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Björnstjerne Björnson ist neben Ibsen der Begründer der modernen nordischen Literatur. Er wurde am 8. Dezember 1832 zu Kuikne in Osterdalen als Sohn eines Predigers geboren. Seine erste Schulbildung erhielt er in Molde. Schon während seiner Universitätszeit zu Christiania übte er literarische Tätigkeit aus, und zwar zunächst als Feuilletonist und Theaterkritiker. 1857–59 treffen wir ihn als Leiter des Bergener Theaters, bald darauf wieder in Christiania als Redakteur des »Astenbladet«. 1860 begibt er sich infolge literarischer Zwistigkeiten nach Kopenhagen und von da nach Rom. Schon in seinen frühesten Arbeiten, den Dorfgeschichten »Arne« und »Synnöre Sölbakken« zeigte er eine eigene Linie. Auch seine ersten Versuche auf dramatischem Gebiet erweckten allgemeines Interesse. Die Tragödie »Halte Hulde«, der Einakter »Mellem Slagene« (auch in Deutschland unter dem Titel »Zwischen den Schlachten« mit großem Erfolg aufgeführt), die in Italien verfaßten Dramen »Kong Sverre« und »Sigurd Slembe« (Trilogie 1863) machten seinen Namen rasch bekannt. 1863 kehrte Björnson über Frankreich und Deutschland nach Norwegen zurück und erhielt in Anerkennung seiner dichterischen Arbeiten vom Storthing eine Jahrespension. 1865–67 leitete er das Theater zu Christiania und war gleichzeitig 1866–71 als Redakteur des »Norsk Folkebladet« tätig. 1873 reiste er abermals ins Ausland, um sich nach seiner Heimkehr 1875 auf dem Gute Aulestad in der Nähe von Lillehammer niederzulassen. Von 1882–88 dauerte sein Pariser Aufenthalt. – Von Björnsons überaus zahlreichen Werten seien hier nur die genannt, die in die deutsche Sprache übersetzt wurden und auf unsere Literatur direkt und indirekt eingewirkt haben. Als eine überaus interessante Arbeit muß die historische Tragödie »Maria Stuart in Schottland« genannt werden, die 1864 von Lobedanz übersetzt wurde. Oft aufgeführt und diskutiert wurden »Die Neuvermählten«, die bereits 1891 in der zehnten Auflage (Deutsch v. Busch) erschienen und ständig in das Repertoire unserer Bühnen übergingen. »Ein Fallissement« 1875, »Der Redakteur« 1875, »Leonarda« (Deutsch von Lobedanz) 1879, »Das neue System« 1880, »Der Handschuh« 1888 behandeln moderne Konflikte und stehen inhaltlich fast alle auf der Höhe, während sie in dramatisch-technischer Hinsicht oft manches zu wünschen übrig lassen. Am bühnenwirksamsten erwies sich unter den Genannten »Ein Fallissement«. Parallel mit dieser dramatischen geht bei Björnson immer eine reiche novellistische Tätigkeit. Der reizenden Erzählung »Das Fischermädchen« (»Fiskerjenten«, Deutsch von Peters, 1868) folgte 1872 »Briude Slaatten« (»Der Brautmarsch«. Deutsch von Lange, 1877). – 1870 erschien der Romanzyklus »Araljot Gelline«, 1877 die Novellen Magnhild« (übersetzt von Lobedanz). Will man den Prosaschriftsteller Björnson mit dem Dramatiker vergleichen, so muß man dem ersteren den Vorzug geben. Björnson ist eine spezifisch epische Natur. Besonders in seinen Bauernnovellen hat er Vorzügliches in Charakteristik und Komposition geleistet. Seine Gestalten sind aus dem heimatlichen Boden gewachsen mit der Kraft und der Eigenart, die auch unseres Dichters bestes Teil immer gewesen ist. Sie haben nicht viel Worte, und auch nur die allernötigsten Gebärden geben das Leben ihrer Seele wieder. Aber um so fester und sicherer sind die wenigen Linien gezogen, in denen sie sich uns darstellen. Der kurze, kraftvolle, prägnante Stil verleiht den kleinen Meisterstücken erst ihre eigentliche Note. Das gleiche kann man wohl auch von Björnsons Romanen behaupten, wenn auch mit einigen wenigen Einschränkungen. Hier stört oft das allzu breite Ausspinnen psychologischer Details und Entwicklungen und die Hinneigung, einer oft ungenügenden Handlung einen großen Gedankenapparat beizugesellen.
