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Ahnung und Sehnsucht.

Wie bang, o Geist, wallt deines Fittigs Wehen!
Nach welchem Strande führt sein freier Lauf?
Bald schwärmest du auf blüthenreichen Höhen,
Bald suchest du der Todten Wohnung auf.

Doch, wo auch weilen deiner Freiheit Schwingen,
Auf Gräbern oder blumenreichen Höh'n,
Siehst du das Leben mit dem Tode ringen,
Siehst du entstehen, blühen und vergeh'n.

Da schauderst du beim gräßlichen Gedanken:
Wird auch der Geist der Zeiten Fluth zum Raub?
Und suchst du kühn zu brechen deine Schranken,
Sinkst du zurück ermattend in den Staub.

O laß von meiner Kindheit stillem Frieden,
Der sie wie Mondenschimmer sanft umfloß,
O laß dem armen Herzen nur hienieden
Noch seinen Glauben an ein bess'res Loos.

Die Blumen, die der Lenz für mich erkoren,
Die ich mit tausend Thränen schon bethaut,
Sie sterben meiner Hand, wenn kaum geboren
Mein Auge ihre flücht'gen Reize schaut.

Doch werden mir noch einmal Blumen lächeln,
Verklärt von lichtbestrahltem Lebensthau,
Wo milde Weste Frieden um mich fächeln –
Und Wonne rauscht durch die entzückte Au.

Tief fühlt mein Geist den Gott, dem er entsprossen,
Zu groß für diesen Raum, der ihn umschließt,
Wenn er vom Licht der Sterne sanft umflossen
In Wehmuth heil'ger Sehnsucht überfließt.

Wenn sie dann wonnelächelnd Liebe winken,
Reißt es ihn fort mit ahnungssüßem Schmerz,
Er möchte Leben aus dem Lichte trinken,
Und ewig lieben will das arme Herz.

So will der Geist den kühnen Fittig tauchen
In der Verklärung ew'gen Wiederschein,
In Steine Leben und Entzücken hauchen,
Und liebend der Unsterblichkeit sich weih'n.

Wird wohl das Kind mehr als der Vater lieben?
Ich blicke auf zur stillen Dunkelheit,
Mit Flammenzügen find' ich dort geschrieben
Die Worte: Liebe und Unsterblichkeit! –

In meiner Seele feierlichen Stille
Ruft mir ein Gott in heil'ger Sprache zu:
Ich rief zum Licht das Würmchen aus der Hülle,
Und daß ich dein gedenke, zweifelst Du?

Wer war es, der aus dunklem Erdenschooße
Dich vor den Spiegel deiner Gottheit rief,
Als unbewußt der gold'nen Freiheitsloose
Noch unentbunden deine Seele schlief?

Hat nicht die ew'ge Liebe dich geboren?
Und knüpft dich nicht an sie ein ewig Band?
Gehst du im heil'gen Weltenall verloren,
Das niemals seiner Liebe Grenzen fand?

Wer facht in Dir das heilige Verlangen,
Das deines Busens stillen Raum durchglüht,
Wenn deine Blicke thränend nach mir bangen,
Und holder Friede deine Brust durchzieht?

Hab' ich umsonst mein Abbild dir gegeben?
Hab' ich umsonst die Ahnung dir verlieh'n,
Von einem hehren lichtumstrahlten Leben,
Wohin die Seufzer deiner Sehnsucht flieh'n?

Werd' ich wohl darum deine Seele lichten,
Um sie des Todes ew'ger Nacht zu weih'n?
Ich würde ja mit ihr mich selbst vernichten
Und müßte nicht ihr Gott und Vater seyn!

So fühl' ich leise aus der Seele Tiefen
Die heil'gen Laute durch die Saiten zieh'n,
Und Töne, die in meiner Harfe schliefen,
Ergießen sich in sel'ge Melodien.

O lispelt sanft, wie leises Geisterwehen,
Mir Wonneschauer durch die zarte Brust,
Daß ihrer Sehnsucht Laute übergehen
In die Accorde ahnungsvoller Lust.

Ja, gutes Herz, dich weiht für hehre Sphären
Die Geisterwelt, wenn deine Hülle bricht;
Das Göttliche wird ewig sich bewähren,
Der Schein erblaßt – der Strahl kehrt zu dem Licht.

Laß die Gestalten rasch vorüberziehen,
Und deine Freuden mit zu Grabe geh'n,
Einst wird der Geist, wenn seine Schatten fliehen,
Verklärten Auges ihre Gottheit seh'n.

Laß alle Elemente sich verschwören,
Und dieser Erde Leib in Flammen geh'n,
Laß in die Nacht die Leichen wiederkehren,
Der Geist wird frei zum Lichte aufersteh'n.

So werd' ich einst vom Staube auferstehen
Auf meines Schöpfers liebevollen Ruf,
Zurück in Urquell meines Daseyns gehen,
Der mich zum Leben, nicht zum Tod erschuf.

Der kalte Tod umarmt des Herzens Gluthen,
Sein Hauch weht sie in ein ersehntes Land,
Ein Engel steht er vor dem Geist des Guten,
Und bietet freundlich ihm die treue Hand.

Dein Bild, o Tod, erfüllt mich nicht mit Grauen,
Ich küsse es mit sehnsuchtsvollem Schmerz;
Es winkt mir zu der Heimath Friedensauen:
Ich sinke still an's große Vaterherz. –


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