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Konstanze Schröter spielte die Julia. In ihr hat das Weimarische Theater eine unvergleichliche Künstlerin gewonnen. Die wundervolle Sprechkunst dieser Frau und ihre rätselvolle Tiefe . . .«
Klaus Schart, Schulmeister zu Besenroda seit einem halben Tage, legte das Zeitungsblatt auf den Tisch und trat ans Fenster.
Konstanze Schröter – oh, gerade achtzig Pfennig hatte er noch gehabt: fünfzig kostete der Stehplatz, zwanzig die Garderobe. Es war ein Messinggroschen in seiner Westentasche geblieben – aber er hatte oben gestanden und dieses Weib leben gesehen auf der Bühne. Manchmal kamen ja auch andre aus den Kulissen gelaufen und redeten irgendwas dazwischen, aber dann war die Schröter wiedergekommen und füllte den Riesenraum bis an die vergoldete Decke hinauf mit nichts als mit ihrem Wesen an. Was mußte dieses Mädchen für ein Herz haben, daß sein Schlag den Schlag von tausend Herzen lenkte.
Klaus atmete tief. Oh Gott, was er hier atmete: über die düsteren Schieferdächer draußen hob sich breit hingestreckt der Schottenhügel. Als ob der Berg hohl wäre, entquoll ihm in dichten Schwaden beizender Rauch. Die Besenrodaer verbrannten ihr Kartoffelkraut auf den Äckern am Hang. Da und dort flackerte ein gelbes Flämmchen, wenn der 14 Wind das stinkende Gewölk hochtrieb. Hinter dem Krautqualm, ganz tief im Land drinnen, spielte die Schröter in einem rotgoldenen Theater – für ihn, den kleinen Schulmeister, nein, für ihn nicht. Für ihn spielt Besenroda – und da schlägt's, bums, an die Tür: »Nu wär's recht. Wir wolln –.« Der Schuldiener Albrecht hatte den Kopf zum Türspalt hereingeschoben und wischte seinen feuchten roten Schnurrbart.
»Schön, Albrecht«, log Klaus. »Es paßt. Gehn Sie voran und zeigen Sie mir mein neues Schulreich.«
Albrecht ging die Treppe hinunter: »Hier is erst die Hauptsache. Das is der Hausschlüssel. Verliern Sie 'n nich. So. Un das hier is der Schulhof. Bis an den Zaun da dürfen die Kinder in der Pause. Weiter nich, weil hier rechts der Herr Pastor wohnt. Der will's stille haben. Un da drüben wohnt Herr Monich. Der den Leinwandladen daneben hat, wissen Sie. Der is Junggeselle. Stille will's der nich haben. Aber den ärgern die verfluchtigen Kinder immer. Sehn Sie: die Leitern, die hat er an seiner Hauswand hängen, weil er doch Hauptmann is bei der freiwilligen Feuerwehr. Un das da, nee da, das kleine Fenster, das is der Abtritt. Un was Sie da drin hängen sehn, das is die Pauke –«
»Eine Pauke, Albrecht?«
»Na ja. Wenn die Feuerwehr Umzüge macht, brauchen sie doch 'ne Pauke. Un Monich, der lebt nämlich in guten Umständen, Monich hat für sein eignes Geld die Pauke gekauft, un weil er unten im Laden keinen Platz hat un in der Wohnung erst recht nich, hat er sie auf 'n Abtritt gehängt. Da hängt sie. Im Sommer geht's je auch, aber im Winter schmeißen die Kinder immer Schneebälle an die Pauke, un wenn er nu grade drinne sitzt, gibt das Unzuträglichkeiten.«
»Hm«, sagte Klaus Schart, »das ist also Monichs Pauke. Das dort ist die Pfarre –«
»Un das da hinten is Fischern seine Kneipe. 's Bier geht je. Aber Sie tun besser, wenn Sie zu Bloßn trinken gehn. Das is die Schenke, gleich neben dem kleinen Hans an der Brücke. In dem kleinen Haus, da wohnt mein Bruder«.
»Ach, das ist doch der Maskenmacher? Hören Sie, Albrecht, da müssen Sie mich hinführen. Die Maskenmacherei möcht ich mal kennenlernen. Wann paßt's denn?«
Du hier hinein«, sagte Albrecht. »Das heißt Sie. Ich gehe gleich wieder, un wer weiß, ob Sie Platz haben in der Bude.«
15 Die Malstube war wirklich voll. Klaus schrak zurück. An einem großen Tisch hantierten mit Pinseln und Scheren ein Mann, eine Frau, ein großes Mädchen, ein kleines, ein Junge. Dieses Bild der Heimarbeit hätte Klaus nicht erschreckt – er kannte die Nester dieser Arbeiter so gut wie ihren Fleiß und ihre Geduld. Aber Klaus Schart war noch nicht bei Maskenmachern zu Besuch gewesen. Von den Wänden, von Tisch und Stuhl und Fußboden, aus allen Winkeln und Ecken grinsten ihn zahllose bunte Larven an: lustige, böse, grausige, wüste, verzerrte.
