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Bernard Shaw. Wollte man über Bernard Shaw (geb. 1869 in Irland, lebt in London), den englischen Skeptiker, zu einem umfassenden Urteil gelangen, so müßte man seine Produktion aus zwei Perspektiven betrachten, aus einer rein künstlerisch-technischen und aus der ethischen. Was die erstere betrifft, so hätte man zu untersuchen, mit welchen Mitteln Shaw seine dramatischen Wirkungen erreicht. Er hat eine ganz eigene, seltsame Art, man möchte sagen: mit epischen Mitteln arbeitet er. Wie in Deutschland Halbe und andere ihre Helden szenisch erklären zu müssen glaubten, wie sie mit Schilderungen der Physiognomie und der Gebärden nicht sparten, so auch Shaw, bei dem jedes Wimperzucken einer Person zum dramatischen Apparat gehört. Indem er auf diese Weise den Dialog sozusagen mit Randbemerkungen versieht, füllt er die Lücken eines im wesentlichen skizzenhaften Aufbaus. Damit sei jedoch nicht behauptet, daß es sich hier um ein unbeholfenes Mittelchen, um ein Manko des dramatischen Könnens handelt; im Gegenteil, es ist seine Art, sein innerstes Wesen als Dichter gipfelt darin, und er erreicht glänzende psychologische Wirkungen. Wie fast keinem zeitgenössischen Dramatiker wird es ihm möglich, seine Gestalten vor dem Zuhörer zu entschleiern, sie von den Schlacken ihres Gebärdenspiels zu reinigen. Fast alle seine Menschen, Napoleon wie der Sergius oder das Schreibfräulein Proserpina, sind vor das Tribunal des grausamen Skeptikers gestellt, der sie Schritt für Schritt beobachten läßt, um am Schlusse Gericht über sie zu sprechen, ihre Lächerlichkeiten zu enthüllen, sie als Poseure zu verurteilen. Die Wahrhaftigkeit dieses satirischen Gerichts bedeutet das Sittliche in seiner Weltanschauung. Von Shaws dramatischen Werken hatten bisher »Candida«, »Der Schlachtenlenker«, »Ein Teufelskerl« und »Helden« in Deutschland nachhaltigen Erfolg.
V. H.