Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Gesichtet

Das abgeschirmte Licht fiel auf Papiere, die mit Ziffern und Gleichungen bedeckt waren. Windhebel sprang auf, stolperte über Atlanten, die am Fußboden lagen, drehte die Lampe über einer Sternkarte auf.

Tiefe Stille. Der Bleistift scharrte leise, Papiere raschelten.

Vor Jahren hatte Kortüm auf seinem Dach eine silberne Windfahne aufgestellt und ließ sie anstrahlen, damit sie auch in der Nacht weit ins Land leuchten konnte. Er war damals ein Stück in den Wald hineingegangen. Die Bäume dufteten und bewegten langsam ihre Wipfel. Kortüm hatte durch die Zweige seine silberne Windfahne blitzen sehen: 746 das ist mein schönster Gedanke, hatte er gesagt, und mitleidig die kleinen Sterne am Himmel verglichen mit seinem Sternbild – wer Sternenähnliches schafft, versieht sich leicht in den Maßen, denn das steht den Augen nahe und verdeckt die Sternwirklichkeiten, die durch die Ferne des Raumes ziehen.

Soweit die Refraktoren den Blick in die Weltnacht dringen lassen, kannte Doktor Windhebel die Gestirne – seit heute nacht aber war er endlich der Gewißheit froh geworden, einen Stern mehr zu kennen als andre Menschen: an der Entdeckung des neuen Planetoiden bestand kein Zweifel mehr. Ein zartgrün schimmerndes zitterndes Licht gab der Stern. Welcher Stern? Wie hieß er?

Windhebel lächelte trübe. Er hatte nie ein Mädchen gefunden, deren Name seinen Stern wert war. Sein schweres Gelehrtendasein zog an ihm vorüber, die stummen Gedankenqualen, die Einsamkeit in dem eisigen Raum des Geistes, die Enttäuschungen im stallwarmen Raum des Daseins –

»Urtica werde ich ihn nennen.« Aber er dachte an den zart schimmernden Lichthauch in der Tiefe des Weltraumes, der ihm gehörte: »Nein . . . die Nessel lebt von gelebtem Dasein. Was aber aus sich selber lebt, erlebt bewegend« – Windhebel schwieg, er sah im Geiste die Nesseln schwanken um einen schwarzen Stein: ›Hier ruht Kortüm‹. Windhebel stand auf: »Daß er nicht drunter ruht, das eben ist's!« Er blickte nach dem Bezirk des nächtlichen Himmels, in dem jetzt, einem bloßen Auge unsichtbar, der neue Stern seine Bahn zog . . . Windhebel lächelte: »Kortüm sollst du heißen.«

Die Nachricht von dem neuen Stern ging in die Welt.

In den kommenden Nächten begannen sich rings auf dem Erdkreis die Kuppeln der Observatorien langsam zu drehen.

Die Refraktoren hoben sich, senkten sich; sie suchten den Kortüm. Schweigende Nacht, unendlich . . .

Die Zyklopenaugen starrten in den Weltraum hinaus, suchten, suchten.

Eines Morgens hielt Doktor Windhebel ein Kabel von der Licksternwarte in der Hand: »Unseren Glückwunsch! Kortüm gesichtet.«

 

Ende.

 


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