Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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69.

Rahel an Marwitz.

Mittwoch Vormittag gegen zwölf, d. 11t. März 1812.

Was ist das, Lieber, daß Sie mir nicht schreiben; soll ich mich ängstigen? Wollen Sie sich zu mir vergleichen, die ganz vernichtet ist, und die ohnehin noch immer gestört wird? Denn noch immer war ich nicht aus, und die ganze Familie denkt mich besuchen zu müssen und stört mich richtig, grade immer in den Morgenstunden, wo ich schreiben kann; den Nachmittag ist mir unbehaglich, und alle Reden an Sie mir vergangen, und dann rechne ich so; nun geht der Brief doch erst morgen Mittag, bekommt er ihn übermorgen; vaut autant, du schreibst morgen früh, und morgen früh geht's mir ebenso. Sie sind doch nicht krank? Jetzt müssen Sie mich aufheitern und anregen, erfrischen und ermuntern und mir Vorrat vor den Geist bringen. Ich bin an Leib und Seele ganz erschöpft, zu hin. Sonnabend konnt' ich's Varnhagen in seiner ganzen Monstrosität ausdrücken, wie mir ist oder mir da war. Was hat er mir aber auch für einen Brief geschickt und in welchem Moment! Hingerichtet, geopfert, dem Tode näher als dem Leben, lag ich beinah regungslos auf mein Lager gefallen; nach einer strengen sowohl als tiefen Untersuchung meiner selbst und allen Windungen meines Lebens; ganz hatte ich gefunden, wo die Dissonanz, die Tonspaltung anfing. Erschöpft lag ich über das Maß Zeit hinaus, woran ich eigentlich mit meinen Lebensjahren stehe, als man mir beifolgende Briefe reichte. Erst las ich den an mich, zagend und mit zurückstockendem Herzen wollte ich den zweiten nicht lesen, und las ihn doch. Man soll einem Menschen so etwas nicht vorhalten, nicht daß ich nicht alles und nicht besser wüßte und hundert Mal ausgedruckt habe, wo bei mir, von mir alles zu finden ist in Briefen. (Das schrieb ich auch Varnhagen zurück.) Aber wie man einem großen Arzt seine letzten Augenblicke erheitern soll und nicht sich unterrichtend von seinem tödlichen Übel ihn unterhalten soll, das der Mann selbst am besten kennt und zum Unterricht schon erörtert hat, so sollte man mich zerstreuen wo möglich. Mein Schmerz war grenzenlos wie mein Geschrei und mein Herzpochen. Wie in Wänden eingefangen fand ich mich, auch von außen, so unangenehm waren wir das Lange, das eben Anerkannte daher, so furchtbar, so unwiderruflich. Ich ward auf viele Tage ganz krank, das Herz zur eignen Furcht nicht zum ertragen im Busen. Wenn ich mich auch wieder faßte und mit meinen Gedanken in die rege, lebendige Welt führte, wie ich auch schon Varnhagen geschrieben hatte, was ich ungefähr hier sage, und er solle es sich nicht leid sein lassen, es wäre auch noch anders, als er und ich es in einen Begriff fassen könnten, sonst müßt' ich ja auch schon tot niedergeschlagen sein. Bei dem Worte, wo Sie den Stern sahen, kamen Ernestine, ihre Mutter und eine Madam Friedländer, die Sie nicht kennen, dann Meyer, dann Marcusens und Hanne, die mir Ihren kleinen Brief, der mit den dreißig Rtl. kam, brachte. Sehen Sie also wieder die Störung. Sie schrieben mir ja so zerstreut, Lieber, als wenn Sie verliebt wären. Es freut mich, daß Sie Sanssouci, Himmel und Luft sehr genießen. Ich bin noch immer sequestriert, verdammt. Vielen Dank für's Geld. Wie weh tut es mir, daß es Ihnen Mühe machte. Marcus war grade hier, er sagte mir ganz artig und freimütig, es habe Zeit mit dem Rest. Erlauben Sie mir noch ein Wort von immer schmutzigem Geld. Sie wissen doch ganz gewiß, daß das, was ich Ihnen verwahrte, ganz richtig ist? Denn ich habe keinen sous in Konfusion davon genommen, und jedes Agio liegt dabei. Es ist Ihre ganz besondere Kommode.

