Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Volk

Gelassen, in seinem alten gemeßnen Schritt, dessen Takt er einen halben Tag und beinahe eine ganze Nacht lang nicht hatte finden können, kam jetzt Herr Kortüm über den Schottenhof. Wald und Haus lagen im frühen Grau, aber durch das Gewölk schossen die ersten Sonnenstrahlen. Kortüm ging, als wenn er allein im Morgengrauen dieser Landschaft wäre, blieb stehen, sah nach dem Wetter, rieb das Kinn: er hatte nicht nur seine alte Gangart, er hatte sich wiedergefunden.

Monich stand auf: »Kortüm, du verstehst's. Mausestille is es geworden. Auf einen Schlag.«

»Sie können Wunder tun«, sagte Windhebel kopfschüttelnd.

374 »Ich nicht«, sprach Herr Kortüm. »Herr Specht, wecken Sie die Köchin. Sie soll Kaffee kochen. Ziehn Sie sich bitte bei dieser Gelegenheit ordentlich an. Mit dem Regenmantel und den nackten Beinen, das geht nicht, es ist Tag. Dann kommen Sie wieder –«

»Gewiß, Herr Kortüm.«

»Starken Kaffee!« rief ihm der Herr des Hauses nach.

Windhebel betrachtete diesen Wirt. Wahrhaftig, dachte er, Holdermann hat's getroffen. Jetzt sieht er seinem Ölbild in der Halle ähnlich. »Sie haben gesagt, nicht Sie hätten Ruhe geschafft?« fragte er, »der Dicke wohl, der Filmchef oder wie er heißt?«

Herr Kortüm schüttelte den Kopf: »Nimm doch die Flaschen vom Tisch, Monich! Und die Gläser. Wie sagten Sie? Ah – wer . . .? Mein Echo, Herr Doktor.«

»Wer??«

Kortüm legte ein Bein übers andre und sah wieder nach dem Wetter: die Wolken wälzten sich langsam umeinander, ein rotgoldner Lichtschwaden brach eben durch das graue Gewühl am Himmel.

Aber Windhebel wollte Antwort haben: »Sie haben ein Echo?«

Monich wußte Bescheid: »Da hinten, nee dort, da hat er eins.«

»Und das ist eingesprungen, Monich. Im letzten Augenblick.« Kortüm atmete hörbar die feuchte würzige Morgenluft ein. Windhebel blickte abwechselnd seine beiden Tischgenossen ratlos an.

»Wenn du grob wirst un die Gäste hörn deine Grobheiten gleich dreimal auf einmal, das merken sie.«

»Meine Worte? Nein, Monich. Ihre eignen haben sie gehört. Nur so wirkt's. Wenn man sich selber im Echo vernimmt, schließt man ebenso schnell den Mund, wie man beim Anblick seines Porträts mit den Augen zwinkert. Die World ist still geworden.«

»Das Verfahren müssen Sie sich patentieren lassen. Ein Echo im richtigen Augenblick käme manchem zustatten.«

»Ich habe mein Echo und gönne jedem sein Echo. Eigentumsrechte würden dem Echobesitz nur schaden.«

»Paßt auf«, sagte der Gelehrte in tiefen Gedanken, »wenn schon der Laie die Grenzgebiete der Physik sich nutzbar machen lernt – Sie scheinen in mehrfacher Hinsicht dafür begabt zu sein, Herr Kortüm – dann kommt der Tag, an dem jeglicher Mensch seine Rolle nach einem Drehbuch spielt, und die andern sehn ihm zu, als ob er lebte.«

»Wenn das Leben selber nicht wäre!« Kortüm sprach wieder sehr überheblich.

375 Windhebel ärgerte sich und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Leben? Ihr denkt immer, ihr seht's. Und seht nichts davon. Nur sein Gerüst, das es sich baut.« Er riß einen Grashalm ab: »Da.«

»Ein Gras«, sprach Herr Kortüm.

