Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Der Spielverderber

Sorgen um Lorbeerblätter drückten in diesen Tagen auch Friedrich Wingen – nicht vertrockneter und versehentlich gestohlener Lorbeer anderer Leute machte ihm Pein, wie Klaus dem Schulmeister, sondern frische Ware zu eigenem Gebrauch. Wingen hatte mit Lorbeer begonnen. Er war unter Beifallklatschen angetreten in der Bahn. Aber ein scharfes Gewürz wie Lorbeer erhitzt unausgegorenes Blut, und was er nun auch tun oder lassen mochte: die Menschen drückten vor allem erst ihre Nasen drauf und schnüffelten nach Lorbeergeruch. Wingen merkte, daß der Erfolg die Arbeit anfangs flüssig macht und mit der Zeit immer zäher. Das Theater probte eben ein Stück von ihm. Der bekannte Spielleiter Nothnagel hatte verlangt, er solle einen Akt umschreiben.

Wingen schrieb, las es und strich's wieder durch: »Man müßte die Vorschläge der Fachleute hören«, sagte er und begann herumzugehen.

Nothnagel war sich sogleich klar: »Haha! Streichen Sie Auftritt 215 sieben, stellen Sie Szene elf und dreizehn um und lassen Sie Ihren Helden Joel sich am Ende aufhängen.«

Wingen schrieb wieder, las es wieder, strich abermals durch und sprach mit dem großen Schauspieler, der seinen Helden spielte. »Ich wußte, daß Sie zu mir kommen würden.« Er lächelte und gab auf Grund einer langen Erfahrung genau an, wie die Auftritte des Helden beschaffen sein müßten, um den Zuschauern Beifall zu entlocken.

Das ging erst recht nicht . . . Wingen unterhielt sich mit Professor Holdermann, dem Bühnenmaler. Es sei zu dunkel in dem Stück, sagte Holdermann. Man sähe ja meistens nichts. Die Bilder kämen nicht zur satten Wirkung.

Niedergeschlagen sagte sich Wingen: mit den Fachleuten ist doch auf keinem Gebiet was anzufangen. Er ging zu seiner Frau. Lotte saß am Nähtisch. Er setzte sich ihr gegenüber: sie solle sich nicht stören lassen beim Stopfen, aber gut zuhören müsse sie jetzt. Die Sache sei verdammt verwickelt. Stundenlang, die halbe Nacht hindurch dröselte er ihr das Gewebe der Handlung auf und verlangte am Ende zu wissen, ob Hinz das tut, wenn Kunz jenes anfängt. Lotte kamen am Ende beinahe die Tränen. Plötzlich nahm sie den Leuchter und sagte, sie müsse nachsehen, ob das Kind im Schlafe die Decke aus dem Bett geworfen oder sich wieder das Puppenbein in den Mund gesteckt habe.

»Puppenbein!« rief Wingen verzweifelt und saß wieder da.

Am anderen Morgen hatte er Dienst in der Friedhofskapelle. Er suchte eine schwere Fuge von Bach aus. Die Arbeit tat ihm wohl, aber seinen Bälgetreter brachte sie in Schweiß.

»Ein Wort noch, lieber Wenzel«, sagte Wingen nach dem Schlußakkord, zog das Papierbündel mit der Aufschrift »Joel« aus der Tasche und begann zu lesen. Wenzel hörte zu. Das war immer noch besser, als wenn der Organist auf den Gedanken gekommen wäre, die Fuge noch einmal zu spielen.

»Was meinen Sie nun?« fragte Wingen, als er fertig war, und gedachte bei dieser Frage sehr viel berühmterer Schriftsteller, die statt bei Fachleuten Rat zu holen, Haushälterinnen oder Fuhrknechte um ihre Meinung gebeten hatten.

