Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erdbeben

Herr Kortüm und Monich saßen nebeneinander auf dem Bettrand in Kortüms Schlafzimmer. Eine Kerze brannte im Leuchter.

»Nana«, murmelte Monich. Er hatte seine kleine dicke Hand auf Kortüms Knie gelegt. Von Zeit zu Zeit klappte er ein wenig auf das Knie. »Nana«, machte er.

296 »Ob sie es weiß?«

»Beteiligte wissen nie nischt.«

»Ich weiß es doch.«

»Wenn der Toppgucker, der hier in allen Ecken rumkroch, wenn der Langloff dir nischt gesagt hätte – die Verwandtschaft hätte dir bestimmt nischt gesagt.«

»Die muß raus.«

»Das is keine Frage Kortüm: raus.«

»Aber wie, Monich?«

»Das is eben die Frage, Kortüm!«

»Vielleicht fahren sie auch morgen mit dem Frühzug.«

»Von alleine reisen die nich ab. Nu erst recht nich. Nu wolln die das erst bereden. Nu gehn die in Besenroda unten rum un in Esperstedt –«

»Allmächtiger! Noch diese Nacht müssen sie raus! Ehe der Morgen kommt! Ehe sie reden können!«

»Vorher! Richt'g. Aber wie denne, Kortüm?«

Sie schwiegen. Das Licht flackerte.

,.Wenn man . . . hm, sie müßten einen Schreck kriegen, Monich. Wenn du nun – ich meine natürlich nur zum Schein – wenn du nun ein wenig Feuer machtest. Eine Gardine etwa. Bloß für den Schreck, weißt du?«

»Nee, Kortüm. Für mich als Hauptmann der Freiwilligen Feuerwehr schickt sich das nich.«

»Doch kein richtiges Feuer! Es soll nur so aussehen –«

»Gogle nur erst! Du weißt nie, was draus wird. Eins, zwei, drei un 's is fert'g. Denke bloß an de Gruft, Kortüm.«

Längeres Schweigen.

»Du, Kortüm, mußt du als Gastgeber nich 'nmal nunter gucken?«

»Ich . . . ich würde sie« – Kortüm knirschte mit den Zähnen – »ich würde ihnen den Schöpflöffel um die Ohren schmettern!«

»Na, denn bleib lieber hier, Kortüm«, sagte Monich und klappte ihm beruhigend aufs Knie: »Nana . . .«

Monich fiel etwas ein: »Kortüm, wenn du nu 'n bißchen was ins Essen tätest . . . bloß 'n bißchen un nischt Schlimmes?«

»Monich! Wie könnte ich, ein Gastwirt . . .«

»Siehste – das is wie bei mir mit 'n Gogeln.«

»Aber morgen gehn sie im Lande herum und sagen, ich und Frau Schröter – ich wage es nicht auszusprechen!!« schrie Herr Kortüm.

297 »Also raus müssen sie!« sagte Monich.

»Diese Nacht noch!«

Sie brüteten weiter. Wenn unten die Saaltür aufging, hörte man Klappern und Klirren des Geschirres. Dann war wieder Stille. Der Gastwirt und sein Freund aber gingen der Reihe nach alle Plagen des menschlichen Geschlechts durch. Kein Elend der Erde und kein Strafgericht Gottes, das sie nicht auf seine sofortige Anwendbarkeit prüften. Wenn sie in ihrer Verzweiflung auch nur einen Bruchteil der Untaten verübten, die sie hier in heimlicher Zwiesprache bei kärglichem Licht flüsternd erwogen – Feuer, Wasser, Krankheit – sie hätten bis ans Ende ihrer Tage am Schandpfahl gestanden. Und – sie waren im Recht! Sie fanden es bloß nicht. Herr Kortüm stand in unmittelbarer Gefahr, seine Freundin zu verlieren, Konstanze Schröter, die große Schauspielerin, und mit ihr die Empfehlung, den Schutz und die Hilfe. Auf diesem Fels von Vertrauen stand sein Flügelhaus, stand sein Name. Er war ein verlorener Mann. Einen Augenblick dachte Kortüm an seinen Freund Stichling, der immer Auswege wußte und doch rechtens zu handeln verstand. Ach, Stichling war weit, und die Nacht war kurz. Mit dem ersten Frühlicht hauchte, rauschte, stob, plusterte aus allen Fenstern, Kellerlöchern, Bodenluken des Schottenhauses das Gerücht ins Land. Gerücht, das Herrn Kortüm verderben mußte. Lüge! Aber unwiderlegbare Lüge. Denn sobald er nur zu widerlegen begann, war es schon zu spät, weil jeglicher Angesprochene lächeln mußte – auch wenn er gar nicht wollte. Und eben dieses Lächeln, das mußte ihm die Freundschaft Konstanzes kosten. Was ist das: Recht auf Erden! Kortüms Schottenhaus war oft nahe genug am Fall, aber in all der Zeit wäre ein Herr Kortüm übrig gewesen! Vielleicht ein toter, aber doch ein toter Herr Kortüm. Jetzt? Wenn sich Konstanze langsam umwenden würde? Die Treppe hinabgehen? Zwischen dem Lächeln der Leute? Kortüm sah schon die Zeitungsausschnitte vor sich flattern wie Schneefall. Sie – belächelt?

