Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es liegt im lieben Schwabenland
Ein Städtlein, weit und breit bekannt,
Wo man sich noch vor Hexen kreuzt,
Mit bloser Hand die Nase schneutzt,
Und Morgens früh mit Stangen
Ausläuft, den Tag zu fangen.
In diesem Städtlein haust' einmal
Der Vetter Winter gar brutal.
Der Kirchthurm lag versteckt im Schnee,
Wie 's Mäuselein im Winterklee,
Daß an der Uhr die Kälte
Die Zeiger Schildwach stellte.
Ganz eingedeckelt, blüthenweiß
Sah man in einer Sulz von Eis
Die lieben Häuslein, groß und klein,
Sich nett, wie Maulwurfshaufen reih'n,
Und nur am Rauch entdeckte
Man noch, was drunter steckte.
Das Fleisch war halb petrifizirt
Und Wein und Bier eisschollisirt,
Sogar am Feuerheerd im Topf
Gefroren jeder Wassertropf,
Und in der Scheiterkammer,
Jesus, Marie und Jammer.
Die Bürgerlein all' insgesammt,
Nebst ihren Weiblein hochentflammt,
Mit Nasenzipfelein krebsroth,
Zerkratzten d'rob, du liebster Gott!
Den Rathsherrn die Perücken
Zu hunderttausend Stücken.
Doch räuspert schnell zu Rath und That
Sich ein hochweiser Magistrat,
Und thät in Unverzug und Eil'
Sich auf sein breites Hintertheil
Gar fest darnieder setzen,
Den Schaden auszuwetzen.
Lang rieth man hin, lang rieth man her,
Zog Mund und Nase kreuz und quer,
Und kratzte eine lange Stund'
Die Scheitelglatze heiß und wund;
Im Kopf blieb's aber finster,
So wie im Ulmer Münster. –
Allein, ein Gott
ex Machina,
Thät jetzt der dicke Stadtpapa
Der Wortposaune Falten auf,
Und haspelte vom Grund herauf
Nachsteh'nden Weisheitsbrocken,
An dem er selbst erschrocken.
»Ihr Herrn des Raths!« so hub er an,
»Was Gott thut, ist zwar wohlgethan:
Doch dürfen wir nicht müßig seyn,
Wie 's liebe Oechs- und Eselein.
Hier ist Verstand von Nöthen,
Und ich – ich will euch retten.
Man decke, ist mein ernster Rath,
Mit einer Wildschur uns're Stadt,
Hauptsächlich schiebe man den Spitz
Des Kirchthurms durch den Aermelschlitz,
Die Zipfel heft' auf's Beste
Man ob den Thoren feste.
Dann gucke man zum Thor hinaus,
Und lache laut den Winter aus,
Und werfe diesem groben Tropf
Die Pudelmütz' und Muff' an Kopf,
Und foppe diesen Lümmel
Mit lustigem Getümmel.«
So schloß das Bürgermeisterlein,
Und in das letzte Wort hinein
Klang Pauken- und Trompetenschall,
Und Freude jauchzte überall,
Selbst beugten sich die Glieder
Des Rathes vor ihm nieder.
Pfeilschnell erschien die Kürschnerzunft,
Mit Fellen, Werkzeug und Vernunft,
Sie schneiderte nun Tag und Nacht,
Nahm auch den pünktlichsten Bedacht
Auf die besagte Schlitze,
Trotz aller Eil' und Hitze. –
Sie überhüpfte Trank und Speis',
Wetteiferte mit Kunst und Fleiß,
Ja, machte noch, unangefremdt,
Dem Kirchenthurm ein Zottelhemd
Von lauter Wehrwolfsrücken,
Gar stattlich anzublicken.
Kaum war am Werk die letzte Nath
Vollführt, thät sich ein weiser Rath
Jetzt wiederum und abermal
Rings um den Tisch im Rittersaal
Noch fester niedersetzen,
Dies Meisterstück zu schätzen.
Auch stellte sich die Kürschnerschaar
Mit stolzen Handwerksmienen dar,
Und auf den Nasen des Senats
Bekamen jetzt zwölf Brillen Platz,
Vom Kopfe bis zum Zehen
Das Monstrum zu besehen.