»Eine Zellulosekonstruktion«, verbesserte Windhebel grob, »Gewebe. Gewiß: großartig. Aber nur die Form.« Er putzte seine Brille und knurrte dabei, hin und wieder durch die Gläser blickend: »Unverbesserliche Gesellschaft. Freilich – solange das bißchen Erde stille hält und nicht ruckt an eurer Herrlichkeit, so lange seht ihr die Form an, als ob die Leben wäre. Und wenn sie sich bewegt, geht beides in einem hin. Ja« – jetzt blickte er über Herrn Kortüm weg ins graue Frühgewölk hinaus – »ja, bewegte Erde leidet keine Form. Und in bewegte Erde könnt ihr nichts säen. Und auf bewegtem Grunde wächst nichts – Ihre Erdbeben freilich, Herr Kortüm, die scheinen das Lebensgefühl zu erhöhen.«

Eine Anspielung auf den bekannten Achtzehnten jenes Monats veranlaßte den Flügelhauswirt jedesmal das Gespräch höflich aber rasch zu wenden. Er bückte sich, nicht nach einem bloßen Grashalm – eine der Glockenblumen, die um den Püsterich wuchsen, zog er vorsichtig mit den Würzelchen aus der Erde: »Wenn es ruckt. Aber es ruckt nicht« – er legte das zarte Ding mitten auf den leeren Tisch – »und es lebt.«

»Das? Nein. Da drin lebt's. Meine Kollegen, die damit zu tun haben, nennen Protoplasma, was da lebt.«

»Ein Fremdwort«, sprach Herr Kortüm achselzuckend.

»In Ihr Museum können Sie's freilich nicht setzen . . . das heißt, hm . . . doch, Sie können, wenn Sie Lust haben.«

Kortüm sah den Erdbebenforscher mitleidig an: »Das Leben?«

»Sagen wir für jetzt Plasma dafür, sonst reden wir, bis es wieder Nacht ist. Also – wenn Sie wollen, können Sie es unter Nummer – welche ist dran?«

»Nu«, sagte Monich nachdenkend, »so rund tausend muß dran sein.«

»Ausgezeichnet. Als tausendundeintes Stück erscheint im Kortüm-Museum Seine Majestät das Leben – wohnt hierherum ein Lohgerber?«

»Bitte wer?«

»'n Lohgerber? Nee. Der nächste is erst in Erfurt. Da weiß ich zweie. Gleich hinterm Dom.«

»Herr Kortüm, lassen wir uns von unserm Freund Monich hinter 376 den Dom führen. Die Partie lohnt. In der Lohbrühe nämlich schwimmt die Gerbrinde, und auf der lebt Leben: rein als solches, hautlos nacktes Plasma. Lohblüte sagt der Gerbermeister, aber der Mann weiß nichts. Gelb sieht es aus, ein Schleimklecks mit einem lateinischen Namen. Dieser Schleim, Herr Kortüm, kann sich fortbewegen –«

»Nun . . .« begann der Herr des Flügelhauses.

»Wenn schon, denken Sie. Aber einen Menschen, der Augen im Kopf hat, erschreckt das Ding mehr als ein gewöhnliches Erdbeben. Ich kenne jemanden, der ist von dem Anblick schwermütig geworden.«

»Auch ein Gelehrter von der Sternwarte?«

Windhebel schüttelte den Kopf und sprach langsam, damit ihm das Bild jenes Mannes unterm Reden erst wieder deutlich wurde: »Eigentlich hat er Geschichte studiert. Nach ein paar Jahren sah er wohl, wie sie auf Gott zu läuft – aber in einem einzigen Strom von Blut und Tränen. Da wollte er sich aus den schaurigen Dokumenten retten und lief zur Botanik über; scientia amabilis nannten sie noch unsere Großväter. Ja, und nach einem Jahr wußte er, daß auch sie zu Gott treibt – aber auf einem einzigen Strom von Plasma und Todesangst . . . die Kreatur, Herr Kortüm . . . Wir gehn nach Erfurt hinter den Dom und sehn uns an, wie das Leben dort beim Lohgerber lebt. Beim Hinkriechen verändert dieses gelbe Wesen seine Gestalt, unablässig seine Gestalt, Herr Kortüm. Es ist ohne Haut und ohne Form: das Leben selber lebt Ihnen da ohne feste Gestalt, ohne Maske vor der Nase.«