»Monich! Denke schneller nach!!«

Alles erwogen sie: Feuer, Wasser, Krankheit, Gespenster, Schüsse im nächtlichen Haus. »Kortüm, damit kriegste die nich raus. Die bleiben, und je mehr los is, desto fester bleiben die kleben. Da muß schon 's Haus wackeln –«

»Das Haus wackeln, Monich –«

»Un die Erde beben –«

»Die Erde beben, Monich –«

298 »Aber der liebe Gott sin wir beide nich, und mit der Astronomie können wir uns nich bemengen, nich wahr, Kortüm . . .« Monich klopfte seinem alten Freund traurig aufs Knie und ließ den Kopf hängen. Menschliche Hilfe versagte hier.

Und doch sah Herr Kortüm grade in diesem Augenblick nicht verloren aus. Er hatte die Augenbrauen hochgezogen, blickte seitwärts, ohne etwas zu sehen, ließ den Mund offenstehen . . . er dachte nach . . . Kortüm nahm vorsichtig Monichs Hand von seinem Knie und legte sie aufs Bett, stand auf, ganz steif, als ob er seine Gedanken nicht mit einer jähen Bewegung durcheinander bringen wollte. Er ging auf den Zehen und kniewippend in der Schlafstube auf und ab. Monich sah ihn an. In der Kammer ging Kortüm. Und an der Wand ging Kortüms Schatten. Wenn das Licht flackerte, zuckte der Schatten, reckte sich gespenstisch hoch, drohend, ausgreifend . . .

Unermüdlich ging Kortüm hin und her.

Monich wurde aufmerksam: »Is dir was eingefallen?«

Kortüm winkte ihm nur kurz mit der Hand, wandelte hin, wandelte her. Sein Schatten ging mit und verzerrte Kortüm zu einem Spuk an der Wand.

Monich betrachtete den Schatten seines Freundes: »So 'ne Not . . .«, seufzte er.

»Ist Lorenz in der vorderen Gaststube?« fragte Kortüm und blieb stehen.

»Die haben doch heute Skat. Wo soll er 'n sonst sitzen?«

»Wir müssen ihn gleich rausrufen, Monich.«

»Vom Skat weg?!«

Kortüm nickte nur und rieb nachdenklich das Kinn. Monich kamen Bedenken: »Du hast wohl was vor, Kortüm?«

»Komm.«

Vor dem Gerüst, das die Nordfront des alten Hauses vergitterte, standen Herr Kortüm, Monich und Maurer Lorenz. Kortüm blickte in die Nacht hinauf, in der die Enden der Gerüste verschwammen: »Hm – sie reichen bis an den Oberstock.«

»Sonst langen wir doch nich bis nauf. Un Sie wollten doch das alte Haus auch gleich mit abputzen lassen.«

Herr Kortüm ging an den Leitern hin, welche die Laufbretter trugen. Er mußte achtgeben, daß er nicht in die Lichtstreifen kam, die aus den Fenstern des Kaminsaales fielen. Ja, da drin redeten sie, redeten, redeten.

