Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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48.

Marwitz an Rahel.

[Potsdam, nach dem 8t. Nov. 1811.]

Ich muß Ihnen eine Geschichte erzählen, liebe Rahel, von der ich ganz voll bin. Dichter haben dergleichen oft erfunden und schöner dargestellt, als ich es werde darstellen können; aber zu wissen, daß es wirklich, daß es mitten unter uns vorgegangen ist, was sie geschildert haben, hat einen eignen hohen Reiz.

Ich habe hier einen einzigen nähern Bekannten, den Sa. [Salemon] (seinen Namen schreibe ich nicht aus, weil der Brief aufgemacht werden könnte), einen von den unseligen Menschen, um die Himmel und Hölle sich streiten. Sehen Sie ihn in gewöhnlichen Stunden, so erscheint er Ihnen ganz abgelebt, die blauen Augen ganz erloschen; ein ironischer, auch zuweilen boshafter Zug geht über das Gesicht weg, wenn die Langeweile und die Erstorbenheit es auf Augenblicke verlassen. Dann aber hat er erregte Momente; eine starke Röte bemächtigt sich dann des blassen Gesichts; die Augen werden dunkel und strahlend, und es zeigt sich Ihnen plötzlich eine ungemeine Physiognomie, besonders ein feingeschnittenes, ausgezeichnetes Profil. Er hat viel Talente und Gewandtheit, aber zwei Grundeigenschaften konstituieren sein Wesen: einmal ein Gefühl für das hohe, aber eine Unfähigkeit es in seinen tiefsten Gründen zu fassen; daher innere Verworrenheit, Verachtung des Gemeinen, aber Unfähigkeit sich davon loszureißen, sittliche Impotenz, Bewußtsein derselben, daher Verachtung seiner selbst und tiefstes inneres Unglück. Seine zweite Eigenschaft ist eine Raserei für den Kampf, ein zweckloser, zerstörender, auf keine Idee, sondern auf einer wunderlichen physischen Lust ruhender Mut. Kommt er zu Duellen, die er eifrigst sucht, oder denkt er nur recht lebhaft daran, so schwellen ihm alle Adern, und sein Gesicht gewinnt dann jenen erregten Ausdruck, den ich Ihnen beschrieben, dem aber edlere Stimmen hervorrufen. Er lebte vor drei Jahren in Berlin; ihm gegenüber wurde in der Familie einer alten Fr[anzösin] ein junges Mädchen von italienischer Abkunft (Emilie A[lberghin]i) erzogen. Er sieht sie am Fenster und verliebt sich in sie. Durch Erkundigungen, die er über sie einzieht, erfährt er, daß sie höchst eingezogen und unter strenger Aussicht lebt und daß sie nur einmal in der Woche am Sonnabend zu ihrer verheirateten Schwester in die Gegend von Monbijou geht, bei der sie bis zum Sonntag bleibt. Er grüßt sie nun erst, wenn er vorbeigeht und sie am Fenster ist, sie erwidert Gruß; nach so eingeleiteter Bekanntschaft lauert er ihr auf, wie sie zur Schwester geht, sagt ihr nach einigen einleitenden Worten mit der ihm eigenen Gewandtheit, wie sehr sie ihn interessiere, und wie glücklich ihre nähere Bekanntschaft ihn machen würde. Sie zittert an allen Gliedern, faßt sich aber doch und sagt ihm, daß an eine solche Bekanntschaft unter ihren Verhältnissen nicht zu denken sei. Er begleitet sie bis an das Haus der Schwester und kehrt dann zurück. Am folgenden Morgen ist er früh in der Gegend von Monbijou; nach einigem Warten erscheint sie, er folgt ihr in einiger Entfernung; sie geht in die katholische Kirche; dort betet sie inbrünstig; er drängt sich an sie heran, erklärt ihr seine Liebe, und daß er ewig unglücklich sein werde, wenn er getrennt von ihr bleiben müßte. Sie ist in der gewaltigsten Agitation, läßt sich von ihm zurückbegleiten, und wie er ihr jene Versicherungen mit dem größten Feuer wiederholt, gesteht sie ihm zu, daß er sie heimlich besuchen dürfe. S[alemon] macht mir von ihr folgende Beschreibung. Sie war siebzehn Jahre alt, schlank gewachsen, mit vollem Busen, das Gesicht blaß, die Augen tiefliegend von einem dunklen, unergründlichen Feuer (sein ganz wahrer Ausdruck), die Wimpern lang, schwarze, in dichten Locken in das Gesicht fallende Haare, die Züge nicht regelmäßig, aber von dem reinsten und sanftesten Ausdruck, die Lippen von dem frischesten Rot. Sie sprach nicht fertig Deutsch, aber gut Französisch. Den Tag über würde sie genau von der alten Französin bewacht; in der Nacht schlief sie allein, aber in einem Zimmer, zu dem man nur gelangen konnte, wenn man durch ein andres, von den Kindern der Alten bewohntes hindurchgegangen war. S. besuchte sie dort. Er wußte