Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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91.

Rahel an Marwitz.

Dienstag Morgen im Bette, zehn Uhr, d. 8t. Dezember 1812. Bei den angegriffensten Nerven. Von der Kälte, glaub' ich; darum warte ich sie auch noch im Bette ab.

... Gestern Morgen war ich bei der Schleiermacher, weil sie vorgestern Morgen bei mir war, ohne mich zu treffen. Sie führte mich in ihr Kabinett; nach einigem Redewechsel und einer Bestellung über eingeladene Gäste, nach welchem ich sah, daß sie mich nun nicht einladen würde, sagt' ich ihr in der größten Herzensmilde, mit dem hochblickendsten Geiste, ob sie gedenke, Tieck zu sehen, worauf sie mir Ja antwortete, und worauf ich sie bat, sie möchte ihm nun die Bestellung machen, die Sie vergessen haben; von Ihnen jedoch erwähnt' ich hierbei nichts. Ich sah über diese Nichteinladung weg, wie über alle und wie über die, welche mir schon aus diesem Hause zu Teil geworden sind. Ich sagte ihr bald, ich würde ihr meine Träume bringen und lesen; sie war beschämt, innig und dankbar und frug mich, wie sie nur dergleichen bei mir verdiene, mit wahrhaftester Bescheidenheit, Stocken und innrer Bewegung; auch Ihnen hätte sie schon dasselbe gesagt. Ich bedeutete ihr, wie sie bei mir stehen muß, auch nicht aus der Haut, und wir umarmten uns. Dann sagt' ich ihr, warum ich ihr meine Briefe nicht gerne zeigen möchte; sie sah es ganz ein, blieb aber dabei, bei ihr schade auch dies nicht, was ich angeführt hatte. Ich versprach ihr Ihre, da wurde sie ganz glänzend. Noch andere Worte sagte sie mir, Bettine sei gestern Morgen lange bei ihr gewesen; ich frage freundlich, was sie macht. Die Schleiermacher sagt mir, sie habe gräßlich auf Varnhagen geschimpft wegen der Ohrfeige und des behaltenen Manuskripts, habe aber hinzugesetzt, Varnhagen habe sich bei Herrn Staatsrat Stägemann ihr aufgedrungen und sich neben sie gesetzt. Ich wußte es im genauesten détail, weil sie ihm als monstre aufgefallen war, von Varnhagen anders; er lügt nicht. Ich erzählte es der Schleiermacher, die sagt: Ja, Bettina lüge, sie hätte sie schon attrapiert, und dann hätte sie's gestanden. Wir sprachen stundenlang weitläufigst; ich setzte ihr Bettinens niedrig rohes Betragen gegen mich auseinander, das der Herz, der Minna Schede, wie ich sie alle schone, was ich tue, was sie tun und sind; sie giebt mir alles zu und fügt noch zu. Ich sage ihr, wie schonend, wie nie faits nennend ich verführe, wie unheilig grob sie mit Vermutungen umgingen, daß das erste Wort, was Clemens in Töplitz zu Varnhagen sagt, das ist, daß seine Schwester sich über die garstige, zudringliche Jüdin beklagt, und daß schon dies ihm Schläge zuzog – im Gemüt –, daß sie mir äußerst zuwider sind, und ich Varnhagen geschrieben hätte, wenn einer solcher Strafe verdient, möchte ich der Henker sein, und einen schlagen, von dem man wisse, er wehre sich nicht, sei wie eine Frau schlagen. Das bestritt mir die Schleiermacher und meinte, so sei er nie anzusehn, er müsse sich wehren; sie war nicht gegen die Prügel, denn ich hatte ihr auch gesagt, nur ich wisse, was er getan habe und nicht die andern. Ich empörte mich ohne empört zu sein des Menschenunrechts wegen, welches man mir unermüdet bis am Rande der Gruft zufügt, daß Roheit, Unvernunft und karge Gaben von all diesen das Gegenteil mißhandele mit dem Applaus der Menge, mit der Zulassung meiner Freunde. Denn nun fiel mir ein, daß auch eben diese Schleiermacher mich doch zu bitten und bei dem eben für närrisch und unsittlich Erklärten beim Tee durchzuführen den Mut nicht hätte. Direkt sagt' ich nichts, aber ich behauptete, gegen meinen ersten Freund würd' ich ein Scheuermädchen durchführen, hielt ich sie für edler und sittlicher als ihn (und ich habe es getan kürzlich). Endlich hörte dies Gespräch, bis an all seine benachbarten Grenzen geführt, auf, und wir sprachen von Ihnen, ungefähr wie sonst. Ich mußte der Schleiermacher versprechen, Mittwochs und Sonnabends Vormittag zu kommen, dann wären die Kinder weg; ich versprach zu morgen mit den Träumen zu kommen. Sie zweifelte noch einmal, rührender noch, wieso sie mir was sei, ich ihr so etwas zeigen wollte, dankte mir freudig und überschwenglich, und nachdem sie mir die Kinder gezeigt hatte und noch taufend Freundlichkeiten, ging ich. Auf der Straße aber fiel es mir auf's Herz, mich nicht immer von neuem mißhandeln zu lassen. Ich will nicht. Mir falle auch ein edles Opfer. Von der Schleiermacher grade will ich es nicht leiden. Von niemand mehr. Minna, Bettine, die Herz, die nichtgeachteten kann sie bitten. Dies ist mein letzter Ausspruch. Morgen gehe ich nicht zu ihr; ich lasse ihr absagen, um so mehr, da ich nicht weiß, ob ich ihr die Briefe in Bezug auf Mutine zeigen kann. Ich kann endlich jeden missen, mich hat das Leben nicht vernichtet, mich hat es wirklich und wahrhaft umgeschmiedet auf seinem feurigen Ambos. Auch kann dies ein jeder, mich wieder missen. Glück auf! ich bin's zufrieden. Voll bleibt die Welt. Mir überkommt so viel Witz, Laune, Ideen, Leben, Zärtlichkeit nicht, mein sparsames Futter liefert mir jeder Hof. Diese Worte alle stehen hart neben einander; ich merke es selbst. Schieben Sie den Anschein darauf, daß Sie von allen meinen Entschlüssen den Grund und die Gründe kennen, daß ich heute absolut nicht mit der Feder schreiben kann und also jedes Wort zu sparen suche, Nervenzittern und das größte Echauffement habe.