299 Wieviel redet nur ein einziges Mundwerk in einer einzigen Stunde? Kortüm wandte sich ab und blickte in den stillen Hof. Da saß der Püsterich. Am Tag noch hatte er ihn verachtet. Jetzt nickte er ihm zu. Der redete wenigstens nicht, plätscherte bloß blankes Wasser heraus. Nein, Herr Kortüm würde ihn nicht hinter Efeu verstecken. Offen hinstellen und aller Welt zeigen soll man ein Wesen, aus dessen Maul die Sauberkeit selber kommt.

Aber die Nacht ist kurz, und morgen springt das Meuchelwort aus diesem Haus hervor, uneinholbar, unentrinnbar. Herr Kortüm sah eine Leiter nach der andern an: »Ja, diese an der Ecke genügt.«

»Nein, die alleine nich«, begann Lorenz, aber plötzlich rief er: »Wolln Sie gleich den Bolzen in Ruhe lassen, Herr Kortüm!«

»Wenn ich ihn herausziehe?«

»Fällt sie um, verdammig.«

»Und?«

»Un? Un?! Na, dann falln die vier Bretter in jeder Etage mit runter, verflucht noch 'nmal.«

»Und?«

»Hören Sie, Herr Kortüm, wenn Sie mich bloß vom Skat geholt haben, daß ich draußen in der Nacht zum Narren dastehn soll –«

»Ich will nur genau wissen, was dann noch wird, Lorenz.« Kortüm zeigte beharrlich auf den Bolzen.

»Dunnerwetter, dann haben Sie zunächst einmal in der Gegend hier kein ganzes Fenster mehr!«

Der Hausherr zählte mit den Fingern zeigend die Fenster: »Acht, elf, dreizehn. Hm. Was ist das ungefähr für ein Objekt, lieber Lorenz?«

Der Maurer drehte sich zu Monich um: »Herr Monich, ich glaube . . .« – er zeigte mit dem Daumen über die Schulter zu Herrn Kortüm hin und wiegte bedenklich den Kopf.

»Nu sag's doch schon, was es kostet.«

Lorenz blickte nunmehr scharf von einem zum andern, um sich endgültig klar zu werden, ob etwa die beiden gemeinschaftlich einen starken Trunk getan hätten. Monich aber trat an den Maurer heran und zog ihn an der Rockklappe: »Paß auf, Lorenz. Du bist 'n ordentlicher Mann. Un Herr Kortüm gibt dir Arbeit. Was er will, weiß ich auch noch nich. Aber das weiß ich: hier is Not am Mann. Not, verstehste mich?«

Diese Rede klang verständig. Betrunken konnten sie also nicht sein. Lorenz rechnete eine Weile. Dann nannte er eine erkleckliche Zahl. Jetzt 300 rechnete Kortüm, aber nur kurz: »Monich«, sagte er, »das ist noch nicht so viel wie zwei weitere Gasttage. Lorenz, sagen Sie mir: kann dieser Bolzen herausgezogen werden, ohne daß ein Mensch zu Schaden kommt?«

»Nu, Herr Kortüm, wenn oben grade einer ausm Fenster guckt un die Bretter falln ihm aufn Kopp, da können schon Beschädigungen eintreten.«

Herr Kortüm machte eine große Armbewegung waagrecht durch die Luft. Scheinbar rechnete er mit solchen Beschädigungen nicht: »Ich meine, ob der brave Mann, der diesen Bolzen sachgemäß lockert, zu Schaden kommen kann.«

»Das kommt drauf an, wer's macht.«

»Und wenn Sie es machen?«

»Ich? Mein eigenes Gerüste soll ich einschmeißen? Ich als Maurer kann doch nich –«

»Siehste, Kortüm? Das is wie mitm Gogeln, wenn ich gogle, un mitm Essen, wenn du was neinschmierst –«

»Ich würde Ihnen hiermit sogleich den neuen Auftrag erteilen, das Gerüst übermorgen wieder in üblicher Weise herzurichten.«

»Na, Dunnerwetter –«

»Wollen Sie?«

»Na, zum – hm – passieren kann nischt . . . aber, zum –« Schließlich war es wieder ein kleiner Sonderauftrag. Und Herrn Kortüm kannte man ja in der Gegend.

Ein Bauherr schloß hier mit seinem Unternehmer zu beiderseitiger Zufriedenheit einen Vertrag, wie Lorenz noch keinen geschlossen hatte, da solche Arbeiten auf den Fachschulen nicht in Betracht gezogen werden.