sich den Eingang in das Haus zu jeder Stunde der Nacht zu verschaffen und kam nun in der Regel um Mitternacht zu ihr. Sie gestand ihm ihre Liebe, war aber so unschuldig und unwissend, daß ihm alle unreine Gedanken vergingen, obgleich sie sich ihm nun ganz und mit höchster Glut hingab (sie war glühend wie ihr Land, sagte er mir). Einmal kommt er zu ihr, von Wein und Ärger übernommen, da benutzt er seine Überlegenheit. Sie weint unaussprechlich, Wochen lang; natürlich dauert das Verhältnis fort; sie lebt nur in ihm. Mit den Blumen am Fenster verabredeten sie sich; ging sie zur Schwester, so traf er sie, und dann fuhren sie gewöhnlich nach irgend einem entlegenen Dorf (oft nach Lichtenberg): sie holte dann für ihn einen Stuhl, für sich eine Hütsche, setzte sich auf die, legte Arme und Kopf auf seine Knie und sah ihn stundenlang unverwandt an, während er ihr erzählte. Sprach er ihr von ganz unverständlichen Dingen (finanziellen, die ihn damals viel beschäftigten), so hörte sie doch mit größter Aufmerksamkeit zu und nickte von Zeit zu Zeit mit dem Kopf. Oft fragte sie ihn, ob er auch bete. So dauerte es mehrere Monate. Allmählich wurde er ihrer überdrüssig; gemeiner Ehrgeiz plagte ihn daneben; er wollte steigen (wozu damals Aussichten für ihn waren) und glaubte in dem Verhältnis zu dem Mädchen ein Hindemis zu sehen. Er kam seltener zu ihr, war kälter; sie schrieb ihm nun die einfachsten, zärtlichsten und rührendsten Briefe, glaubte immer ihn beleidigt zu haben und bat ihn dann mit den rührendsten Worten um Verzeihung. S'ai-je offensé mon cher Edouard, schreibt sie ihm ungefähr in dem einen; Ah je t'en demande mille et mille fois pardon, mon cher ami. Oublie mon tort, je t'en prie. So ungefähr, aber alles noch viel natürlicher und edler und in dem lieblichsten Zusammenhang mit dem übrigen (ich schreibe mir nächstens die Briefe ab und schicke sie Ihnen). Er wollte das Band allmählich lösen und fing daher an von Verhältnissen zu reden, die sie trennen könnten; erst verstand sie ihn gar nicht und fragte ihn, wie denn das möglich sei, sie mache ja keine Ansprüche auf ihn, und daran, daß sie ihm gut sei, könne sie doch nichts in der Welt hindern. Wie er deutlicher wurde, sagte sie ihm einmal sanft, sie würde das nicht überleben, ein ander Mal in der wildesten Empörung, sie könne dann nur eine Rache an ihm nehmen, sie würde sich einem jeden preisgeben; aber immer noch glaubte sie nicht an seine Untreue. Er wurde nun gefährlich krank; sie erfuhr es und wurde es auch; einmal ließ er sich auf ihre bewegliche Bitte ans Fenster bringen; wie sie ihn sah, fiel sie in Ohnmacht. Er sah sie nun nicht wieder. Als er gesund wurde, ging er hierher, den Tag vor seiner Abreise schrieb er ihr, den schändlichsten Brief (wie er ihn selbst nennt), worin er in süßen Worten ihr sagt, daß ihre beiderseitige Lage ihnen die Fortsetzung ihres Verhältnisses doch nicht gestatteten, und daß er es daher als abgebrochen betrachte. Er hat seitdem nichts mehr gehört; vor jeder Erkundigung hat er sich gescheut, weil er befürchten muß das Entsetzliche zu erfahren. Furien verfolgten ihn, besonders seit jener törichte Traum von Einfluß und Bedeutung im Staat verschwunden ist; die dunkle Vorstellung dieser Schuld und einer ähnlichen gegen eine verstorbene Braut greift in jede seiner Tätigkeiten lebenraubend hinein, und eine bleiche Gestalt, wie er sich ausdrückt, begleitet ihn auf allen seinen Schritten. Er hofft nur noch auf einen Krieg. Wie er mir seine Geschichte in den wahrsten und bewegtesten Worten mitgeteilt hatte, verglich er sich mit William Lovel und erzählte mir, daß, wie er jenen Roman zum ersten Mal (lange ehe er Emilien gekannt) gelesen habe, so habe er sich auf das Furchtbarste ergriffen gefühlt, besonders durch die Geschichte von Rosaliens Liebe und Pietros Ermordung; er habe den Gedanken daran lange nicht los werden können, und seine Träume wären immer davon erfüllt gewesen.

Es ist wahrscheinlich, daß die Beziehungen Salemons zu der Alberghini schon vorher mündlich zwischen Rahel und Marwitz besprochen worden sind, und daß dieser Brief, der ausführlich die Angelegenheit behandelt, auf einer späteren Mitteilung Salemons beruht, Zumal eine geraume Zelt seitdem vergangen war.


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