»Machen Sie sich nur de Kledasche nich voll bei uns«, sagte der Maskenmacher.
»Das is nämlich der neue Herr Schulmeister, Fritze«, rief Albrecht seinem Bruder zu. »Der will sich die Malerei begucken.«
»Sie können auch gleich anfangen«, sagte der Maler. Die anderen hatten nach kurzem Aufblicken die Köpfe schon wieder über ihre Arbeit gebeugt.
»Ich würde es nicht können«, sagte Klaus verlegen und sah sich nach dem Schuldiener um. Aber der war schon fort. »Was sind denn das da für Masken?«
»Die auf dem Haufen da drüben lachen. Un die da hinten, die weinen.«
Der Schulmeister verglich eine lachende und eine weinende Maske sachverständig: »Fein.«
»Nu, fein – nimm doch nich so viel Rot, August – fein. Sehn Se, Herr Lehrer, was heißt fein? Bei so einer Maske kommt's nich bloß auf die Schönheit an. Da muß auch Qualität drin sein. Früher, da sollten Sie mal sehn: das Papier war zähe un 's Gewebe auch! Das hielt was aus. Aber heute – Appretur, Leim un weiter nischt nich.«
»Eine Maske ist ja auch bloß zum Ansehn da.«
»Sie haben eine Ahnung! Hä. Ansehn. Gucken Se, wenn sich die Menschen eine Maske aufsetzen, sin sie doch lustig. Nich wahr? Un wenn sie lustig sin, schwitzen sie. Un wenn sie auch noch saufen dazu, dann schwitzen sie erst recht. Na, un denn? Wutsch, ham sie die Farbe im Gesichte. Dann hört die Lustigkeit auf.«
»Ach so.«
»Jawoll! 's verstehn heute zu wenig Leute was von der Maskenmacherei. Da kriegen die Leute eine Maske aufgesetzt, ob sie paßt oder nich, das kümmert kein' – wenn nur überhaupt 's Gesichte weg is, wenn nur keiner mehr weiß, wer er eigentlich is.«
16 »Das glaub ich, Herr Albrecht. Aber mir gefallen die beiden Masken so, wie sie sind.« Klaus suchte in seiner Tasche und legte eine Mark auf den Tisch: »Kann ich die Masken dafür haben? Ich möchte sie gerne behalten.«
»Da hat der Kersch also doch recht?«
»Was sagt denn der?«
»Daß der neue Lehrer was für die Masken tun will, sagt er. Na, für das Geld können Sie nu noch den Deiwel da kriegen un den Hexenkopp dort.«
»Nein, nein, Herr Albrecht. Nur die zwei. Ich komme aber bald wieder, wenn Sie erlauben.«
Klaus verabschiedete sich. Alle Wetter, dachte er, als das große Mädchen aufstand und ihm die Hand gab. »Das is unsere Lotte.« Ein so schönes Mädchen zwischen den Larven aus Pappe?
Es war dunkel geworden. Klaus Schart ging mit seinen zwei Masken in der Hand die Dorfstraße entlang. Aus der Ilmbrücke stand er still und blickte über das Holzgeländer in das dunkle schmale Wasser. So flach die Ilm hier war: im Mondlicht blitzte hin und wieder eine Welle auf.
Klaus sah sein dunkles Bild im Wasser spiegeln. Er schwenkte seine Masken an ihren Gummibändern. Das Bild im schwarzen Wasser schwenkte sie auch. Im Spiegel unten merkte man nicht, was für eine billige Jacke der Schulmeister anhatte, überhaupt nicht, daß da oben bloß ein junger unberatener Mensch stand. Wenn fließendes Wasser ein Bild bewahren könnte und tragen, so wäre das Bild des Klaus Schart auf der Ilm weitergeflossen bis nach Weimar, wo eben Konstanze die Julia Capulet spielte, und dort wäre auf der spiegelnden nächtlichen Ilm plötzlich der Genius des Spiels erschienen, mit der lachenden und der weinenden Maske in der Hand – aber wenn auch das Bild unverwischt hinflösse: wie vermöchte Konstanze den maskierten Genius zu erkennen?
Klaus sah auf. Die letzten Rauchschwaden zogen vom Schottenhaus herüber und verhüllten die Höhen dieses Berges, auf dem ein Mann wohnen sollte, der auf einer Straße spazieren ging, die in Taschkent endigte. 17