»Je, Herr Wingen, die Menschen in Ihrem Stück haben alle keine Arbeit – sie tun nischt. Und keinen Hunger – sie essen nischt. Auch keinen Durst – sie trinken nischt: da merkt doch jeder, der nich ganz auf den Kopp gefallen is, daß alles bloß zum Spaße is. Un für'n Spaß, so'n Abend zum Vorspielen, is das gut un viel vorteilhafter 216 als solche Musike, wie Sie mannichmal machen – meine ich als Bälgetreter.«

So, sagte sich Wingen, jetzt redet der auch als Fachmann . . . Vielleicht muß man Menschen fragen, die keine Sorgen haben, keine Arbeit, keinen Hunger, keinen Durst. Diese Art von Leuten ist selten, aber er kannte einen solchen Mann. Das war Langloff, der Kapitän a. D. Langloff, sein Hauswirt. Wingen ging und klopfte an seine Tür.

»Herein!« donnerte eine tiefe Stimme. Der alte Seemann liebte keine langen Umstände. Die beiden Männer waren ja auch längst gute Bekannte. Aber Wingen blieb trotz der deutlichen Hereinforderung betroffen in der geöffneten Stubentüre stehen. Herr Langloff hatte seinen Eßtisch ausgezogen. Die Platte reichte von einem Zimmerende zum anderen. Hinter der Platte, genau in der Mitte, saß eine Tabakwolke. »Bitte«, sprach es aus der Wolke. Das alles hätte Wingen nicht erschreckt. Er kannte den silberbeschlagenen Meerschaumkopf des Kapitäns. Aber die ungeheure Tischplatte trug eine Last, deren Anblick dem Organisten den Atem verschlug. Die Platte war – Wingen irrte sich nicht – die Platte war belegt mit lauter silbernen Geldstücken. Unter jeder Silberscheibe steckte ein beschriebenes Zettelchen, zwischen den Talern aber standen, wie auf den großen Karten der Generalstäbler, kleine bunte Fähnchen.

Eben schob Langloff mit beiden Händen vorsichtig eine Abteilung Taler mehr nach links, stellte ein neues Fähnchen in das Silberbeet und sagte, einen Zettel beschreibend: »Augenblick, Herr Wingen . . . Haiti . . . nehmen Sie doch Platz . . . Prägung von achtzehnhundertelf . . .«

Wingen rieb sich die Augen, beugte sich erschüttert über diesen Sternenhimmel, in dessen Planeten der alte Kapitän da schaltete und waltete wie ein astronomischer Bankier.

»Ach so« – Wingen atmete beinah erleichtert auf – »das ist gar kein Geld.«

»Wie?«

»Das sind bloß Münzen.«

Herr Langloff sah ihn von unten herauf an.

»Ich meine«, verbesserte Wingen seine Antwort, »die gelten nicht mehr.«

Der Kapitän schmunzelte und warf einen liebevollen Blick über seine auf langen Reisen zusammengebrachte Münzensammlung: »Nichts ist so wertbeständig wie eine Sache ohne Kurswert.«

217 Er klopfte mit dem Daumenknöchel auf die Tischplatte. Das Sternenzelt klirrte leise.

Die Musik gefiel Wingen. Er lächelte und klopfte auch. Das Silber ohne Geltung klirrte. Wingen klopfte noch einmal – klirr klirr.

Langsam blies der Kapitän eine ringelnde Wolke aus dem Meerschaum über die Sternbilder hinweg. Wingen summte leise: weißt du, wieviel Sternlein stehen an dem großen Himmelszelt – dann seufzte er und nickte: »Ja, Herr Langloff, ich kann auf meinen Schreibtisch klopfen, wie ich will – da klirrt nichts.«

Über den Tisch hin tippte ihm Langloff mit dem Pfeifenmundstück auf die Weste: »Das sind Altersfreuden, junger Mann.«

»So!« sprach Wingen, »na, und Mannesfreude ist dann die Herstellung von Dingen ohne Kurswert, die trotzdem nicht klirren.« Jetzt war er auf das richtige Geleis gekommen und fing an: sein Theaterstück – der Teufel soll's holen, jeder wolle es anders haben. Langloffs Beruhigung, das sei doch mit dem Wetter ebenso, half nicht: das Wetter, willkommen oder nicht, ginge jedenfalls weiter. Aber sein Stück, sofern unwillkommen, liefe nicht weiter. Das Wetter müßten sich die Menschen gefallen lassen, Sonne wie Regen, Hitze wie Hagelschlag. Aber wenn es im Theater nicht wetterte, wie die Herrschaften wollten, pfiffen die Herrschaften und gingen nach Hause, und das Stück sei aus. Ja, Wingen verstieg sich zu dem Verdacht, die Menschen hätten nur deshalb die Bretter aufgeschlagen, welche die Welt bedeuten, weil sie in der richtigen Welt nichts zu sagen hätten.