»Punkt vier Uhr dreißig morgen früh, Lorenz.«

Und Punkt vier Uhr dreißig früh am andern Tag, als der Danielast mit allen seinen Seitenzweigen im Schlafe lag, geschah ein Schlag im Schottenhause, daß die Wände bebten. Fensterscheiben prasselten klirrend in die Zimmer. Türen flogen auf. Rufe gellten durch die Flure. Das elektrische Licht ging nicht mehr an. Es war stockdunkel.

Aber der Kortümstamm war wach, der liebe Friedrich Joachim und Monich, sein Freund. Kortüm wandte sich zu der nicht vom Unheil betroffenen Südfront, Monich dagegen übernahm die Nordfront. Er war solche nächtliche Panik gewohnt. Wenn es brannte, mußte er auch zunächst die Menschen zur Vernunft bringen.

Liese kam schreiend die Treppe herabgerannt.

301 »Du mußt lauter schrein, Mädchen«, rief Monich, »de Welt geht unter.«

Liese schrie noch lauter.

»So is es gut.«

Herr Kortüm trug vorsichtig einen brennenden Kerzenleuchter in der Hand.

»Darf ich die gnädige Frau sprechen?« sagte er gemessen zu Konstanzes Jungfer, die im Türspalt flatterte.

Konstanze erschien schon. Beinah hätte Herr Kortüm gesagt: Auch Lachsrosa steht Ihnen. Sie zog den faltigen Mantel enger und vernahm in dem schrecklichen Getöse, das von der anderen Seite herüberschallte, Kortüms ruhige Worte: »Es ist nichts, Gnädigste –«

»Nichts soll das sein?!«

»Gar nichts. Eine Leiter ist umgefallen. Aber nur auf der anderen Seite« – er machte eine wegwerfende Handbewegung nach jener Seite – »und vielleicht noch einige nahezu wertlose Bretter. Leider kann im Augenblick das elektrische Licht nicht benutzt werden. Ich erlaubte mir deshalb, Ihnen diesen Leuchter zu bringen. Bitte.«

»Aber Herr Kortüm! Das klang ja schrecklich. Und wie die Leute schreien.«

»Lassen Sie sie schreien. Während der Zeit können die Leute nicht reden. Bitte legen Sie sich zur Ruhe. Es ist nichts. Ich bürge Ihnen, Kortüm.« Er verbeugte sich leicht.

Sie schüttelte den Kopf, immer noch etwas ängstlich: »Dann bin ich neugierig auf morgen früh –«

»Ich auch. Gute Nacht, liebe gnädige Frau.«

Monich hatte auf der Nordseite schwereren Dienst. Er verfügte auch über keinen Leuchter. Hier war Nacht. Nacht und Lärm. »Ulrich!« hörte man rufen. »Willibald!« »Udo!«

Monich begab sich mitten ins Gedränge, um zu helfen, wo er konnte. »Licht!« flehte Frau Tips. »Feuer!« antwortete Monich. »Meine Hosen sind voll Glasscherben!« ließ sich Wodtkes zornige Stimme vernehmen. »Nich barfuß gehen!« rief Monich. Seine ungereimten Worte trugen nicht zur Beruhigung bei, sie vermehrten eher die Verwirrung. »Seid ihr hier verrückt geworden?« fuhr ihn Holdermann an, der mit ihm zusammenprallte. »Pst«, mahnte Monich, »legen Sie sich gemütlich wieder aufs Ohr. Sie geht das nischt an, was wir hier vorhaben.« »Ja, aber –« »Pst. Hier is alles in Ordnung. Verlassen Sie sich auf mich. Mein Name is Monich.«

302 »Hierher!« »Sind Sie's?« »Ihre Hand!« »O Gott!« Plötzlich sah sich der hilfsbereite Monich von flatternden Gestalten umgeben. Er sah zunächst nur Schatten in der Nacht, aber sie beängstigten den beherzten Mann – – das mußten Weiber sein . . . genau sah er's nicht . . . diese Wesen trugen infolge des Schreckens nicht Kleidung, die sonst üblich ist. »Verflucht«, sagte Monich – sie waren es, die Küppen, die Schlick, die Lerche, die Tips. Erschrocken wandte sich Monich rückwärts. Aber hinter ihm stand Sidonie. Monich versuchte seitwärts durchzubrechen. Zu spät. Der Kreis hatte sich geschlossen. Jetzt war das Hilferufen an ihm: »Kortüm!« Sofort nahm der flatternde Ring um ihn die Losung auf: »Kortüm! Herr Kortüm!!« schrie das ganze Haus. Rasch duckte sich Monich und wollte entwischen. Sidonie sah es, griff nach ihm: »Was ist hier los?« »Ich will bloß erst 'n bißchen Licht suchen!« rief Monich.

