Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Der erste Gast

Für das Schottenhaus brachte die Abwesenheit des Bauherrn manche Schwierigkeiten und Aufregungen mit sich. Monich vertrat seinen Freund nach Kräften, und der Maurermeister Lorenz war ein verständiger Mann. Aber auch ein Maurer sieht nur, was vor Augen ist, und kann nicht in Rechnung stellen, was sich vielleicht hinter den Dingen befindet. Dort steckt aber meistens gar nicht wenig. Position eins lautete im Kostenanschlag: für Ausschachten des Baugrundes, Fällen der Bäume und Abfahren der Erde dreihundertachtzig Mark. Lorenz verstand bei dieser Veranschlagung unter dem Begriff Baugrund einen angenehmen weichen Waldboden mit vereinzelten Buchenstrünken. Still lag dieser farnkrautbewachsene Waldboden vor des Meisters scharf kalkulierendem Blick, ließ sich von der milden Morgensonne bescheinen und wartete. Lorenz und seine braven Gehilfen ergriffen zuversichtlich ihre Spaten und begannen diesen Boden auszuheben. Einen Tag lang arbeiteten die Männer, gelassen vor sich hinpfeifend. Am zweiten Tage schachteten sie langsamer aus, mehr ruckweise – und am dritten stellten sie die Spaten mit einem Fluch beiseite. Sie waren erst auf Schutt und dann auf uraltes Gemäuer gestoßen. Ein Meister ist gewohnt, mit unvorhergesehenen Störungen zu rechnen. Über Schutt und gewöhnliche Mauern hätte Lorenz nur geschimpft. 242 Aber dieses Gemäuer war sehr alt und mit jenem unbekannten Mörtel gebaut, an dem schon mancher ehrliche Maurer unserer Tage verzweifelt ist: fester als Granit stehen die verbindenden Fugen, ein furchtbares Gitterwerk, an dem sich sogar unsere stählernen Meißel umlegen. Lorenz arbeitete, daß die Funken unter dem Eisen sprühten.

Vor Zeiten hatten hier Gebäude gestanden. Nicht nur aus alten Urkunden war das bekannt: Herr Kortüm hätte nicht so reiche Funde zusammenbringen und in seinem Museum ausstellen können, wenn nicht an diesem Ort nahe der Quelle und der Straße Menschen gehaust hätten. In Kriegsläuften waren die Häuser verbrannt, dann zerfallen, vergessen und versunken. Lorenz fand unter dem alten Gewölbegrund durchaus keinen Waldboden, sondern Bauschutt – wuchtige Brocken darunter, die herausgeschafft sein wollten. Der Meister stocherte mit der Spitzhacke in diesem Jammer herum . . . Steine, verkohlte Balkenreste. Da lag auch ein alter Kessel. Grimmig hieb Lorenz mit der Hacke an den runden Kesselbauch. Das Ding mußte aus Messing sein. Die Hacke hatte eine gelbe Schramme gehauen.

Wie in früherer Zeit Töpfe oder Mörser und andere Geräte in Menschengestalt geformt wurden, so hatte man diesem Ding ein Äußeres gegeben, das nicht schmeichelhaft war für die Krone der Schöpfung: kugelrund der Bauch – ein Waschkessel konnte das nicht sein, denn der Bauch war allseitig geschlossen – und oben drauf ein kugelrunder Kopf. Ein verschollenes chemisches Gefäß, irgendein Apothekergerät vielleicht, war da zwischen den Trümmern liegen geblieben. Lorenz besah den Doppelkessel näher: »Nee, anfangen kann man nischt damit.« Das gespitzte Maul der Kesselfigur stand offen, hinten am Bauch war ein Henkel, im Kopf oben ein Loch. Lorenz besann sich: »Solche Dinger gibt's. In Sondershausen, im Schloß oben, steht auch so'n Unflat.«

Die Bewohner des Schottenhauses fühlten sich erleichtert, als endlich Kortüms Mitteilung eintraf, er sei zu Rande mit seiner Arbeit in der Stadt.

Monich empfing seinen Freund am Bahnsteig in Besenroda. »Kortüm, hähä, dein erster Gast is angekommen.«

»Ich habe in diesem Sommer Gott sei Dank viele Gäste gehabt«, antwortete Herr Kortüm selbstbewußt und wies auf die silberne Windfahne, die eben im Licht über den Tannen aufstrahlte.