»Aber fragen Sie doch einfach die Herrschaften, was sie hören wollen!« rief Langloff.

Wingen sprang auf: »Das ist's! Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen! Herr Langloff – Sie müssen morgen in der Probe mein Publikum sein.«

Wie manchen Seemann vor ihm hatte den Kapitän ein Traum von Waldesrauschen und Bienensummen, geträumt in vielen Sturmnächten auf fernen wüsten Gewässern, zu dem Entschluß gebracht, sein Alterszelt in Thüringen aufzuschlagen. Er hatte allerlei vom Theater gehört, auch gelegentlich die Maskentänze der Neger an afrikanischen Küsten gesehen – aber Theater, von Weißen gespielt, lockte den Mann nicht, der ein Leben lang allein auf der Kommandobrücke gestanden hatte. Man hockte im Zuschauerraum unbeweglich eingequetscht und durfte sich erst bewegen und seine Meinung sagen, wenn dies der Direktor durch 218 ein Klingelzeichen erlaubte. Nun saß er unversehens in einem solchen Theater mitten drin und besah sich aus halbgekniffenen Augen wohlwollend diese ganze umständliche, kostspielige Einrichtung. Der Riesenraum war leer. Nur auf den vorderen Reihen saßen ein paar Männer. Einer von ihnen hatte den weißen Arbeitskittel an, sein Nachbar saß einfach in Hemdärmeln da. Andere sprachen erregt gegeneinander los und schlugen mit den Händen auf dicke Bündel beschriebenen Papieres. Aber sonst niemand weit und breit. Kein fremder Ellbogen drängelte. Und über der Tür beschien ein rotes Lämpchen das beruhigende Wort »Notausgang«. Wingen hatte nicht zu viel gesagt: er, Langloff, stellte hier in seiner Person das Publikum vor. Und ganz als Hauswirt könne er sich fühlen, hatte ihm Wingen ferner versichert: das Theater gehöre niemand anders als dem Publikum. Wie zu Hause säße er hier, könne sagen, was ihm nicht behage, und auf ein Klingelzeichen der Direktion brauche er dazu in einer Probe nicht zu warten. Im Gegenteil: Wingen sei ihm dankbar für ein offenes Wort.

»Also gut.« Zufrieden ächzend setzte sich der Kapitän in seinem Sessel zurecht: »Denn wollen wir mal sehen, woran's fehlt.«

Es war Zeit.

»Nacht!« befahl der Oberspielleiter Nothnagel und nahm Platz auf seinem Stuhl, hart am Rande der Bühne. »Sterne!« fügte er mit einer gemessenen Handbewegung nach den Soffitten hinzu. Dann schloß er lächelnd die Augen, nickte ins Orchester hinunter: »Musik!«

Nacht brach an, Sterne blinkten auf, gedämpfte Musik ertönte – die Probe begann. Eine Weile ging alles gut. Wenn irgendein Unbefugter eine Logentür öffnete, huschten Streifen fahlen Tageslichtes durch die Theaternacht und ließen die wenigen Zuschauer für eine Sekunde als geisterblaue Schemen aufleuchten. An der Seitenloge lehnten ein paar Schauspieler im Kostüm. Den Bühnenmaler konnte man gelegentlich erkennen. Neben ihm saß Wingen.

Joel spielte. Der berühmte Schauspieler ließ sich stöhnend auf einen Baumstumpf sinken, flüsterte einen Namen, hob den Blick: »Ihr Bild . . .« Starr sah Joel die Versteifungshölzer der Kulisse an, unter denen der wachhabende Feuerwehrmann stand. Nicht Holz, nicht Mann erblickte der Schauspieler. Er breitete die Arme aus, ging einen Schritt auf die Kulisse zu: »Mein Glück!« Verlegen zog sich der Feuerwehrmann zurück. Nun stand nur noch die Rückseite der Kulisse vor Joel. Ein großer Nagel stak in dem Holz. An dem Nagel hing ein 219 Pappschild, irgendeine Warnungstafel. Joels Auge ruhte verklärt auf der Pappe: »Du letzter Zeuge goldner Tage . . .«