»Ohne Gestalt«, sagte Kortüm, »wie soll das sein, wenn es sozusagen nichts ist und doch lebt?«

»Nummer tausendundeins: das Leben ohne Maske. Je mehr ich überlege: das fehlt im Kortüm-Museum. Ich schreibe dem Apotheker die Lösung auf, in der wir's konservieren. Den Text verfassen besser Sie.«

»Die Materie ist mir zu fremd. Ich treffe den Ton nicht.«

»Sie werden ja die Grundsubstanz der irdischen Ewigkeit mit Ihren eigenen Augen sehn! Sehen, wie sie sich bewegt, ohne Gestalt zu haben. Wie sich das Klümpchen an einer Stelle zu wölben anfängt. Als wenn ein Fuß wüchse. Plötzlich ist ein Ast geworden. Noch einer stülpt sich heraus. Eben war er noch da, jetzt schrumpft er und fließt in die Masse zurück. Es war aber weder Fuß noch Ast. Scheinformen, verehrter Echobesitzer! Das Ding auf der Gerberlohe – hören Sie, Herr Kortüm? – dieses Wesen sieht so aus, wie es jeweils nötig ist.«

377 Monich hatte diese lange Darlegung mit noch mehr Widerwillen über sich ergehen lassen, als damals jene greuliche Erdbebenschilderung: »Wir bieten gottlob immer ein und denselbigten Anblick, Kleinigkeiten abgerechnet.«

Windhebel sah Monich über die Brille an: »Wer – wir?«

»Nu, unsereiner. 's menschliche Lebewesen.«

»Scheinform«, wiederholte Windhebel in demselben singenden Ton, der Monich eben so geärgert hatte. »Scheinformen. Wie bei Fuligo varians wandelbar hervortretend aus der unbekannten Grundsubstanz.«

»Wieso'n Fuligo? Wen meinen Sie denn damit?«

»Was der Gerbermeister Lohblüte nennt, das heißt so. Sie können auch Aethalium –«

»Wie das heißt, tut nischt zur Sache. Ich, iche jedenfalls, ich habe meine zuverlässige Figur un verändere mich nich, un ich komme auch nich erst aus was raus, wenn ich hier sitzen will« – er schlug mit der Hand auf den Tisch, lüftete seinen Sitz ein wenig und nahm dann wieder mit Gewalt Platz auf seinem Stuhl.

Kortüm legte sich ins Mittel: »Der Herr Doktor will dich nicht beleidigen, er meint es nur bildlich, Monich. Nicht deine Person wurde als eine Scheinform bezeichnet. Im Gegenteil, nicht wahr, Herr Doktor? Ich habe bei gelehrten Gästen wiederholt eine Ausdrucksweise beobachtet, die nur ihnen selber verständlich ist.«

»Unsereiner, habe ich gesagt; un Scheinform hat er geantwort'.«

»Und ich verstand nur – nicht wahr, Herr Doktor? – wie Scheinform aus einer Grundmasse kommt, aus, aus –«

»Aus Plasma, Herr Kortüm. Aber Herr Monich ist es gewesen, der es auf den Menschen gewendet hat, und so sagen wir in unserem menschlichen Falle: aus Volk

Kortüm hatte zu Gunsten Windhebels vermitteln wollen, aber jetzt sah er deutlich, daß der Gelehrte von seinem Plasma auf eine Sache gekommen war, von der er nichts verstand. Hier war Kortüm, der Gastwirt, Fachmann. Ihm kamen die verschiedenen Menschenformen, deren Summe man als Volk bezeichnet, Tag für Tag unter die Hände: »Sie kennen das nicht aus Erfahrung, Herr Doktor. Man kann deutlich unterscheiden Bauern, Arbeiter, Bürger, Adel –«

»Alles das« – Windhebel unterbrach ihn – »und noch viel mehr. Im Lauf der Zeiten treten solche scheinbaren Formen hervor aus einer Grundsubstanz, die wir Volk nennen, und fließen, die Gestalt wandelnd, wieder zurück in das, was sie alle zusammen sind und nach dessen 378 Lebensbedürfnis sie erschienen. Die Substanz selber hat selten ein Mensch erblickt als das Ganze, das lebt, und dann nur blitzartig, einen Augenblick, niemals einen vollen Lebenszug lang.«

