Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Steuern

Wie werde ich arm!« rief Klaus Schart und sah fragend die Papierstöße auf seinem Schreibtisch an.

Die Papiere schwiegen. Konstanze war auf einer Gastspielreise und konnte ihm auch nicht helfen.

Klaus mußte selber nachdenken. Wer in einem Trümmerhaufen sitzt, denkt rasch. Um Klaus herum lagen die Splitter eines trefflich fein und schlau erdachten Arbeitsgerüstes. Im vergangenen Jahre hatte er drei Drehbücher geschrieben, Geld verdient und am Silvesterabend lächelnd die Perlen im Glase steigen sehen. »Es ist geschafft. Jetzt bin ich frei und kann in Ruhe an mein wirkliches Werk gehen.«

Es wurde auch Zeit, daß er zur Arbeit kam. Die Leute mußten endlich ein Werk oder ein Werkchen, zwischen zwei Pappdeckel gebunden, von ihm selber und von ihm allein geschaffen, in die Hände bekommen. Klaus konnte nun nach seiner Meinung zwei Jahre leben vom Verdienten und in aller Ruhe zu formen versuchen, was er in sich werden fühlte. Er wurde sparsam. Nicht nur Geld sparte Klaus, er hielt Haus mit seiner Zeit. Auf ein Werk sammelte er seine Kraft und lebte in Zurückgezogenheit und Stille. So geizig wurde Klaus, so eifersüchtig auf sein Werklein, daß er Utzenstorffs Ersuchen, ein neues Drehbuch zu schreiben, dankend ablehnte.

Seine Arbeit rundete sich, die beschriebenen Menschen gewannen Blut und Gestalt. Schon erblickte er im Nebel des Schaffens die ferne Schattenform des Ganzen. Aber eines Tages erhielt Klaus vom Finanzamt ein Schreiben, in dem ihm die Summen genannt wurden, die er auf Grund seines vorjährigen Einkommens als Vorauszahlungen zu leisten habe. Viel hatte er im vorigen Jahr verdient, nichts in diesem. Die Ernte des vergangenen Jahres sollte ja das Arbeitsfundament sein für die kommenden zwei Schaffensjahre; Dichtung kümmert zwischen klingelnden Telephonen und Geldsorgen.

Klaus Schart eilte aufs Amt und stellte den Herren seine Lage vor.

Finanzbeamte erleben viel, und wenn sie gelegentlich einmal einen Roman schrieben, könnte auf diesen Seiten die gedichtete Wirklichkeit majestätisch aufsteigen.

Der Beamte lächelte melancholisch. »Herr Schart, wenn es so ginge, würde uns jeder, der gut verdient hat, die Mitteilung zukommen lassen, er wolle nun schaffen und könne diesmal keine Steuern zahlen. Dann kann der Staat zumachen. Verlassen Sie sich drauf: von vierzig 679 Millionen Steuerzahlern müssen dann schlecht gerechnet dreißig plötzlich in der Stille ein Werk schaffen. Wir glauben Ihnen, was Sie sagen. Ihr Fall ist schmerzlich, aber der Arzt bei Ihrem Leiden kann leider nicht das Finanzamt sein.«

Das erste Stück von Klaus Scharts Lebenswerk zerstiebte, aber er konnte kein Wort gegen die Rede des Beamten einwenden. Einen Paragraphen über die Behandlung schöpferischer Arbeit hat die Gesetzgebung wohl deshalb nicht vorgesehen, weil es schwer ist, eine Arbeit, die nicht vorhanden ist, amtlich zu bewerten.

Schweren Herzens verließ der Steuerzahler das Amt, ging über die Straße, setzte sich niedergeschlagen in ein Kaffeehaus und überlegte. Das Café war gut besucht. Herren mit Notizbüchern, Kurszetteln, Kommissions- und Durchschreibebüchern rauchten und redeten. Aufmerksam sah Klaus diese seine Mitsteuerzahler der Reihe nach an. »Freilich«, murmelte er, »die alle werden nächstes Jahr nichts verdienen, um schaffen zu können.« Erschrocken stand Klaus Schart vor der Tatsache, daß beide Teile nicht nur formal oder nur gefühlsmäßig, sondern wirklich recht haben und recht behalten müssen. Er stand plötzlich über dem ganz schmalen Spalt im Leben, aus dem die echte Tragödie aufsteigt in die ganz gewöhnliche Alltäglichkeit. Der gute Bürger äußert sich zu einem solchen Fall mit dem Wort: »Hähä.« Aber auch Klaus hatte vorläufig nur Talent, dichten konnte er das Leben in dieser Gestalt noch lange nicht. Zudem überlagerte der wirkliche Geldmangel in dem wenig Erfahrenen die gewaltige Frage, welche sich hinter Büroregalen, Jackettanzügen und Schreibmaschinen jäh auftat, blitzartig ein schweres Leben erhellte und dann gleich wieder verschwand in Büroregalen, Schreibmaschinen und allem Gerät und Gelump, mit dem wir unsere Existenz zu decken jeden Tag von neuem versuchen müssen. Klaus blickte nach Rettung aus . . . Utzenstorff!

