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Frank Wedekind

Frank Wedekind, geb. 1864 in Hannover, lebt in München. Wedekind ist der Dichter des Skeptizismus und der Weltverneinung. Die zynische, satirische Tonart seiner Dichtungen hat ihn lange zum Gegenstand heftiger Anfeindungen gemacht; doch hat sich sein starkes Können und sein echt dichterisches Temperament allmählich überall, mit Ausnahme bei Pfaffen und Muckern, Anerkennung erzwungen. In seinen Gedichten, ebenso wie in den Skizzen und Dramen steht das sexuelle und das soziale Moment im Vordergrund. »Die Fürstin Russalka« ist eine der grotesksten Gedichtsammlungen, die die moderne Literatur besitzt. Bald im leichten Bänkelsängerton hergeleierte Liebesballaden, bald soziale Anklagen in Knittelversen und bald wieder tief elegische Selbstbekenntnisse, die durch ihre dick aufgetragene Sentimentalität komisch wirken. Natürlich ist dies Gedichtbuch, aus dem neuerdings eine Auswahl mit neueren Versen zusammen unter dem Titel »Die vier Jahreszeiten« erschien, ein vielbegehrter Greifsack für Überbrettl- und Cabaret-Beflissene. Noch ungleich bedeutender wie als Lyriker steht Wedekind als Dramatiker da. In seiner ersten dramatischen Arbeit »Frühlingserwachen« schildert er mit packender Kraft, durchsetzt von grotesken Streiflichtern ins soziale Leben, die Anfänge des Geschlechtslebens im heranwachsenden Menschen. Hier, wie auch überall später, läßt er die Regeln des dramatischen Aufbaues völlig außer acht. Unvermittelt läßt er Personen auftreten, kümmert sich nicht um Möglichkeiten für die Bühnenaufführung und scheut sich gar nicht davor, auch mal sich selbst in seine Stücke hineinzuverflechten, wie im »Frühlingserwachen« als »der vermummte Herr«. Das formell gesammeltste seiner Stücke ist der Einakter »Der Kammersänger«, eine Burleske, in der er in einer Viertelstunde eine Unmenge von Ereignissen sich türmen läßt, bis der Held über die Leiche seiner Geliebten hinweg, aus dem Knäuel der unglaublichsten Verwicklungen heraus, zum Bahnhof stürmt, um nicht gegen seinen Impresario kontraktbrüchig zu werden. Ein sehr tiefes Problem greift Wedekind im »Erdgeist« an. Hier zeigt er das Weib, das vermöge seiner äußeren Reize sich jeden Mann, den es für seine lebenslustigen Launen braucht, untertan macht und skrupellos seinen Weg über Leichen geht. In einer Weiterführung dieses Stückes, in der »Büchse der Pandora«, zeigt er die Kehrseite der Medaille. Hier ist das Weib zum Geschäftsobjekt des Mannes geworden, der ihre Reize jedermann verkauft. Ohne Empfindsamkeit führt Wedekind die grauenhaften Bilder der Wirklichkeit dem Leser vor Augen und krönt sein Werk, indem er Lulu, seine Heldin, fast auf offener Bühne von Jack dem Aufschlitzer umbringen läßt. Den Widerstreit des Individualisten mit den Einrichtungen der sozialen Gesellschaft behandelt Wedekind im »Marquis von Keith«, in dem er einen Menschen vorführt, der aus dem Bewußtsein seiner Höherwertigkeit skrupellos seine Mitmenschen begaunert, ihn durch Hochstapeleien aller Art seine Ziele beinahe erreichen läßt, bis er schließlich doch, von der alles nivellierenden bürgerlichen Gesellschaft bezwungen, zum Revolver greift, den er aber im letzten Augenblick grinsend und mit den Worten »Das Leben ist eine Rutschbahn« wieder aus der Hand legt. In dem Schauspiel »Hidalla« zeigt er einen Idealisten, der an seiner von aller Welt mißverstandenen großen Idee zugrunde geht. Groteske Szenen, kühne Sentenzen, abenteuerliche Vergleiche beleben alle diese Arbeiten, und die Zeichnung der absonderlichsten Charaktere der Helden aller seiner Stücke gelingt ihm nicht weniger, als die der erzphiliströsen Gegenspieler. In seinem letzten Einakter »Der Totentanz«, ebenso wie in der sehr eigenartigen Geschichte »Mine Haha oder über die körperliche Erziehung junger Mädchen« vertritt Wedekind die Anschauung, daß das Weib zur Hetäre geschaffen sei, und daß die moralische Entrüstung der Männer über die verkäufliche Liebe vieler Frauen nichts sei als purer Brotneid (!). Für die oft wiederholte Behauptung, Wedekind sei der Clown in der deutschen Literatur, gibt es mehr wie einen Anhalt. Trotzdem ist seine Kunst oft ernst gemeint und ernst aufzufassen. Sie ist eine beißende und rücksichtslose Kritik der menschlichen Einrichtungen, und Wedekind hat als Dichter und als Satiriker einen Platz unter den ersten lebenden Künstlern zu beanspruchen.

E. M.


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