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Der pfiffige Michel.

Wer niemals den pfiffigen Michel gekannt,
Der lerne ihn heute noch kennen;
Die pfiffige Welt, die ihn pfiffig genannt,
Wird pfiffig der Nachwelt ihn nennen,
Und pfiffig erhellt dann der Mondenschein
Des pfiffigen Michels Leichenstein.

Dort oben am pfiffigen Eckstein steht
Sein Häuslein in pfiffiger Gruppe,
Dort sitzt er und schwitzt er in Gravität,
Und schlürft aus dem Hafen die Suppe;
Dort schmollt der pfiffige Michel, entzückt,
Von Vater und Mutter an's Herz gedrückt.

Kein Röcklein bedecket den armen Tropf,
Des Großvaters Hosen bekleiden,
Als Erbtheil, den Michel vom Fuß bis zum Kopf,
D'rin lebt er und webt er mit Freuden;
Und streckt, als stäk' er im Schildkrötenhaus,
Die pfiffigen Aermlein zum Sackschlitz heraus.

Der pfiffige Michel zwölf Jährlein zählt,
Und kann recht verständlich schon lallen,
Kann stehen und gehen, und weiß, wenn er fällt,
Mit pfiffiger Wendung zu fallen;
Er läuft mit dem Vater viel ein und aus,
Und dienet der Mutter als Magd im Haus.

Da kömmt er – dort geht er – jetzt könnt ihr ihn seh'n.
Er geht ohne Stolpern und Hinken –
Er trägt in der Rechten der Kreuzerlein zween,
Ein Tellerchen hoch in der Linken.
Man richtet dem Vater das Essen an,
Die Mutter will Pfeffer und Ingwer daran.

»Hier hast du das Geld und dies Tellerchen da –
Lauf' eilig zum Krämer Leander,
Hol' Pfeffer und Ingwer, doch bringe mir's ja
Bei Leibe! nicht unter einander!«
Der Michel verstand den pfiffigen Sinn
Der pfiffigen Mutter, und eilt dahin. –

Doch weilt er bedächtlich noch hie und da,
Und plappert, als wär' er selbander:
»Hol' Pfeffer und Ingwer, doch bringe mir's ja
Bei Leibe nicht unter einander!
Die Mutter« – fängt Michel zu schließen an –
»Will Pfeffer und Ingwer gesondert han.«

»Dies ficht wohl den pfiffigen Michel nicht an« –
So schmollt er zum Krämer Leander –
»Herr! Erst will ich Pfeffer, dann Ingwer han:
Doch gebet mir's hübsch nach einander.«
Leander nicht ahnend den pfiffigen Sinn,
Wiegt Micheln auf's Teller den Pfeffer hin.

Schnell hatte nun Michel mit pfiffiger Hand,
Die mögliche Mischung zu heben,
Den Teller von oben nach unten gewandt,
Und ließ sich den Ingwer d'rauf geben.
O pfiffiger, glücklicher Michel du!
Jetzt läßt wohl der Pfeffer den Ingwer in Ruh'.

Heim trippelt der Michel im pfiffigen Wahn,
Daß pfiffig er Beides geschieden.
Wohl sieht er den Ingwer von oben an,
Doch läßt er den Pfeffer im Frieden.
Die Mutter stand fragend schon unter der Thür:
»Lieb Michelchen! sage, was bringst du mir?«

Hier bring' ich den Ingwer, lieb Mütterchen, seht –
»Wo ist denn der Pfeffer, mein Schätzchen?«
Schnell wurde der Teller nach oben gedreht:
»Da, Mütterchen, hat er sein Plätzchen!« –
O pfiffiger Michel! O pfiffiger Sinn!
Der Pfeffer und Ingwer und Alles ist hin.

Es ist dieses pfiffigen Michels Pfiff
Für pfiffige Leutchen gepfiffen,
Die öfters durch einen gar pfiffigen Griff
Dem Esel in Quersack gegriffen,
Und, um alle Flecken der Sonne zu seh'n,
Mit Schwefel beleuchtet spazieren geh'n.


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