»Ich meine, Kortüm, dein erster Gast im Flügelhaus.«

243 »Unsinn. Das hat ja noch kein Dach.«

»Un angekommen is'r trotzdem. Das heißt, wenn man sich den Kerl genau beguckt, is'r eigentlich bloß 'n Bauch.«

Herr Kortüm schritt rascher aus: »Mir ist jetzt nicht nach dummen Späßen zumute.«

Aber Monich hielt Schritt: »Dumm? Kortüm – bei Gästen is der Bauch doch die Hauptsache.«

»Ich verstehe dich nicht, Monich.«

»Wenn du mich nich ausreden läßt, is das auch nich verwunderlich. Also paß auf –«

Nun erzählte Monich im Zusammenhang: Lorenz habe da ein Ding gefunden, so groß wie ein Waschkessel, aber unausstehlich häßlich. Es müßte sehr alt sein, vermutete Monich, denn jetzt gäbe es solche Menschen gar nicht mehr. In der Hauptsache wäre das Scheusal ein dicker runder Bauch, wie solche – Monich strich dabei über den seinen – in Wirklichkeit nicht vorkämen. Oben auf dem Bauch säße ein runder Kopf, ein kugelrunder: »Der Kerl bläst nämlich die Backen auf. Als ob'r 'n Licht auspusten wollte, weißte? Desderhalb haben wir'n auch Püsterich genannt.«

Monich kam beim Reden außer Atem. Herr Kortüm schritt immer schärfer aus. Schon die Schilderung des Fundes war ihm ein Greuel und verletzte seinen Schönheitssinn, der doch eben erst in der Akademie der Hauptstadt neu geschärft worden war. Dabei beschrieb Monich den Fund immer abscheulicher: unten an dem Messingbauch wären zwei Füße. Im Kopf oben sei ein großes Loch, der gespitzte Mund stehe offen, und hinten im Kreuz hätte das Ding eine Art Henkel. Zum Aufhängen . . .

»Schweige, Monich!«

»Du wirst je sehn.«

Herr Kortüm war entrüstet: »So etwas hat in meinem Grund und Boden gelegen?!«

»Dafür kannste nich, Kortüm«, beruhigte ihn Monich. »Für das, was unter unsrer Existenz is, un was wir nich mit Augen sehn, sin wir nich verantwortlich, und dafür zahlen wir je auch keine Steuern.«

Trotzdem erklärte Kortüm, diesen gefundenen Kessel überhaupt nicht ansehen zu wollen: »Schon der Name, Monich: Püsterich!«

»Na ja, Kortüm – den Namen haben wir ihm je nu gegeben. Dadran is nu wieder der Püsterich nich schuld.«

Vorm Jahre noch hätte Kortüm diesen Püsterich trotz seiner 244 Scheusäligkeit in das Museum gestellt und ihm Nummer und Titel im Katalog gegeben. Als er aber nun an der Baugrube stand, blickte er nur kurz und mit Abscheu auf den Fund. Herr Kortüm baute jetzt. Er schuf hier oben wirkliches Leben. Mochten die zerbrochenen Gegenstände in seinem Museum oben darüber verstauben. Er befahl, den Fund wieder eingraben zu lassen. Nur mit großer Mühe konnte ihm Monich klar machen, daß dann die Rederei erst recht angehen würde. Vielleicht fingen die Leute an, heimlich nach dem Püsterich zu graben und die neuen Baulichkeiten zu gefährden.

So blieb denn der Unhold über der Erde, aber er führte kein rühmliches Leben. Herr Kortüm ließ den Fund in den Hof stellen. Die Maurer hoben den Püsterich aus der Baugrube, trugen ihn zum Hause, setzten ihn unter heidnischen und unanständigen Reden auf den Hackeklotz neben die Küchentür und gingen ihrer Wege. Wer nach vielhundertjähriger Abwesenheit zurückkehrt in die menschliche Gesellschaft, der er doch sein Dasein verdankt, muß schon von Messing sein, um sich über eine solche Gesellschaft nicht eigene Gedanken zu machen. Gerade noch den Hinterhof stellt die Gegenwart für einen so bejahrten Gast zur Verfügung, wenn sie mit sogenannten Neubauten beschäftigt ist.

Aber auch im Hinblick auf das gegenwärtige Leben waren Hof und Hackeklotz keine glückliche Lösung. Wenn Herr Kortüm selbst und seine Gäste die Küchentür zum Hof hinaus nur selten benutzten, so war Liese um so öfter gezwungen, in dieser Gegend hin und wider zu gehen. Nun hockte der kleine Satan neben der Tür, als ob er auf Liese laure. Am Tage ärgerte sie sich bloß. Bei Dunkelheit bekam sie Angst. In den dunstigen sternenlosen Frühlingsnächten war es noch erträglich gewesen. Sie hatte nichts von ihm gesehen.