Sidonie hielt ihn sicher am Rock: »Antworten!«

Hier gäbe es manchmal Erdstöße, stotterte Monich. Alles was Kortüm ihm eingelernt hatte, brachte er hervor: »Das macht die verdammt vulkanische Gegend hier –«

Das solle er andern weismachen, rief die resolute Sidonie: »Unsinn!«

Erdbeben seien kein Unsinn, grollte Wodtkes Stimme in der Finsternis. Er hatte eben die letzten Scherben aus seinen Kleidungsstücken gesammelt, soweit dies ohne Licht möglich war, und begann nun erst, das Nötigste anzuziehen.

Es wurde Zeit, daß Herr Kortüm im Süden fertig war und sich nach Norden wandte. Sein Licht hatte er auf der Südseite abgegeben. Heller wurde es bei seiner Ankunft nicht, aber deutlicher. Monich war frei. Kortüm stand im Kreise, und Kortüm sah die Schatten an und sprach: gute Häuser, die ins Wanken kämen, seien ein Unglück. Ein Glück sei es aber, wenn solche Ereignisse im Angesicht lieber Angehöriger vor sich gingen – wenn er jetzt allein dastände in seiner Heimsuchung! Gleich nach Sonnaufgang würde Monich, der mehreren Gästen bereits bekannte Leinwandhändler und Hauptmann der Freiwilligen Feuerwehr Monich, mit einer Liste herumgehen, in die sich die Spender eintragen möchten – der Kreis um den Sprecher wurde etwas geräumiger, Kortüm konnte sich schon ganz frei bewegen – man hätte ihn, den lieben Friedrich Joachim Kortüm, allerseits so herzlich begrüßt, daß so viel Zuneigung sicher auch in den Spenden wiederzuerkennen sei. Noch ließe sich der Schaden nicht völlig übersehen – der Kreis um 303 Herrn Kortüm hatte sich in eine unregelmäßige Zickzacklinie verwandelt, die Gäste lehnten an den Wänden, am Treppengeländer, hier und da klappte eine Tür – leider, schloß Kortüm seine Rede an die Schatten, leider wäre am schwersten die Küche betroffen. Sie sei mit Scherben übersät. An Kochen sei vorläufig nicht zu denken. Man wisse ja selbst, wie leicht Scherben verschluckt würden und dann den Schlund, den Magen, die Gedärme oder noch edlere Teile verletzten. Aber die Brotkammer sei Gott sei Dank unbeschädigt geblieben. Hunger brauche keiner zu leiden. Er würde reichlich Brot vorsetzen können, gutes selbstgebackenes Thüringer Landschwarzbrot . . .

Kortüm sah sich um, Monich sah sich um – sie standen allein. Die Türen hatten sich lautlos geschlossen. Es war ja auch langsam immer heller geworden. Eben ging überm Hachelstein die Sonne auf.

Wie sah es hier aus! Ein Pantoffel lag da. Dort ein Handtäschchen. Taschentücher, ein Spitzenumhang, ein Pelzkragen und, oh – Monich bückte sich und hob das Kleidungsstück auf . . . rosa Kunstseide . . . »Hm«, sagte Herr Kortüm und sah das Fundobjekt mit zurückgelegtem Kopf von oben an . . . »hm«.

Monich hielt die Kunstseide hoch. Es meldete sich kein Inhaber – er sah Kortüm an: »Weg sin se.«

Herr Kortüm aber hob die Augenbrauen und machte ein hochmütiges Gesicht: »Siehst du, Monich, ich habe den Punkt getroffen: Geld, Monich.«

Monich schlug sich leise auf den Bauch: »Un de Magengegend, Kortüm.«

 


 << zurück weiter >>