Nothnagel versetzte dem Bühnenmeister einen Knuff und fauchte ihm ins Ohr: »Holt das Bild, schnell.«

»Das ist der Abglanz lebendiger Zeit: ein Bettelrest von ausgetrockneter Farbe . . .« Der große Schauspieler näherte sich der Kulisse – Nothnagel zog sich vor Verzweiflung an seinen eigenen Haaren: das Bild war noch nicht da, dieser verruchte Bühnenmeister . . . ohne das – Bild war alles Folgende nicht spielbar. Schon stand Joel hart vor der Kulissenrückwand. In lautlos banger Erwartung starrten die Zuschauer der vorderen Reihe – jeder einzelne ein bewährter Mann vom Fach – den großen Schauspieler an. Der Spielleiter krümmte sich: jetzt, jetzt muß er nach dem Bild greifen – und das Bild ist nicht da. Joels Augen standen weit aufgerissen offen, er hob die Hände, das Haar auf seinem Kopfe schien sich zu sträuben vor Schmerz – ein Ruck, Joel riß das Pappschild an sich, kauerte nieder, hielt die Pappe mit seinen beiden Händen vor die wildatmende Brust gepreßt . . . die Kulisse schwankte leise. »Entfeßle mich, Liebe« – er schüttelte die Pappe – »gemalte Welt, blicklose Augen« – Joel verbog die Warnungstafel – »unter den bunten Krusten von Farbe atmet kein warmer Leib . . .«

Zitternd krallten sich seine Finger um die Pappe, knäuelten sie, wendeten sie wie im Krampf. Da kam die Aufschrift nach vorn – das Wort »Polizeiamt« erschien, die Buchstaben verbogen sich – das Wort »verboten« war zu lesen, knickte um, verschwand – »offenes Feuer« las man – jetzt stand einen Augenblick lang die Aufschrift vor Augen der Zuschauer: das Polizeiamt verbot hiermit jegliches Rauchen und den Gebrauch offenen Feuers auf der Bühne . . .

Wingen erhob sich langsam, ohne es selber zu merken. Nothnagel blieb erstarrt. Der Bühnenmeister mit dem richtigen Bild der Geliebten in der Hand faßte nach dem Drahtseil des Vorhangs, an dem er grade vorbeikam.

Joels Blick aber saugte sich in grenzenloser Verzweiflung in die schwarzen Druckbuchstaben: »Ich halte dich, Phantom« – er küßte die Verbotstafel. Den atemlos zuschauenden Fachleuten lief ein Schauer über die Haut, als ob sie in das aufgeschnittene Innere eines lebenden Tieres schauten. Kein Hauch rührte sich in dem großen Theater. Kein Holz knackte. Die Heizung schlürfte nicht. Wie aus unendlicher Ferne klang ein dumpfes Wagenrollen von der Straße herein . . . es verhallte . . . Totenstille. Joel neigte das Haupt, ganz langsam. Und eine 220 Träne, eine wirkliche Träne fiel aus Joels Auge. Nothnagel, der am nächsten stand, hörte sie auf das Pappschild fallen. Er spreizte alle zehn Finger: das war mehr als spielen und mehr als leben – was war es also? Da kniete am Boden ein Mensch und zerriß seine Seele um ein Stück bedruckter Pappe, die er nicht erkennen konnte.

Plötzlich polterte in der Tiefe des schwarzen Zuschauerraumes ein Sitz, Schritte tasteten . . . »Teufel«, sagte jemand, der sich offenbar ans Schienbein gestoßen hatte. Eine Streichholzschachtel klapperte – noch hielt das Spiel Joels die überwältigten Fachleute im Bann. Aber jetzt flammte ein Streichholz auf, ein gelbes Pünktchen, ganz fern, ganz hinten in der Nacht des Raumes, zitternd wie ein Irrlicht. Alle Augen wandten sich erschrocken dem neuen Schauspiel zu . . . der Zuschauerraum fing an zu spielen . . .

»Wo sitzen Sie denn eigentlich«, sagte jemand – halblaut, aber im ganzen Hause vernehmlich.