»Ich sehe 's Volk. In meinem Laden, un wenn's brennt«, knurrte Monich, »wenn Sie's nich sehn –«

»Deswegen wollen wir ja nach Erfurt hinter den Dom, Bester. Auf der Gerberlohe, da sehn wir das ganze Wesen leben, nicht nur die Scheinglieder. In unserem menschlichen Falle ist das schwieriger. Da können wir nicht einen kleinen Ausflug machen und so vorm Essen einmal das unbekannte Ganze ins Auge fassen. Volk lebt in großen Epochen. Wenn der einzelne den Anfang eines Atemzugs Geschichte erlebt, ist er längst gestorben und verwandelt, noch ehe es wieder ausgeatmet hat. Unser Leben ist zweifellos zu kurz. Das Gehirn ist für eine Lebensdauer zu groß dimensioniert. Dieser Konstruktionsfehler ist das Erzübel und die Erztragödie.« Windhebel sprach von jetzt an sehr laut, aber Kortüm vergaß über dem Zuhören das Ruhebedürfnis seiner schlafenden Gäste. »Generationen um Generationen können hingehn, ohne je Volk bemerkt zu haben! Stände haben sie erblickt, Berufe, ja und sonst was, und haben gedacht: der Stand und der oder die und die zusammen, das ist Volk. Aber es gibt Zeiten, in denen Volk wahr und wahrhaftig bemerkbar wird wie das Protoplasma als Fuligo varians.« Windhebel machte eine Gesicht wie ein frommer Katholik, der das Kreuz schlagen will, Kortüm hatte ihn nie so gesehen. »In den ganz großen Augenblicken, alle paar Jahrhunderte, wenn alles einfallen will, wenn alle die Zweige und Füße, die sich Volk zu nennen beansprucht haben, zurückfließen, wenn alles eines ist, ohne Scheinformen – dann wird die Grundsubstanz mobil. Sie selber bewegt sich. Und dann bemerken wir sie mit unseren Sinnesorganen. Wie zwischen dem Wehen eines Vorhangs. Für furchtbare Momente. Blitz-erhellt. Wen Gott lieb hat, den läßt er dann geboren sein.« Windhebel sah Kortüm, sah Monich an und sprach grimmig weiter: »Meine Erdbeben sind ein Sommergewitter gegen die Kräfte, die dann frei werden, wenn Volk, Wesen Volk, bemerkbar wird für die, die es selber sind. Wenn es sich in Bewegung setzt, als ob es nicht nur Leben wäre, sondern als ob es Form hätte.« Windhebel riß plötzlich die Brille ab und klopfte mit dem Nickelgeschirr auf den Tisch zu den Worten, die nun kamen; die beiden Männer sahen ihn erschrocken an. »Da steht ihr und seht es leben aus sich selbst. Leben selber, ohne irdische Gestalt. Wie das vielleicht, was der Pastor Gott nennt auf der Kanzel. Oder was 379 am Anfang war. Getrieben von der einen Ureigenschaft der lebenden Substanz: den Lebensraum zu erfüllen mit sich.«

Jetzt konnte Kortüm mitdenken. Er sah im Geiste den Turm der Michaeliskirche über Hamburgs Dächern und die seenbreite Unterelbe, die Alte Liebe und das offene Meer. Tausend Schiffe sah er, die mit der Elbe strömten wie dieses alte Gewässer selbst in die blaue Weite der Erdkugel. »Volk«, nickte er, besitzfroh wie damals, als er Holdermann vom Flügelhaus aus die Nordsee gezeigt hatte, »Volk, wenn sich's bewegt –«

Windhebel setzte seine Brille wieder auf: »– wenn im Bewegen die formende Gewalt erwacht, die ihm Gestalt anfühlt wie der Tiegel dem flüssigen Erz in ihm einen Schmelzgang lang. Gestalt, in der es ruhend sich selber erwirkt, denn – jeder Vergleich ist nur zur Klärung gut, dann wird er dumm – denn der Mensch ist nicht Fuligo varians

»Ruht?« rief Herr Kortüm enttäuscht.