Seine stärksten Erfolge erstritt Björnson in der letzten Periode seiner bisherigen Entwicklung, in deren Mitte das gigantische Drama »Über unsere Kraft« steht, dessen beide Teile auf allen größeren Bühnen Europas mit starkem Erfolge aufgeführt wurden und den Weltruf des Dichters begründeten. Die mystisch realistische Anlage des ersten Teiles gab viel zu denken und erwarb sich, trotzdem sie die größere künstlerische Bedeutung besitzt, geringere Sympathien als der theaterwirksame zweite Teil, in dem die mit einer Großartigkeit und Virtuosität behandelten Massenszenen des ersten und dritten Aktes Stürme der Begeisterung erweckten. Schädlich für den dramatischen Gesamteindruck war der zwar philosophisch notwendige, epilogartige letzte Akt, der sich aber nach der großen Spannung der letzten Szene des dritten Aktes als Ermüdung fühlbar macht. Sein jüngstes in Deutschland aufgeführtes Drama »Thora Parsberg« hatte wenig Erfolg. Genannt sei aus dieser letzten Periode der Björnsonschen Entwicklung noch der Roman »Auf Gottes Wegen«, der an den nämlichen Fehlern krankt, die wir schon bei der Beurteilung der früheren Romane des Dichters gefunden haben, insbesondere dem Breitwerden der Reflexion. – Auch lyrisch hat sich Björnson versucht. Eine Sammlung seiner Gedichte erschien 1890 unter dem Titel »Digte og Sange«, die sich durch Formschönheiten auszeichnet. Erwähnt sei endlich noch eine große Anzahl von Broschüren und Flugschriften, die er über politische und religiöse Fragen veröffentlicht hat. Sie entstanden im Anschlusse an seine politische Tätigkeit, die er nach seiner Rückkehr von Paris in sehr reger Weise entfaltete. Eine demokratisch fühlende Natur, hat er seine ausgezeichnete Beredsamkeit oft in den Dienst der freiheitlich Gesinnten gestellt und der politischen Entwicklung seines Vaterlandes gute Dienste geleistet. Die jüngst errungene Selbständigkeit des Staates Norwegen ist nicht zum wenigsten sein Werk. Auch in religiösen Fragen, wo er gleichfalls auf der äußersten Linken steht, hat er oft das Wort ergriffen. Neben den vielen Einzelübersetzungen Björnsonscher Werke, die wir bereits erwähnt haben, gibt es noch eine Anzahl gut gearbeiteter Anthologien, auf die aufmerksam gemacht werden muß. Neben der Auswahl von Erzählungen und Dramen, die in Reclams Universalbibliothek erschienen, sollen die von Helms besorgte Auswahl der »Dorfgeschichten« und Lobedanz' »Bauernnovellen« im ersten Bande der Meyerschen Ausgabe der Werke Björnsons vor allen genannt sein. Der zweite Band der genannten Ausgabe bringt »Hulde«, »Zwischen den Schlachten« und die Trilogie »König Sigurd«. Heute schon gibt es über Björnson eine ziemlich ausgedehnte Literatur. Unter seinen geistreichsten Beurteilern ist Georg Brandes, der in seinem kritischen Werke »Moderne Geister« 1882 über Björnson spricht, besonders zu erwähnen.
V. H.