»Ja – zum Donnerwetter!« rief Nothnagel ratlos.

»Pst«, machte Wingen, »das ist noch keine Pause.«

Zu spät. Langloff hatte seinen Hausgenossen entdeckt, blies das Streichholz aus und klopfte ihm auf die Schulter: »Sehn Sie mal, wenn der Mann da oben blind ist, kann er einem doch man bloß leid tun. Der erkennt ja nun auch das richtige Fräulein nicht –« weiter kam er nicht.

»Licht!« rief Nothnagel.

Die großen Lampen gingen an. Der Spielverderber stand im besten Lichte da.

»Herr!!« schrie Nothnagel.

Wingen eilte an die Rampe: »Ein Mißverständnis, Herr Nothnagel.« In immer größerer Verlegenheit stotterte er: »Wir sind nämlich Bekannte. Herr Langloff. Ja. Und man braucht doch manchmal sozusagen die Kontrolle des gesunden Menschenverstandes, nicht wahr –«

»Sie haben den Herrn in die Probe bestellt?« unterbrach ihn Nothnagel – der Oberspielleiter war außer sich vor Verblüffung und Zorn über eine solche Einmischung.

»Pause!« sagte er und klatschte das Textbuch auf den Stuhlsitz. »Herr Wingen, das ist mir noch nicht begegnet. Ich muß schon sagen . . .« Aber er sagte nichts weiter und ging hallenden Schrittes über die Bretter, welche bekanntlich die Welt bedeuten. Die Schauspieler folgten ihm. Nothnagel verschwand im gemalten Wald des Hintergrundes. Wingen eilte ihm nach.

221 Das große Licht war ausgegangen. Nur ein paar Notlampen brannten. Der Kapitän stand mit einem Mal in einer tiefroten Dämmerung allein. Nein – da bewegte sich noch jemand, den man vergessen hatte.

»Verzeihung«, begann Langloff und brannte wieder ein Streichholz an.

»Machen Sie doch wenigstens kein offenes Licht hier!« rief eine zornige Stimme. Langloff tappte sich zu dem Mann hin, der gleichfalls Schritt für Schritt tappte.

»Langloff«, sagte Herr Langloff zu dem Schatten, der nun aufhörte, durch die Theaternacht zu waten. »Holdermann«, antwortete es aus der Nacht. Zu sehen war fast nichts.

»Könnten Sie mich vielleicht gütigst hier rausbringen?« fragte der Kapitän.

»Mit Vergnügen«, antwortete Holdermann ärgerlich. »Sie haben da dem Wingen eine hübsche Geschichte eingebrockt.« Er wischte suchend mit der Hand auf der Tapete hin und her.

»Haben Sie die verdammte Tür?« fragte Langloff. »Gott sei Dank.«

Kalkweißes Tageslicht fiel blendend herein. Holdermann besah den grollenden Kapitän. Er mußte lachen: »Nun sehn Sie bloß zu, wie Sie die Sache aus der Welt schaffen, Sie Spielverderber. Herr Nothnagel ist in solchen Sachen sehr empfindlich.«

Verärgert kam Langloff nach Hause, dieser Darsteller des Publikums, den Wingen selbst engagiert, dem der Dichter selbst die Rolle zugeteilt hatte.

Da brächte ihn keiner wieder hin, sagte er durch die halboffene Küchentüre zu seiner Frau. »Ist die Nachricht vom Jungen da?«

Sie gab ihm mit der nassen Hand den schon geöffneten Brief, der mit vielen fremden Marken beklebt war: »'s geht ihm gut«, sagte die alte Dame.

Mit einem lauten »Ahhh« nahm der Kapitän Platz in seinem Lederstuhl am Fenster, schlug die Kamelhaardecke um die Beine und zog den Brief heraus, einen langen Brief seines Sohnes, der als Schiffsarzt auf fernen Meeren schwamm. »Aufgeregte Gesellschaft«, knurrte er; dann vergaß er das Theater und las, was in der Wirklichkeit vorging. Endlich nickte Langloff befriedigt, legte das Schreiben auf die Fensterbank, wickelte sich fester in die Decke: »Spielverderber haben sie mich genannt – jawoll, der einzige, der nicht blind war, bin ich gewesen.« 222

 


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