Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Herr Kortüm in schwarzem Rock und mit der Perle im Halstuch stand am Eingang seines Grundstückes, um die World zu begrüßen. Er fühlte sich durchaus sicher. Alte Erfahrung kam ihm zustatten. War ihm doch vor wenig Jahren nicht nur das Theater, sondern das Staatstheater, nicht zu einer Aufführung, sondern zu einem Festspiel anvertraut worden. Er wußte, wie ein Schauspieler behandelt sein will und – ah, eine Schauspielerin! Schade, daß Konstanze Schröter nicht filmte. Die berühmte Violante Sconosciuta spielte in diesem Film die Hauptrolle. Er hatte Konstanze mehrmals angeregt: alle großen Künstler tun es. »Man merkt's«, hatte sie nur geantwortet, »aber Drama, das ist Dichtung, und Dichtung, das ist Wort.«
Freilich hatte Herr Kortüm wenig Grund, jemandem zuzureden. Oft genug sagte Monich: »Komm, wir gehn nach Esperstedt nunter ins Kino.« Kortüm konnte seinem Freund Monich über Kino wenig mehr sagen, als dem Organisten Wingen über Krankheit. Als er aber der wiederholten Einladungen überdrüssig wurde, hatte er schließlich seine Weigerung begründet: »Monich, ich kenne es. Vor Jahren, vor einer ganzen Reihe von Jahren, war ich einmal in einer Bude in Sankt Pauli. Sie nannten es Bioskop. Es ist nichts für mich. Ich bin ein Gastwirt und brauche keine Eintrittskarte zum Ansehen von lebenden Bildern.«
»'s soll aber verdammt spannend sein.«
»Das ist es ja eben: erst spannt es, und wenn's kommen soll, merkt man, daß es ein Bioskop ist. Sieh mal, Monich, damals in Sankt Pauli – ja! Die Bude war nicht ganz wetterfest, und da kam plötzlich ein Gewitter. Ein Platzregen, sage ich dir! Mitten durchs Dach. Ich saß Gott sei Dank hinten. Aber wie da die Bilder in den Wassersturz hineinblendeten und durcheinanderfunkelten – Monich! Dann schnappte es ab, Nacht wurde es, bloß noch Blitze, Wasserplatschen, Donnerschläge und Schreien – das lebte! Wo gibt es heutzutage solche Kinos!«
»Je, un nu? Nu kommt eben der Berg zum Propheten, wie der Pastor sagt«, hatte Monich hartnäckig geantwortet.
»Das sagt ja gar kein christlicher Pastor, Monich.« Aber am Eingang stand Herr Kortüm jetzt doch und erwartete die Ankunft des Films. Freilich nicht als ein schaffensfreudiger Mitarbeiter, noch weniger als genießender Laie: lediglich als ein Gastwirt stand er da, der für 354 Pension, Sitzungsräume, Dreherlaubnis auf seinem Gelände, für Garagen, Getränke und allgemeine Unkosten nicht wenig von der World zu erheben gedenkt.
Der erste Wagen glitt lautlos heran. Ein gewaltiger weißer Wagen. Herr Kortüm sah scharf hin. Neben dem Fahrer im weißen Mantel eine Dame – nein – aha, die Zofe. Auch in Weiß. Da, im Fond sitzt sie. Natürlich. Das ist die Sconosciuta . . . auch in Weiß. Alles weiß. Nur das Leder der Sitze siegellackrot. Und ihre Lippen. Auch siegellackrot. Teufel, dachte Kortüm: ihr Kopf schwebte über einer weißen Federboa. Sie lächelte. Herr Kortüm verbeugte sich. Der Wagen hielt.
»Gestatten Sie, Gnädigste . . .«
Sie sah ihn nicht an, aber sie lächelte – jenes bescheidene Lächeln der Erwartung, das nur den ganz berühmten Leuten eigen ist: laß ihn mich nur ruhig betrachten, ich bin ein Erlebnis für ihn – wie wird sich seine Begeisterung jetzt äußern? Die berühmten Leute erkennen nämlich gleich an der Art des Ausbruchs Wert und Verwendungszweck des Bewunderers. Aber Herr Kortüm stockte, sprach nichts mehr, hob die Augenbrauen, legte den Kopf zurück, musterte das Fräulein im Fond mit dem Hamburger Blick: das ist sie ja gar nicht . . .
»Wo ist die Anfahrt?« rief der Fahrer den stummen schwarzberockten Herrn an.
Das ist . . . das ist ja eine Gans . . .