Zu meinem letzten Brief an Sie, Lieber, habe ich wohl gefühlt, muß ich einen Nachtrag machen. Dies war ein Brief, wo ich Ihnen mein Herz aufklappte, und weiter nichts, wo ich Ihnen mein Bewußtsein aufschlug, daß Sie wie ich Gegenwart und Vergangenheit schauen möchten, damit Sie sich fassen und für mich ertragen, was ich ertragen muß. Denn unmittelbar hatten Sie nichts zu ertragen; Sie wollte ich bereiten. Sie schonen, damit Sie mich schonen und verständen und mir das Leben nicht sauer machten. Helfen sollen Freunde. Denn verstehen sollen Sie und gütig wollen. So helfe ich jedesmal. Wie leise fühle ich, was häßlich ist, wie übergehe ich's und weiß das Bessere herauszuheben und zur Freude und Bequemlichkeit, zur Schonung herauszulegen. Es liefert uns die Erde nichts rein; ist es der Wille, so ist es schon viel. Wir irren uns alle und verwirren uns im Ergreifen; retten wir das Bewußtsein, so ist das viel. Das Leben wird Ihnen an Ihnen selbst nur dies wiederholt zeigen. So seien Sie auch nachsichtig und einsichtig gegen mich. Wer hat einen Freund aufzuweisen wie ich, der aus den innersten Ursachen bestimmt sein Leben nur mit mir zubringen will, nur an meiner Seite das beste Glück finden kann! Dies Gut ist selten. Es ist nicht rein, aber es reinigt sich jeden Tag; das bin ich sicher und erlebe es. Was kann mir noch geboten werden, oder wer bietet mir etwas? Meine Klagen aber, wenn ich verletzt bin, müssen in Ihren Schoß fallen, aber sie müssen darin nicht erblühen mir zu neuem Leid. Wie tief vergrabe ich Ihre? Sie denken, der Wind hat sie entführt.

Wie kann ich Varnhagen etwas von Ihnen über seine Aufführung bestellen? Mich hat er verletzt, nicht Sie. Ich lobte ihm Ihr Gemüt, welches mich entzückte, und sagte ihm: Nur darauf, daß Du mir gesagt hast, Du wollest mit M[arwitz] sprechen, und ich ihm geschrieben habe, ich wolle dies tun, ist er schon so engelhaft freundlich, und nun soll ich ihm bestellen, wenn er nicht bereuet, so meinen Sie's nicht so? Das geht gar nicht. Was ich Schiefes erdulde, und worauf ich (auf die Einsicht) hier warte, das müssen Sie mit mir, oder mich mit korrigieren. Sie wissen aber, wie ich das Ganze und alle seine Teile ansehe, ansehn muß. Nicht Sie, nicht ich, nicht die Götter ohne Wunder können mein Schicksal erneuen; dies muß ich ausspielen. Die Blume ist zerdrückt auf dieser Pflanze, dies vergessen Sie nicht! Ihr Laub macht Illusion. Besonders erwarte ich die Hülse, die Nachsicht wenigstens, die Schonung, die ich leiste. Moritz ist wieder da. (Ich bin äußerst gestört, äußerst echauffiert.) Soll ich den Trost mich beklagen zu dürfen entbehren, damit nicht noch größere Spannungen für mich erwachsen? O nein. Seien wir menschlich! Schonen wir uns! Heute aber ehr' ich Sie über alles und sage Ihnen grade, was ich verlange. Sie wissen, wie schwer mir das wird. Adieu.

R.R.

Antwort über die Briefe über Mutine. Ein sehr schlecht ausgedrückter Brief. Vorgestern hatte ich Ihnen in meinem Kopf einen andern geschrieben. Adieu!

Die öftere Erwähnung der Mutine hatte Frau Schleiermacher verletzt. – Ein Zusatz Rahels über die Geburt des Kindes, bei dem sie die Gevatterschaft übernehmen sollte, ist fortgeblieben.


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