Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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58.

Rahel an Marwitz.

Sonntag Mittag zwei Uhr, d. 5t. Januar 1812.

Könnt' ich Ihnen doch mit einem Male alle meine Meinungen in Ihre Seele stellen, wie Sie vornehmlich gestern bei und nach Lesung Ihres Briefes vor meiner standen! Etwa gegen Mittag erhielt ich ihn; ich hatte nur die Zeit ihn zu lesen, dann mußt' ich ausgehen; ich kann nichts tun, kaum schreiben, beim Lesen steigt mir auf eine ängstigende Weise etwas im Kopf auf; ich weiß nicht, ob es Blut ist, doch glaub' ich's nicht, dem Gefühle nach ist es wie eine Wolke oder gar ein Lebendiges im Kopfe, was mich drängt dadurch, daß es so ist, als drängte es sich selbst. Lauter verwirrte Schupfen, die im zu verwirrten Nervenspiel keinen Ausweg mehr finden und es erhöhen und weiter verwirren, mein Tod. Das Klima paßt durchaus nicht mehr zu mir, auch meine Lebensweise nicht. – Meyer hat mir eine lange Liste mit Aufträgen zu seiner Wirtschaft hingelegt, welche alle sich der Zahl und den Geschäften nach in beinah das Doppelte zerspalten. Ich ging also weit und viel. In den langen, schneeigen, sonnigen, gemein bewegten Straßen tat ich nichts, als Ihnen antworten in der Todesangst, daß morgen nicht ein Wort mehr davon da sein wird, wie es denn auch heute ist. Lieber Freund, wie elend steht's mit uns! Ist es erhört? Heißt das gelebt? Keine Musik, kein Kunstwerk, kein reizend Ziel in Gesellschaft und Staat, wo auch das Auge wem auch durch noch so viel Mitteldunkel hinblicken könnte. Kein Klima, kein Grün, keine Blumen, kein Gespräch, keine Liebe, keinen Gegenstand, dessen Anblick entzückte und einem die Welt entrückte, ersetzte, vergegenwärtigte, in lebendigem Farbenlichte stellte! Sind Mensch, sind wir dazu errichtet, um mit Gut und Blut an einem gespenstischen zu nichts werdenden Gedanken zu nagen? Und wär' es die würdigste Idee – wie man es häufig nennt – das ganze Leben und seine Anlagen ins Werk zu setzen, dies allein ist die größte, vollste Idee für den lebendigen Menschen. Alle die Versuche zu leben, gemein oder im Gefühl der Vergeblichkeit auskämpfend oder gar in bewußter Verzweiflung, sind furchtbar. Jede Extravaganz scheint mir richtig und erlaubt. Ich kann meine Gedanken hierüber nicht mehr mitteilen. Nur der Gemeine darf im trüben, schmutzigen, benebelt-ohnmächtigen Sinn sich nichts erlauben. Ist es erlaubt, daß eine Jugend wie die Ihrige so herabrolle? Erlaubt, daß ein Leben wie das meinige so verwese? Wer sich anders darin ergiebt als ich, hat kein Leben mitbekommen; besser ist er nicht. Ich bin ebenso außer mir über andere. Denken Sie sich alles hinzu, was ich Ihnen jetzt nicht sagen kann, und vielleicht ein anderes Mal sage. Wie ich gewöhnlich das Wesentliche zu sagen vergesse, so hab' ich auch neulich Ihnen nicht gesagt, wie höchst zuwider es mir ist, daß ich nun nicht mehr so unschuldig wie sonst zu Goethen stehe. Mir ist es äußerst unangenehm, daß er nun auch so von mir bekrochen und besponnen ist, wie eine edle, reine Pflanze von Gespinnst und Würmern. Ich bin gar nicht gern das Wurm und bin keins. Warum können Sie alles so gut sagen, was Sie wissen, und ich gar nicht? Es ärgert mich rasend! Ekossaise und Quadrille sind die Blüten Ihres Daseins, der Mittelpunkt Ihrer Gedanken, der einzig ungeheuchelte Ernst, dessen Sie fähig sind. Sie glauben, ich bin nicht bis in jeden Blutstropfen von dieser Wahrheit durchdrungen? Hätte ich es aber jemals ausdrücken können? Sie werden schon sehen Marwitz! Nur über das Schlechte blasiert man sich. Sie können gar nicht mehr nach den Offizieren hinsehn. So haben Sie mir auch über Goethens Brief göttliche Worte geschrieben. Sein Brief ist, wie Sie sagen, und nicht anders. Sie hetzen mich noch mehr auf ihn auf. Mein Wesen hält die Liebe und Verehrung gar nicht mehr. Nun will ich Ihnen aber aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. Sie lächelten neulich so, als ich Ihnen sagte, alle Worte von Goethe kämen mir ganz anders vor, wenn er sie sagte, als wenn auch andere Menschen dieselben