An diesem Abend aber blies ein tief sausender Südwind den warmen Wolkendampf vor den Sternen auseinander. Grell silberweiße Ränder säumten die hinjagenden Wolkenfetzen, und zuweilen schoß das volle Mondlicht hindurch, ein scharfes Strahlenbündel blitzte in der Nacht auf, irrte hier- und dahin und verschwand. Der Wind orgelte wütend und drückte gegen die aufgehende Tür. Liese mußte den Fuß gegen das Holz stemmen, um sich erst ihr Kopftuch festbinden zu können. Sie wollte, wie jeden Abend, den Krug Wasser für Herrn Kortüm von der Quelle holen. Mächtig rauschten die Tannen auf. Drüben am Waldrand glitten die Nachtschwalben durch die Luft – häit, häit, schrien sie. Liese lief, so schnell sie konnte, an die Quelle. Es war unheimlich in dieser warmfeuchten Frühlingsnacht. Viel zu langsam sickerte das Wasser aus 245 dem Holzrohr. Endlich war der Glaskrug voll gelaufen. Vorsichtig trug sie ihn in beiden Händen, schon stand sie vor der Tür – da fauchte der Föhn auf, zischend, hauserschütternd, und ein weißes Strahlenbündel huschte taumelnd über den Hof. Das Licht traf den Püsterich. Glitzernd hockte der Kobold neben der Tür und pustete Liese mit aufgeblasenen Backen an. Sie schrie auf, wollte die Schürze vor die Augen halten, ließ den Krug los, das Glas zerschellte. Liese rannte zur Tür und schmiß sie hinter sich zu, daß das Haus erkrachte. Häit, häit! schrie der Nachtschwalb.

Herr Kortüm erhob sich knurrend, um nach dem Rechten zu sehen.

»Der schöne Krug«, sagte er ärgerlich. »Nimm den Topf dort, aber mach schnell.«

Liese stotterte: »Das Feuer auf dem Herd weht so vom Wind« – und sie müßte – ja, erst wollte sie . . .

»Dumme Gans«, brummte Kortüm und ging selbst.

Aber er war noch nicht zur Küchentür hinausgetreten, seit jener Satan im Hofe hockte. Erstaunt sah er dieses Ungeheuer, das Monich seinen ersten Gast genannt hatte, im gejagt wechselnden Mondlicht sitzen und die Backen aufblasen. Herr Kortüm blieb stehen und zog die Augenbrauen hoch. Der Püsterich machte keinen Unterschied. Er pustete auch den Herrn des Hauses an. Langsam trat Kortüm näher. Er klopfte mit dem Krug ein wenig an den erzenen Bauch des Wichtes – ein scharriger Ton. Er klopfte etwas stärker – der Bauch gab keinen Glockenklang von sich. Herr Kortüm schritt kopfschüttelnd zur Quelle, füllte den Topf, nahm einen Schluck. Der Trunk labte ihn. »Ah, ein wahres Lebenswasser.« Tief atmete er die warme Nachtluft ein und bekam Lust, ein paar Schritte auf dem moosigen Boden des Hochwaldes hinzugehen, bis zu jenem Buchenstumpf nur, von dem er damals dem nächtlichen Lichtspiel der silbernen Windfahne zugesehen hatte. Sein ganzes Anwesen lag vor ihm als dunkler Schattenriß, durchschnitten von den Stämmen der Bäume. Im Neubau hatten die Maurer einen Koksofen aufgestellt. Das dachlose Innere glühte im dunkelroten Widerschein des Kohlenfeuers. Bald würde man von dieser Stelle aus die wohnlich erleuchteten Fremdenzimmer des Westflügels sehen. Jetzt war alles noch wüst. Gerüste stakten in die Luft. Durch die zackig unfertigen Mauern sah Herr Kortüm deutlich im Hofe neben der Küchentür den Püsterich glitzern . . . »Der erste Traum in einem neuen Hause soll eine Vorbedeutung haben. Ich habe aufgepaßt, als ich vor zehn Jahren zum ersten Male im Schottenhaus schlief. Geträumt habe ich damals nichts.« 246 Mißtrauisch blickte er zu dem Unwesen im Hofe hin; das sah freilich aus wie ein Traum. Wie ein guter? Eine Wolke verschleierte plötzlich den Mond, der Spuk verschwand. Herr Kortüm nickte befriedigt: »Die Kanaille muß warten, bis Licht auf sie fällt.« Behaglich ruhte sein Auge auf dem warmen Schein des Trockenfeuers in seinem neuen Haus: ruhig und ganz unbewegt glühte das Innere des Flügelanbaues. Herr Kortüm schob den Mund vor, kratzte sich langsam in den Bartstoppeln am Kinn: »Wir leuchten aus uns selber.« Mit einem großen Schwung goß Herr Kortüm den Krug aus und ging ins Haus.