»Mmm« – der Chef der Produktion der World musterte den jungen Mann, der da erhitzt in sein Arbeitszimmer gestolpert kam.

»Kann ich das Drehbuch ›Zarte Stunden‹ noch kriegen?«

»Sie müssen es schreiben?«

»Ja.«

»Ja? Schart – ich habe Sie immer geschätzt. So ehrlich wie Sie ist nur ein ehrlicher Mann. Aber merken Sie sich für den Fall, daß in diesem Sessel kein Utzenstorff sitzen sollte: was einer braucht, bezahlt er doppelt. Verstehen Sie? Nein? Statt für sechstausend tun Sie's jetzt für drei. Mmm, da sieht er mich an mit seinen blauen 680 Kinderaugen. Jedoch, geh in Frieden, mein Sohn, der Vertragsentwurf liegt noch da. Schreiben Sie eilends das Wort Schart darunter und gehn Sie in sich. Der Mensch lebt vom Raube. Nicht jeder Mensch. Nein. Sonst brauchte ich Ihnen ja keine Rede über den guten Ton des schmutzigen Geldes zu halten. Sie nicht, Schart. Sie leben nicht vom Raube.«

Klaus erzählte nun den Grund seines plötzlichen Entschlußwechsels.

»Gut. Sehr gut. Wo sollten die besseren Filme herkommen, wenn man die Dichter sich selber überließe? An die Arbeit. Fleißig, fleißig.«

Die Sorgen war Klaus los. Er schrieb, saß in Sitzungen, schrieb, saß, schrieb.

Als Konstanze von ihrer Reise zurückkam, saß Klaus gerade in der World. Erstaunt betrachtete sie den stattlichen Stoß frisch beschriebenen Papieres auf dem Schreibtisch. Sie las noch mit dem Hut auf dem Kopf die letzte Zeile. Da stand: »Aber geh, Schatz.« Konstanze sank in den Stuhl und las noch weitere Zeilen. –

»Schämst du dich nicht?« begrüßte sie den Heimkehrenden. Klaus fiel ihr um den Hals: »Gott sei Dank!«

Konstanze hielt still. Dann sagte sie: »Aber geh, Schatz.«

»Ach so. Du hast gesehen, was ich arbeite?«

»Und deine wirkliche Arbeit?«

Statt der Verse überreichte ihr Klaus ein gelbliches Papier: »Am dritten März 800 Mark, am . . .«, las sie murmelnd. »Na, und?«

»Und! Und!! Und nun verdiene ich so viel wie voriges Jahr, damit ich die Vorauszahlungen beschaffen kann! Oder ich nehme das Gesparte – meine eigene Arbeit kann ich so und so nicht weiterbringen.«

»Ich habe ja Geld auf meinem Konto.«

Klaus schüttelte den Kopf.

»Hat je so ein Schaf im Sande gestanden und das Gras nicht gesehen?«

»Eigner Sand ist Goldes wert.«

»Man sieht's.« Konstanze zeigte auf die Brotarbeit: »Mach's nur! Es wird ja wohl bezahlt«, zitierte sie aus »Künstlers Erdenwallen« den alten bösen Klagevers.

Klaus sah das Leben noch endlos vor sich. Er hatte ja Zeit. Er glaubte noch nicht an den furchtbaren Zwang, dem Werk alles opfern zu müssen. Jedenfalls nicht seine junge männliche Selbständigkeit. Klaus Schart vermochte zu leben vom Selbstverdienten. Konstanzes Geld brauchte er nicht.

681 Sie gerieten aneinander. »Du bist so dumm, daß dir nicht zu helfen ist«, sagte Konstanze traurig. Sie wurde immer einsilbiger, sah den amtlosen Steuerzahler an: »Ja, Klaus – selbstbefohlene Ämter gelten nicht, wie du siehst. Dann mußt du eben eine Lücke im festbesoldeten Dasein ausfüllen.«

»Also schulmeistern!« rief Klaus.

Sie lächelte: »So weit warst du auch schon einmal.«

»An dem Abend, als das Ilmwehr vor deinem Fenster rauschte und du mich fragtest, was ich mit dir anfangen wolle als Schulmeister in Hörsel?« Klaus nahm sie in seine Arme: »Nein, Konstanze. Damals war ich nur halb so weit.«

 


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