Das Uebermaaß der Freude zog
Die Mäuler breit, die Nasen hoch;
Laut jauchzte man Victoria;
Laut jauchzte selbst der Stadtpapa,
Und thät gleich kommandiren,
Das Städtlein zu montiren.
Auf Hopfenstangen schleppte man
Die Wildschur an die Kirch' hinan;
Hoch auf den Dachstuhl kletterten
Die Bürgerlein, und schnätterten;
Der Rath thät abet bleiben,
Und guckte durch die Scheiben.
Man trommelt', geigte, sang und pfiff,
Daß Niemand bei der Arbeit schlief,
Es perlte Schweiß zu Eiskrystall
Sich an die sieben Härlein all;
Viel gingen Nas' und Ohren
Trotz Pfiff und Sang verloren.
So war nun mit Beginn der Nacht
Dies Babelwerk zu Stand gebracht,
Nun ward der Winter ausgelacht,
Froh wünschte man sich gute Nacht,
Um in der Weiblein Armen
Noch besser zu erwarmen. –
O weh! es glimmt des Tages Schein!
Es gucken 'raus die Bürgerlein!
Flieh! flieh! hochweiser Magistrat,
Du wirst gehackt zu Krautsalat;
Denn wisse, daß die Decke
Dem Kirchlein kaum erklecke.
Erbarme dich, Herr Jesu Christ!
Des Volkes, das von Sinnen ist!
Ohn' Morgensegen, weihbrunnlos,
Ohn' Brustfleck, ohn' Perück', ohn' Hos,
So warfen sie die Glieder
Des Raths in Schnee darnieder. –
»Ihr Schurken, schaffet Rath und That;
Denn Strick und Leiter sind parat!«
Und abermal und wiederum
Thät dickbelobtes Gremium,
Doch jetzt in Schnee, sich setzen,
Den Schaden auszuwetzen.
Lang saß der dicke Stadtpapa
Wie Job auf seinem Haufen da,
Und um ihn her sein Bruderkreis,
Mit Bärten von gefror'nem Schweiß,
Und Keiner konnt's ergründen,
Wo Barthel Most thät finden. –
Flugs trat des Rathes Dienerlein
Mit einem feinen Knix herein,
Und sprach: »Wir, die wir stets geruh'n,
Wohlweis zu wissen, was wir thun,
Han abermal 'n Mittel,
Und für die Stadt 'n Kittel.
Das theure Pelzwerk zu erspar'n,
Bedecke man mit Lerchengarn
Vor Schneegestöber unser Nest;
Das gibt gar warm.
Probatum est!
Und sieh, des Rathes Glieder
Erstanden herzhaft wieder.
Und wiederum und abermal
Klang Pauken- und Trompetenschall,
Laut jauchzten Rath und Bürgerlein,
Laut jauchzte mit das Dienerlein,
Und thät gleich commandiren,
Die Stadt zu investiren.
Man sparte nicht des Witzes Salz,
Man schonte nicht der Lenden Schmalz,
Selbst kehrte heut' der Sonnenschein
Nach sieben Tagen wieder ein,
Die schönen sieben Sächeln
Von Herzen zu belächeln.
Und eh' der Kapuzinerbaß
Sein Vesperlied und
Gratias
Begann, jauchzt' im Mirakelstrumpf
Das ganze Städtlein schon Triumph,
Und wies dem Frost die Feige
Mit Hackbret, Pfeif' und Geige.
Es zogen Rath und Bürgerlein
In roth und schwarzen Mäntelein,
Dann Weiblein, Sohn und Töchterlein,
Geziert mit Spitz und Bändelein,
Prozessionenweise,
Einher auf Schnee und Eise.
Jetzt wankt der Zug das Thor hinan –
Flugs trat das Dienerlein voran,
Streckt durch das Garn sein Fingerlein,
Und schreit: »O liebe Bürgerlein!
Wie ist's so kalt da draußen,
Und hier so warm zu hausen!«
Hui, schlang man um das Dienerlein
Des Bürgermeisters Mäntelein
Und, ach! das Bürgermeisterlein
Ward jetzt des Rathes Dienerlein,
Und muß zu Nacht und Tagen
Dir schwere Wildschur tragen.
D'rauf grub man, unter Jubelschall,
Dem allergrößten Eiseball
Das Factum und die Jahrzahl ein,
Und dörrte ihn am Sonnenschein,
Daß er's für späte Jahre
Den Enkelein bewahre.