»Wo die Anfahrt ist!«
Wahrscheinlich kommt sie erst im zweiten Wagen . . . »Wie? Anfahrt?« Herr Kortüm wandte sich zu dem Hausdiener, der eilfertig gelaufen kam: »Zeigen Sie dem Chauffeur den Parkplatz. Er kann wohl das Schild dort nicht erkennen. Erkundigen Sie sich nach den Namen und weisen Sie den Ankommenden die vorgemerkten Zimmer an.«
Kortüm war schon dabei, sich dem zweiten Wagen zu widmen. Mit einem Ruck hielt dieses schwere Gefährt – Kortüm prallte zurück . . . Gewiß, es war heute heiß . . . Von dem Sitz dieses Autos erhob sich ächzend ein riesiger dicker Herr, der beinahe nichts anhatte. Ganz kurze weiße Beinkleider, die ein Gürtel aus Schlangenhaut mit goldener Schnalle gerade noch an ihrem Ort festhielt, im übrigen ein offenes seidnes Hemd. Der Assistent dieses sozusagen nackten gewaltigen Mannes riß die Tür auf. Ja, Sandalen noch an den Füßen . . . nichts sonst.
355 »Mein Gott«, sagte Herr Kortüm.
»Utzenstorff«, sprach der große Herr und blickte Herrn Kortüm ins Schwarze der Augen. Er blickte; die fleischigen Massen seines Gesichtes gingen dabei befriedigt noch ein wenig mehr ins Breite.
»Herr Kortüm?« fragte er.
»Zu dienen«, sagte der erdrückte Gastwirt.
»Utzenstorff«, wiederholte der Gast, »Produktionschef der World.«
Mit diesen Worten stieg er aus dem Auto, wedelte sich mit dem Taschentuch Luft ins Gesicht, trat auf Herrn Kortüm zu und reichte ihm die Hand: »Habe viel von Ihnen gehört.« Wie der Abschluß eines Worldvertrages ging diese Handreichung vor sich. Kortüm empfand sehr wohl die Anerkennung in solch einem Handschlag, und er bemerkte jetzt, nachdem er überhaupt erst wieder anfing zu sehen, daß aus Utzenstorffs rundem Antlitz zwar äußerst schlaue, aber sonst eigentlich ganz gutmütige Äuglein blitzten. Noch einmal überflog Kortüms Blick die Leinwandhöschen, die Sandalen, die gewaltige halbnackte Brust . . . aber es blieb alles, wie's ihm anfangs vorgekommen war.
»Sehr willkommen«, sprach er zögernd.
Utzenstorff jedoch hatte, ohne seinen Körper zu rühren, den Kopf gedreht und sagte luftfächelnd zu dem Assistenten: »Warschau C drei achtundvierzig. Gewöhnlich. Aber Antwerpen siebenundsechzig dreizehn als dringend anmelden.«
Des Assistenten Bleistift war wie ein Schuß über das Papier gefahren, und er selbst verschwand darauf wie der Wind um die Ecke. Herrn Kortüm wurde die Sache unheimlich wie Zauberei am hellen Tag. Utzenstorff stand eine ganze Weile still. Er schien nachzudenken. Dann wandte er den Kopf wieder, sah Herrn Kortüm an. Der Mann schmunzelt, dachte Kortüm und richtete sich auf, so grad er konnte.
Aber der beleibteste der Gäste, die je das Schottengelände betreten hatten, fragte nur: »Mein Hauptquartier?«
»Zimmer vier und fünf. Mit Bad, Herr Utzenstorff.«
Der Chef der Produktion winkte ab: »Das hat Zeit. Die Arbeitsräume meine ich.«
Alle Achtung, dachte Kortüm, bei dem Gewicht dieser Fleiß! Er geleitete Herrn Utzenstorff persönlich zur »Goldenen Waage«. Auf der Straße kamen Leute. Hoffentlich erreichen wir den Seitenweg, ehe die beiden Gäste dort heran sind. Zwei alte Damen . . . Zimmer zwölf, scheint mir. Kortüm ging rascher. Aber Utzenstorff blieb unter der Linde 356 vorm Hause stehen: »Ahh, Schatten, pwww . . . die Aussicht ist verwendbar . . .« Die Damen kamen näher. »Aber die Ruhe, Herr Kortüm: die Gegend ist geräuschfrei?«
»Besonders dort um die Ecke«, beeilte sich Herr Kortüm zu sagen und lud Utzenstorff mit einer Handbewegung ein, doch sogleich mit ihm um jene Ecke zu gehen. Aber der Chef der Produktion blieb weiter stehen und überblickte und überhorchte mit dem Tonfilmsinn das morgige Schlachtfeld: »Pww . . .«
Die Damen waren noch rund zwanzig Schritt entfernt. Herrn Kortüm war es höchst peinlich, von weiblichen Gästen hier im Freien mit einem nahezn unbekleideten Herrn gesehen zu werden. Aber Utzenstorff schien sich wohl zu fühlen unter diesem Lindenschatten: »Hier wird mein Stuhl hingesetzt.«
Die Damen standen still, tuschelten hinter ihren Sonnenschirmen – jetzt wendeten sie sich und gingen raschen Schrittes dem Seitenweg zu. Nun sah sich Kortüm genötigt, seinen Plan ins Gegenteil zu wenden und Utzenstorff unter der Linde festzuhalten: »Der Stuhl. Natürlich, Herr Utzenstorff.«
»Er kommt im Gepäcklastwagen mit. Mein Name steht drauf. Er dient nur meinen Zwecken. Da längs?« setzte er mit einer Handbewegung zum Seitenweg fragend hinzu.