Nun hätte sich endlich die Ruhe der Nacht über das Schottenhaus breiten können. Aber es gab einen Mann im Schottengelände, der den Püsterich mit anderen Augen ansah, mit fachmännischen Augen. Dieser Mann redete nicht, sondern handelte und zwar, seit Herr Kortüm aus der Hauptstadt zurück war, unter dem Schutze der Nacht. Das war der Schuldiener Albrecht. Er gedachte Herrn Kortüm zu überraschen.

Während Kortüms Abwesenheit war Albrecht bei Tage erschienen und hatte an dem noch in der Baugrube liegenden Püsterich allerhand seltsame Verrichtungen vorgenommen: in das große Loch im Kopf oben einen Trichter probiert, in das offene Maul ein Glasrohr mit Korkring gepaßt. Heute morgen hatte er eine große Flasche mit einer schmierigen Flüssigkeit gebracht, einen Kohlenrost, ein Säckchen mit Holzkohlen und zu Liese gesagt: »Gib mir mal eine Hand voll Soda un heißes Wasser, Mädchen.« Herr Kortüm wäre in Esperstedt, hatte Liese gesagt, er käme erst zu Mittag zurück.

»Das weiß'ch un dadrum bin ich da, un Herrn Kortüm brauch'ch nich.«

Neugierig hatte ihm Liese Soda und Wasser gebracht und erstaunt zugesehen, wie Albrecht anfing, das Innere des Püsterichs zu reinigen: »Fangen Sie doch lieber außen an, da sitzt der dickste Dreck.« Albrecht hatte gelacht: »Auf's Herze kommt's an, nich auf die Haut.«

Es war greulich, wie Albrecht dem Kerl mit einer Flaschenbürste das Innere rieb, ihn von Zeit zu Zeit schüttelte, dann kippte, so daß die Sodalauge zum gespitzten Maul herauslief, denn bei all diesen Arbeiten blies der Püsterich zornig die Backen auf und knirschte mit dem Scheuersand, als ob er lebte. Das arme Mädchen wurde den Anblick nicht wieder los. Bis in den Schlaf folgte ihr der kleine Satan.

Liese träumte von ihm. Sie lag gebannt in Schlummer, konnte nicht fliehen und mußte mit ansehen, wie der Püsterich gähnte auf seinem Hackeklotz. Jetzt reckte er sich sogar – schrecklich, denn die Beine waren 247 viel zu klein für den Bauch. Aber klettern konnte er trotzdem: wie eine Kröte kräkelte er vom Hackeklotz herunter und spazierte mit aufgeblasenen Backen und frechen Augen in ihre Küche hinein. In allen Ecken guckte der Unhold herum. Jetzt entdeckte er das Wasserschaff, zog am Ring, kippte es und goß sich das Wasser durch das Loch im Scheitel in den Wanst hinein. Der Püsterich schwappte mit dem Wasser in seinem Bauch, lachte, setzte sich auf den Herd und schürte die Kohlen. Mit vollen Backen blies er in die Glut, flackernd leckten die Flammen hoch. Er wurde warm wie der große Waschkessel, er schwitzte von Wasser. Liese sah mit Schrecken, wie er beinah glühend wurde. Sie wollte zur Küche hinaus, aber der Unhold schrie sie an: »Rum eingießen! Vier Maß! Schnell, Mädchen! Ich koche schon. Und zwei Zitronen, sechs Hände Zucker und ein halbes Lot Nelken! Schneller doch!« Zitternd schüttelte sie ihm die kostbaren Zutaten in den Wanst. Das Gebräu brodelte. Dampf stieg aus dem Loch in seinem Kopf, und ihre Küche erfüllte ein köstlicher Duft.