»Wie Plasma ruht: strömt in sich selbst. Damit seines Wesens unbetastbarer unanschaubarer Kern sich teilend – aus Eins in Zwei, aus Zwei in Vier, aus Vier fortschaffend ins raumerfüllend Unendliche – sein Dasein zu erfüllen vermag und durch diese ewige Spaltung seiner selbst nun aus sich selber – sich selber erschaffen kann. Ja, wissenschaftlich ausgedrückt hieße das etwa populus proplasmaticus – oder auch –«

»Volk«, sagte Monich trotzig, der immer noch nicht ganz versöhnt war.

»Ist aber schwer zu verstehen, Herr Monich.«

Kortüm wollte abermals vermitteln: »Jeder, der eine Sache speziell bearbeitet, Monich, versteht diese seine Sache am schwersten.«

Windhebel lachte: »Weiter, Herr Kortüm! Jetzt kommt ein zweites Wesentliches.«

»Nee«, sagte Monich, »nu kann ich nich mehr. 'n guter Pastor soll auch nie länger als 'ne halbe Stunde predigen, un jetzt will der zweite anfangen.«

Ein Morgenwind fuhr durch die Tannenwipfel. Die drei blickten auf. Höher schwebten die Wolken. Schon standen einzelne hochragende Wipfel der Bäume im Frühlicht.

»Das Wetter hält sich«, sagte Herr Kortüm.

»Un wir nu auch – Donnerwetter, Specht, Sie haben 'n Kaffee wohl in Besenroda unten gekocht?«

380 Specht stellte das klirrende Brett hin: »Die Köchin schlief noch. Ich wußte doch nicht, wo. Der Stiefelputzer hat mir erst ihre Kammer gezeigt. Und dann mußte ich sie erst wecken und ihr die Sache erklären.«

Windhebel nickte: »Eine seltsame Nacht. Erst muß der Herr die Sconosciuta wecken und dann der Gast des Herren Magd.«

»Ah, hierher!« Herr Kortüm hatte gar nicht zugehört. »Die Sahne bitte.«

Der Duft des Kaffees würzte die Morgenluft auf menschliche Weise. Sie strichen frische Butter auf Thüringer Schwarzbrot. Sie schlürften.

»Nach solchem Tag«, begann Herr Kortüm –

»– und solcher Nacht«, fuhr Windhebel fort –

»– un solchen Predigten aufn leeren Magen«, schloß Monich und schenkte ein.

Von der Straße her klang das Trappen einer Schafherde. Ein Hund bellte. Kersch kam aus dem Weidwald herunter und wollte in der Küche seine Kaffeeflasche warm machen. Bilmes sahen sie mit der Kiepe auf dem Rücken nach Esperstedt hinuntergehen. »Hü!« schrie ein Fuhrmann vorm Haus. Die Mädchen klapperten mit den Eimern. Die ersten Gäste traten aus der Tür, warfen die Rucksäcke über, legten die Hände über die Augen und suchten den Himmel nach verdächtigen Wolken ab. Ein Mann wetzte die Sense und begann die Wiese zu mähen. Zwischen den Bäumen sammelten Schulkinder Tannenzapfen. Eine Schar Frauen mit Marktkörben kam schwatzend und lächelnd den Besenröder Weg herauf – die Stille des Morgengrauens war gewichen, der neue Tag stand da und die lebendige Menschheit der frühen Morgenstunde mit ihm.

»Volk«, sagte Monich kauend, wies mit dem Daumen über die Schulter, sah Windhebel von der Seite an und fügte voller Heimtücke hinzu: »Hä.«

»Erscheinungen des Wesens«, wollte Windhebel anfangen, aber Kortüm hatte nun keine Zeit mehr zum Reden.

Er machte eine große Armbewegung, die ihn und die Kaffeetrinker und alles umfaßte, was da mit der Sonne im Schottengelände aufgestanden war:

»Wir«, sagte er. 381

 


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