sie doch nur in die Familie! Ich glaubte, er meinte die Kinder, und sagte, das täte nichts, er aber erklärte, die Generalin Bieren sei es, die mit dort Zimmer an Zimmer wohnte (die wohnen in einem Wirtshause). Nun bin ich aber davon ganz digustiert. Solche Generalin giebt's und soll es nicht mehr geben, und die Frau von Fouqué soll mit ihr auf solchem Fuß nicht stehen, daß ich nicht in das miserable Wirtshaus zu ihr kommen könnte! Dergleichen bin ich ganz überdrüssig, zu blasiert darüber. Dabei hatte er mich wieder dringendst nach Nennhausen invitiert, mit großen Bedauernissen und Klagen, wie ich noch nicht dort war. Wäre Heß nicht zugegen gewesen, so hätte ich es ihm gesagt, wie es hier steht, und ärger. Ich will durchaus nicht mehr mir den nicht leicht gesammelten Honig aus dem Korbe nehmen lassen und wie eine Stachelbiene vom Feste gescheucht sein. Mit nichts: es ist ganz aus! Alle Tage fühle ich mich vornehmer; bei jedem Schritt auf der Gasse im Gefühl meines eigenen Körpers, bis zur Lächerlichkeit für Menschen, die nur Eitelkeit kennen; wer aber gar diese nicht in sich trägt, noch übt, der kann fordern, was ich nicht mehr zu erlassen gedenke. Claudestine Bekanntschaften stoße ich von nun an mit dem Fuß von mir. Der Anblick meiner Leiche konnte einem allerliebsten Charakter wie dem meinigen nur diese Härte, diese Empörung geben. Wundern Sie sich nicht darüber, mich bei nichts in dieser wortreichen Heftigkeit zu sehen. Ich habe zu viel davon gelitten, war dazu zu wenig gemacht, und hätte es, glaub' ich gewiß, unter keinen Umständen gegen andere geübt. Ich kann es mir bezeugen und belegen.
Gestern Abend war ich von acht bis halb elf bei der Schleiermacher; sie hatte mir an einen kleinen Zettel von mir, in dem ich sie fragte, mit Bleistift zur Antwort geschrieben, sie würde sich sehr freuen, ich würde sie aber mit Nanny allein treffen (ich hatte mir aber Freitag ausgesucht). Wir waren auch allein, und sehr gut. Im Anfang versuchte ich es, ein klein wenig zu schweigen, weil ich wirklich von mir es zu garstig finde, immer die Positive zu sein. Umsonst, sie saßen gelassen und ließen's drauf ankommen (Nanny sprach gar nicht). Also ich fing an, eh' es in's Lächerliche ging. Und so sprachen wir recht gut von Menschen, Leuten, die wir kennen, und von Weibern; die Schleiermacher manches Wort von weit her und so erfahrungsreich wieder manchmal, als hätte sie sich in den verschiedensten Verhältnissen bewegen müssen, einer Menge zugesehn; alles mit kleinen Ausdrücken, wenig Worten. Auch wenn mir ein lebendig populärer Ausdruck entfuhr, der übrigens ganz ernst gestellt und gemeint war, lachte sie auf, wurde ganz rot und wiederholte ihn. Wir sprachen ganz einig und vertraut; auch Sie kamen öfters vor und mit sichtbar lebendiger Vorliebe. Doch waren wir nicht allein, und es wird nun und nimmermehr daraus etwas. Ich bedarf reichere Quellen, mehreren Stoff. Unsere Gespräche, unser Umgang bezeugt mir zu sehr, was sein kann; ich habe es zu viel gekostet, genossen, imaginiert. Ich bleibe in einer Empörung und disgust, wie Sie sehen, weil ich mir gar nichts mehr weiß mache; nämlich das tat ich nie, aber ich lasse mich von den Göttern selber nicht mehr hinhalten und abspeisen. Verlangen Sie's so gut von uns, verlang' ich's wieder so! Madam Schleiermacher lud mich sehr ein zu kommen; ich versprach's und will es halten. Nanny tancierte ich (und sagte, sie hätte mir gesagt, ich solle es tun, Scherz), daß die nicht einmal kommt. Die Schleiermacher hatte wieder sehr schöne Augen und große Sicherheit, Nanny war stärker, hübscher, aber blaß und sehr blasiert, nämlich mißvergnügt. Sie hat recht. Gestern Morgen läßt sich ein Doktor bei mir hinein sagen, ich wollte eben ausgehn, laufen für Meyer, dessen Namen nicht ausgesprochen wurde. Da die Welt bei mir zu schön haben kann, laß' ich ihn herein treten, es ist Herr Stuhr, ich hielt ihn für einen Professor, durch meine Überraschung mache ich ihn verlegen und fühle die Verlegenheit mit, bringe es gleich wieder in den Gang, und er bestellt mir, daß mich Madam Herz zu Mittwoch einladen läßt, wo sie mir auch Schedens verspricht. Ich unterhalte den Herrn, er geht und ich sage ihm von dem Vergnügen ihn wieder zu sehn. Er ist, wie er mir zuerst schien, etwas unbefangener und jünger; schmutzige Wäsche, Hände und Zähne; kein Gedanke von menschlichem Körper und seinen Erfordernissen; ich sperrte beide Fenster nach ihm auf, auch nach meinem heutigen Besuch. Luft und Gewissen können nicht rein genug sein. Adieu. Bedauern Sie mich! Ich kann gar beinah' nicht lesen. Das Blutsteigen nimmt überhand. Wär' ich nur stark, gesund! Aber denken Sie sich meine Lage ohne Lesen. Gestern, ehe ich meinen Besuch machte, war ich so krank, daß ich in einer lauten Verzweiflung laut sprach, eine ganze Reihe solcher Momente vor mir sehend, als den, welchen ich fühlte. Man verzweifelt doch noch über Zukunft. Adieu. Morgen früh soll dieser Brief reisen.
R. R.
Schreiben kann ich auch sehr schlecht, wie Sie sehen. Robert war hier, der kam von Frau von Fouqué, war auch gestern dort. Die Schleiermacher, bei der gestern Madam Savigny war, sagte mir, Achims kämen heute. Mein infames Billet an Urquijo schicken Sie mir!
Achim von Arnim, heiratete im Frühling 1811 Bettina. – Friedrich de la Motte Fouqué lebte damals ganz seinen dichterischen Neigungen, abwechselnd in Berlin und Nennhausen bei Rathenow, dem Stammgute seiner Frau. – Stuhr war Leutnant und Sekretär bei der Militärstudien-Kommission. – Generalin Biren (Biron, Beeren, Byern?) ist nicht festzustellen; vielleicht die Frau des Generalleutnants Gustav Graf Biron, geb. Freiin von Maltzan.