sagten, als Hoffnung, Treue, Furcht etc. Sie lächelten, gaben mir recht und erklärten meine Worte. Nun hören Sie aber das Unerhörte. So kommt es mir mit meinem Leben vor. Mich dünkt immer, in dem ernsten, aus dem blutigsten, lebendigsten Herzen gegriffenem Sinne tun die andern Menschen nichts. Ich denke so, nämlich noch nicht lange deutlich, und so sag' ich's Ihnen auch. Drum erkenne ich auch Goethens Worte und jede Wahrheit von Menschen geübt. Diesmal find' ich in Varnhagens Brief keine Eitelkeit, Sie müssen sie mir zeigen, wohl aber das Beste minutieuser ausgedrückt, als das Gefühl davon mit sich bringt. Salemon bringt Sie ganz herunter, eben weil er immer Anlauf zu nehmen scheint; nichts ist nervenreizender, meiden Sie ihn! Ich habe allerlei Leute gesehen, Nostitz war ein paar Mal bei mir und hat mir vorgestern Louis' Tod erzählt. Er starb, wie ich mir's dachte, echaufiert, ganz so, Bewegung und alles. Ich dachte selbst zu sterben. Ein Gemüt konnte seines kennen, das war ich, wir haben dieselben Fehler. Ich erkläre es Ihnen einmal. Der war mein wahrster Bruder. Ich bin übrigens nicht empfindsam über ihn und weiß alles von ihm. Sie wissen es. Was haben Sie mit Präsidents vorgehabt? Wodurch kann es sich so deutlich zeigen und entwickelt haben, daß seine und Ihre Natur dissonieren? Er ist ja so häufig in seinem Zimmer. Hat sie keine Lust dies zu mitigieren, was Frauen so edel, schön und leicht und alle können? Sollte ein anderer mit im Spiel sein? Sie einen zu auflösenden Akkord ausgesprochen haben? Meine Neugierde bezieht sich auf das geschäftliche Verhältnis, das doch nicht isoliert stehn kann, und auch der Kampf (wenn an Unterliegen nicht zu denken wäre) ist mir unangenehm, wenn er nicht gleich um das Höchste geht. Die Schleiermacher schien ganz gut gegen Sie, doch will ich sie dieser Tage sehn und es besser versuchen. Es ist sonderbar und selten mir lieb, daß ein edles Verhältnis doch manchmal in der Welt wirkt. Nostitz dachte nicht dran, Herrn Fromm zu besuchen, noch nach Pauline zu fragen, und mich suchte er angelegentlichst auf und läßt mich immer hundert Mal grüßen. Hören Sie, ob es glaublich ist! Seit ich von Urquijo getrennt bin, hab' ich keinen Brief von ihm nachgelesen, in dem festen Gedanken, sie seien dumm, undeutlich geschrieben, und ich wüßte alles, was sie enthalten, und er hätte mich nie geliebt. Ich weiß nicht, ob Sie eine Idee von einem göttlichen Ausspruche haben, von dem festen Zauber des Verliebtseins. Wissen Sie, daß dieser Mensch der Arbiter meines Lebens war und also bleibt; daß er und alles, was von ihm kommt, mir ewig einzig wichtig bleiben wird und ist, ist auch wahr. Vorgestern nehm' ich sein Paket Briefe, um meine Bulletins zu lesen, die hintenan geschrieben sind; ich lese die Briefe, einen, dann mehr; es sind die größten Liebesbriefe, so gut als meine. Was sagen Sie dazu? Das kann nur mir begegnen! Ich hatte es vergessen, er hatte es mich aus Schmach und Zurückstoßen vergessen machen, er konnte auch dies. Sie sind gar nicht so dumm; voller verkehrter Eifersucht, die er oft deguisiert, oft nicht, die ich nicht verstand, weil mein in Liebe sterbendes Herz es nicht erriet, erraten konnte. Die Schrift ist äußerst klein, bis zwei Uhr habe ich auch heute gelesen, die Nacht. Mein letztes Leben ging in Tränen dahin. Welch ein verrückter Fluch! Auch er liebte mich. Die Marter war zu groß, der Verlust zu erschöpfend, und heute bin ich zu müde, zu blind. Adieu. Wollen wir fliehen? Wälderwärts ziehen? Adieu. Nach jedem Aussprechen der Trauer komme ich in eine Art von Vergnügen hinein. Ist es mit allen Menschen so, oder bin ich besonders heiter und gesund geschaffen? Auch hat es heilend, gütig, sanft, wohltätig nach unendlichem Fasten mein Herz berührt, daß er doch auch in Tönen der Liebe zu mir sprach und die Götter mir wohl alles verbitten, aber nicht alles versagt haben. Sie sind viel zu jung für einen Beichtvater; und um das Verkehrte doch wenigstens recht zu machen, habe ich Sie zu meinem gemacht. Ich segne Sie, lieber Vater!


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