Auch darum, Lieber, wollte ich Ihnen nicht schreiben, weil es keine Klagebriefe mehr werden sollen. Dies muß ein Maß, ein Ziel haben, wenn es würdig, in mir selbst würdig bleiben soll; so müssen Sie auch diesen schon, obgleich er von Jammerklagen strotzt, nicht für einen solchen halten und nehmen; sehen Sie auf die außerordentliche Veranlassung zurück. Und ärgern Sie sich nur noch einmal mit mir, daß der tolle Varnhagen, dem ich die größte Danksagung zollen muß und zolle, für seine Liebe, mitten in seiner Apotheose mich ungerecht nennt, bei Josephinen. Was wär' ich wohl Gutes, ich, wenn ich ungerecht sein könnte? Mich dünkt, der einzige Mittelpunkt, die Achse meines unglänzenden, verränkten Wesens, des unscheinbaren, des grazien- und talentlosen, ist, daß dieser Punkt zu finden ist, daß ich gerecht bin für andere wie für mich. (So schrieb ich Ihnen schon einmal.) Könnte ich gegen ihn sein, wie Varnhagen sagt, was wär' ich dann, und was könne und wolle er denn wohl in und von mir behaupten? Aber zum Glück wissen Sie, mein Freund, was er ungerecht nennt, wann er mich so nannte. Als ich ihm schrieb »Bessere dich wirklich« etc., da schrieb er, ich sei ungerecht gegen ihn, weil die Welt mich verletzt habe, im Ganzen. Und er war toll gegen meine Freundin gewesen und wo möglich verletzend gegen mich, und als das endlich zur Sprache kam, wollte er die ausprügeln. O, seien Sie mein Freund und retten Sie, wenn ich tot bin, das Bild meiner Seele. So lange ich lebe, muß jeder Tag mich verteidigen, nur tot, als Objekt, soll mir meine volle Gerechtigkeit geschehn! Ich habe du Guesclins Leben fertig gelesen, es ist schlecht aufgefaßt und so geschrieben, daß man sieht, die urkundlichen Nachrichten sind schlecht. Grad als Sie wegreisten, las ich Agricolas Leben von Tacitus, da gefiel mir besonders trotz der fabelhaften Übersetzung sehr die Beschreibung der letzten Schlacht, die er gegen das letzte Volk der Britanen lieferte; sie war für mich so deutlich erzählt, als sähe ich sie, welches ich in allen dergleichen Beschreibungen immer vermisse, die mich gewöhnlich ganz verwirren, und wo ich mich für dumm halte, glaubend, die andern Leser verstehn es gewiß besser. Vor ungefähr sechs Tagen war Minna Spazier bei mir, die erzählte mir, man habe ihr gesagt, Herr Geheimrat Wolf habe erzählt, er hätte Sie bei mir gesehen, wo Sie ihm eine hübsche Novelle vorgelesen hätten (welches ich nämlich ihm erzählt habe). Wie gefällt Ihnen das? Frau von Fouqué hat mir recht hübsch geschrieben, ich mußte aber Varnhagen antworten. J. Wobring, Barnekow habe wenig oder keine Schreibekräfte. Nun will ich ihr aber schreiben. Sie Undankbarer haben mir auch nicht ein freundliches Wort geschrieben. Warum, Schlechtester, hebt sich meine Seele, wenn ich Ihnen schreibe! Ihre erzürnte R., Furie, Gräfin von Doberluck etc.

Geben Sie sich nun nur keine Mühe zu antworten, sondern kommen Sie, Bösewicht! Friedrichs Worte freuten mich, wie eilig, wie wahr!

Bertrand du Guesclin, der Connetable von Frankreich unter Karl V., 1320–1380; sein Leben schrieb Guyard de Berville 1767. – Tacitus beschrieb das Leben seines Schwiegervaters Agricola: die Schrift erschien in vielen Ausgaben und deutschen Übersetzungen. – Minna Spazier, die oft genannte Freundin der Rahel. – Friedrich, der Bruder Alexanders v. d. M.


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