»Bitte«, antwortete Kortüm verzweifelt.
Utzenstorff schwenkte in den Seitenweg ein. Gleich hinter der Ecke waren die beiden alten Damen stehen geblieben und wollten ein bißchen warten, bis der fremde Herr seinen Weg zur Badeanstalt eingeschlagen hatte. Aber der jähe Anblick des nahenden Chefs der Produktion der World trieb sie abermals vorwärts. Leider war der Seitenweg eine fliederverwachsene Sackgasse. Den Damen blieb nur eine Tür ins Verborgene. Sie schlüpften in die sonst von weiblichen Wesen nicht besuchte »Waage«. »Dem Allmächtigen Preis und Dank – das war ja eine furchtbare Erscheinung, Bertha.« Und die Pforte ging auf, und Herr Utzenstorff trat ein. Herr Kortüm lehnte sich an den Türpfosten und sah schon im Geiste die Damen von Nummer zwölf die Koffer packen. Utzenstorff blickte mit dem leicht verwunderten Auge eines Rauminhabers auf die Rüschen und Schleifchen und schwarzen Spitzen hinab: »Bitte?«
»Ach, wir hatten uns nur verlaufen.«
»Oh« – überraschend beweglich, ein vollendeter Kavalier schob er Herrn Kortüm aus dem Türrahmen – »bitte, meine Damen: gerade 357 aus, dann links – aber ich werde mir erlauben, Sie bis zur Straße –«
»Nein. Ach Gott, nein. Danke. Herzlichen Dank.« Betäubt flatterten die alten Damen der Taschkenter Straße zu, die als greller Sonnenfleck am Ende der grünen Gasse blendete. Utzenstorff aber sah sich in den Räumen der »Waage« um, nickte und trat an den grünen Tisch: »Hier sitze ich. Einen Sessel, bitte. Bequem. Aber kühl: Leder.«
»Sogleich«, sagte Herr Kortüm.
»Fernsprecher?«
»Der nächste Apparat ist in der Diele.«
»Diele! Das Telegraphenamt benachrichtigen, bitte. Heute noch. Ich muß morgen früh Anschluß haben.«
Kortüm starrte den Chef der Produktion an.
»Zu unseren Lasten selbstverständlich«, sagte Utzenstorff. »So. Und nun eins. Die Hauptsache. Hören Sie. Die Hauptrolle hat die Sconosciuta –«
»Ich weiß –«
Utzenstorff sprach gedämpft: »Eine nicht ganz leicht zu behandelnde Frau. Sehr verwöhnt. Sehr. Aber – Herr Kortüm: ich vertraue auf Ihr landbekanntes Talent. Wir müssen uns verbünden. Die Sconosciuta muß, Sie verstehn mich –«
»– muß –«, nickte Kortüm.
»– muß«, fuhr Utzenstorff fort, »diese vier oder fünf Drehtage in guter Stimmung sein. Die Anmut dieser Frau kommt nur heraus, wenn sie sich vollkommen wohlfühlt. Im Lauwarmen sozusagen. Dann wirkt ihr Liebreiz natürlich, und das Publikum glaubt ihn. Alles kommt auf die natürliche Wirkung an. Um Gottes willen nichts Künstliches. Also Wohlbehagen verbreiten, Herr Kortüm. Der Film hängt dran. Eine Million und zweimalhunderttausend Mark hängen dran, Herr Kortüm.«
Dem verantwortlichen Gastwirt lief ein Schauer über den Rücken.
»Sehen Sie ihr die Wünsche an den Augen ab. Und was Sie ihr nicht abfühlen können, empfinden Sie ihr an. Man weiß, Sie verstehn das aus dem Grunde. Deswegen drehe ich bei Ihnen. Unkosten gleichgültig. Herr Kortüm – ich verlasse mich auf Sie.«
Diese Rede hob Kortüms Herz. Er blickte Utzenstorff nur ins Auge und fuhr mit der rechten Hand waagrecht durch die Luft. Utzenstorff war beruhigt. Er reichte Herrn Kortüm die Hand. 358