Schweißgebadet wachte Liese auf, schnappte nach Luft. Der Föhn preßte ihr Herz. Sie stand auf und öffnete das Fenster. Aber die Luft war bedrängend schwer. Wolken mit silberglänzenden Rändern jagten am Himmel hin. Die Tannen bogen sich tiefrauschend im stoßweis gehenden Winde, und zwischen dem Gewölk fuhr da und dort ein Bündel Mondlicht hervor, irrte über die Erde – eine unruhige gärende Nacht. Der Nachtschwalb strich nicht mehr durch die Luft. In der großen Tanne an der Hausecke mußte er sitzen und spann jetzt schnurrend und schnarchend mit aufreizender Ausdauer seinen Liebesgesang: orrr, quorrr, orrr. Liese starrte in den schwarzen Wipfel – wenn sie einen Stein gehabt hätte! Sie legte atmend die Hand auf die Brust, beugte sich aus dem Fenster. Gerade unter ihrem Fenster saß der Püsterich – orrr, quorrr – Liese sah, starrte – plötzlich schrie sie auf – ohne Halt, besessen raste sie zur Türe hinaus. Schwarze Nacht im Hause. Hier und da ein Strahl Mondlicht auf dem alten Holze – die Treppe hinab rannte sie, über den großen Flur – da, die weiße Flügeltür; sie lag im vollen Mondlicht, mit der Faust schlug sie daran: »Herr Kortüm! Herr Kortüm!!«

Eine Bettstelle knarrte drin: »Was denn, was ist?«

»Er bewegt sich!«

»Wer?«

»Er kommt ruff!«

»Wer denn, in Teufels Namen?«

248 »Der Püsterich, Herr Kortüm!«

Wieder krachte drinnen das Bett. Bald darauf ging die Flügeltür auf. Herr Kortüm erschien im Mondlicht. Er trug, wie er das seit seiner Weltreise gewohnt war, einen blau und orangefarben gestreiften Schlafanzug, weiche rote Lederschuhe und einen mächtigen rotseidenen Schal um den Hals. »Wer sagt das?« sprach er streng.

»Ich habe doch zum Fenster naus geguckt!«

»Das tut man nicht – bei solchem Wetter.«

»Aber ich hab's ganz deutlich –«

»In deinen Jahren sieht man gar nichts deutlich.«

»– un da war's, als wenn –«

»Bei Südwind in solcher Jahreszeit ist es bei deinesgleichen immer, als wenn.«

»Aber –«

Zuletzt mußte Herr Kortüm einfach grob werden, bis sich Liese endlich wieder in ihre Kammer hinaufgetraute. Sie kroch tief unter die Decke.

Orrr, quorrr, quorrr, sang schnarchend der verliebte Nachtschwalb draußen, unaufhörlich, unaufhörlich.

Der Herr des Hauses, der nach Süden wohnte, konnte von dem angeblich lebendig gewordenen Püsterich nichts sehen, wenn er sich zum Fenster hinaus lehnte. Den Nachtvogel aber, den sie auch den Nachtwanderer nennen, den hörte er gut. Eine Weile noch saß er in seinem Lehnstuhl und blickte zum eisblauen Kolmberg hinüber, um den der warme Wolkendunst wirbelte: »Wenn mein erster lebendiger Gast aufträte gleich diesem Püsterich –«

Orrr, quorrr, zorrr, spann das Liebeslied in der Tanne draußen –

»– und wie das Vieh dazu singt . . . wie müßte ich dann erst auftreten . . .«

Liese hatte unter ihrem Federbett noch ein Weilchen geheult wegen der vielen und ungerechten Scheltworte des Herrn Kortüm und war dann eingeschlafen. Sie schlief nun fest und ungestört. Das verdankte sie ihrem guten Gewissen, denn sie war im Recht. Der Püsterich hatte sich bewegt. Der Schuldiener Albrecht nämlich wußte als ein Wetterkenner, daß der Wind den nächtlichen Himmel in wenig Stunden klar geblasen haben würde. Bei Vollmond konnte er seine Arbeit am Püsterich so gut wie am Tage, aber ungestört von dummen Fragen verrichten. Und Herr Kortüm merkte nichts vor der Zeit. Als Liese hinuntergeblickt 249 hatte, war Albrecht gerade dabei gewesen, das Glasrohr einzusetzen. Ihn ärgerte das unverschämte Antlitz des mondbeschienenen Püsterich nicht. Wenn er jetzt aus der Rocktasche ein flaches Glasfläschchen zog, auf dessen Schild der Name seiner Vaterstadt Nordhausen stand, und wenn er aus der Flasche mehrmals einen starken Schluck nahm, so galt diese Vorsicht nicht Gespenstern, sondern der ungesunden Nachtarbeit als solcher.

Der Püsterich glitzerte im Mondlicht. Albrecht schaffte fleißig. Der Wind aus der Wüste orgelte. Und Herr Kortüm in seinem blau und orangefarben gestreiften Schlafanzug ging auf und ab, auf und ab in seinem Schlafzimmer und versuchte, sich die künftigen Gäste seines Hauses vorzustellen, den ersten, die vielen vielen dann und am Ende den letzten. Eine lange Reihe dachte er sich aus. Orrr, quorrr, orrr, spann das Tier im Tannicht dazu sein eintöniges Lied.

 


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