Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Maske

In der Maske der blonden Julia Capulet lehnte Konstanze Schröter atmend am Türpfosten ihrer Garderobe. Sie war von der Bühne hereingekommen, hatte sich hingelegt und mochte nicht einen Schritt weiter gehn.

»Dreh die Deckenlampe aus, Brigitte. Es blendet so.«

Die Wärterin schaltete das Licht aus und quirlte nun im Halbdunkel das Eidotter in eine Tasse heißes Bier.

Es war gut, daß die begeisterten Weimaraner die Geliebte Romeos jetzt nicht sehen konnten – ihre herrliche Schröter, die Neue. Sie 11 hatten große Pause und mußten an den Wänden der Wandelhalle im Kreis herum gehen.

Konstanze ließ erschöpft die Mundwinkel hängen und bummste mit der einen Hand gedankenlos an die Tür.

»So, nun trinken Sie erst 'n mal. Aber 's is heiß. So. Noch 'n Schlückchen. Und nu wollen wir uns schön hinsetzen und ausruhn. Nein, legen Sie doch die Beine hübsch lang. So.«

Konstanze lag im Sessel und verschränkte die Hände unter ihrem Haar.

»Verdrücken Sie bloß die Haare nicht, sonst müssen wir sie wieder ganz frisch machen. Dann ist die Pause hin.«

Nur die untere Lampe am Stehspiegel brannte. Auf der ausgezogenen Platte des Spiegeltisches stand in einem Trinkglas ein kleiner Feldblumenstrauß. Das Lampenlicht warf den Blumenschatten an die Decke – riesenhaft: quer durch den Stubenhimmel ragten ungeheure Glockenblumen und Kleeblätter.

»Brigitte, wann hat er den Strauß geschickt?« fragte Konstanze und besah lächelnd ihr Deckengemälde.

»Das da? Strauß nennen Sie's. Na, geschickt hat er's gleich nach dem ersten Aufzug.«

»Feldblumen . . . Du, Brigitte, wo mag er jetzt Feldblumen herkriegen?«

»Blumensträuße kauft man in einem Laden. Soviel weiß ich. Rosen und Nelken und Orchideen. Aber wo man so was herkriegt, das weiß bloß der Herr Dichter Wingen selber. Strauß . . .« Brigitte rückte verächtlich die schlichten Blumen zurück und legte ihre Kämme bereit. Aber die Blumen Wingens kamen der Lampe dabei näher, und im Nu bedeckten ihre Schattenbilder in verwirrender Mächtigkeit die ganze Decke.

»Das war recht!« sagte Konstanze. Sie wurde frisch von dem Anblick der ins Maßlose blühenden Blumen Wingens. »Schafgarbe, Thymian, Glockenblumen – Brigitte, gib ihnen mehr Wasser.«

»Nun trinken Sie mal erst. In acht Minuten is die Pause um. Die Lorenzoszene hat's in sich.«

Oh – es ging gleich wieder los. Konstanze sah sich in die Zelle des Mönches kommen, lächelte zaghaft und ein bißchen neugierig, und Julia sagte ihr erstes Wort: »Ehrwürdiger Herr, ich sag' Euch guten Abend!«

»Das ist doch ein Wort!« rief jemand in der offenen Tür und lachte.

Konstanze drehte sich nicht um. Sie kannte die Stimme, sah in das 12 Bild vom Blumenwald an ihrer Decke: »Du verstehst aber eine Tür leise aufzumachen, Wingen.«

Brigitte brummte etwas, das klang wie: »Weiter auch nischt.«

»Was sagst du, Brigitte?«

»Noch sieben Minuten. In viern komm ich. Wir müssen den braunen Mantel links und rechts 'n bißchen anheften, sonst fällt er wieder von der Schulter.«

Brigitte verschwand. »Vier Minuten, Konstanze.«

»Alter Minutenzähler! Lernst du das beim Orgelspielen?«

»Vielleicht! Jedenfalls lerne ich davon leben.«

Konstanze schnüffelte ein bißchen mit der Nase nach ihm hin.

»Was denn?«

»Du hast immer einen kleinen Ruch Weihrauch in deinen Gewändern. So etwas Weihevolles, Wingen. Wenn ich mal von dir träume –«

»Du siehst mich im Traum, Konstanze?«

»Bleib mir vom Halse – wenn ich von dir träume, schwebst du in Weihrauchwolken und zwischen lauter Orgelpfeifen und Engeln.«

»Wäre dir's lieber, wenn ich nach Tinte röche?«

»Tinte ist wenigstens nicht so feierlich.«

»Gut. Ich werde Schriftsteller.«

Jäh wandte sich Konstanze nach ihm um und riß an seiner Weste: »Lerne schneller schreiben, Wingen! Versäume dich nicht bei deinen Orgelpfeifen. Ist das Stück fertig? Gib mir meinen Text. Ich will spielen. Hast du ihn mit? Zeig her! In der Tasche da?«

»Ich habe schon eine Rolle für dich, Konstanze.« Wingen setzte sich auf eine Armlehne des Sessels.

»Her damit!«

»Ich glaube, die Rolle gefällt dir. Ich kann sie gar nicht mehr von dir unterscheiden. Du wirst keine Maske brauchen.«

»Was ihr davon wißt –« Konstanze lächelte.

»Ich schreibe, und eh ich's versehe, dringst du durch und stehst selber da –«

»Drei Minuten noch«, sagte Brigitte in der Tür. Sie hatte den braunen Mantel Julias auf dem Arm und griff energisch in ihre Nadeln und Kämme. Wingen sah zu, wie Julia fertiggemacht wurde. Das grüne Licht leuchtete auf.

»Auf Wiedersehn, Orgelmann.«

Wingen blickte ihr nach und spielte mit einer kleinen Haarnadel, die 13 auf der Armlehne liegengeblieben war. Schließlich bog er das Drähtchen zu einem unvollkommenen Ring, steckte ihn an den Finger und ging abwesenden Geistes hinaus, ohne der guten Brigitte zu gedenken.

Die Alte sah ihm mit keinem Blick nach. Was konnte man von dem anderes erwarten. Als sie aber Konstanzes Alltagskleider vom Haken nahm und zurechtlegte, sah sie die Strickjacke mißtrauisch an – ausgeweitet, verzogen, da ein kleines Loch:

»Un nu so einer. Ein Dichter« – sie seufzte – »wo sie selber ein zerfahrenes Ding ist. So 'n bißchen 'n Wisch. Wie kann man bloß so rumlaufen. Un nu 'n Dichter dazu. Lieber Gott, der Strumpf hat auch 'n Loch. Nein, 'ne ganze Masche gleich.«

Brigitte suchte Nadel und Faden, und als sie das Garn anleckte und zu einer schönen Spitze drehte und das Nadelöhr gegen die Lampe hielt, sagte sie vor sich hin: »Der liebe Gott hat die Menschen geschaffen, und dann hat er sie laufen lassen und hat sich nicht mehr um sie gekümmert.«

 


 << zurück weiter >>