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Selma Lagerlöf (1858 in Upsala geb., lebt in Stockholm) hat sich wie ihre beiden großen nördlichen Landsleute, Ibsen und Björnson, rasch das Ehrenbürgerrecht in Deutschland erworben. Seit dem Erscheinen ihres großen Romans »Gösta Berling« gehört sie zu den unseren. Ich möchte das christliche Romantik nennen, was diesem Werk Kolorit und Stimmung gegeben hat, was seine Gestalten, insbesondere den Helden Gösta, zu übermenschlichen Typen gemacht hat. Es ist die Kunst einer ganzen Kultur, die sich in dem Buche aufgespeichert hat und es zu einem »document humain« emporwachsen ließ. Wie seltsam, daß gerade eine Frau es ist, die so viel Kraft und Festigkeit der inneren Form mit Geist und Temperament des Inhaltes zu verbinden wußte und das mit einer Ursprünglichkeit, die uns für die Qualitäten des Genies charakteristisch ist. Eine genialere Frau hatte die Weltliteratur seit George Sand nicht mehr aufzuweisen. Man möge nicht etwa nach Gemeinsamkeiten dieser beiden suchen, der Vergleich ist nur äußerlich berechtigt. Und man kann sagen, daß gerade der Gegensatz dessen, was die große Französin den Geistesheroen ihres Landes beigesellt, in Selma Lagerlöf den Gipfel der Kunst erreicht hat. Ihre Genialität ist auf gesünderer Grundlage gewachsen, es fehlt das maskuline Element und der überreizte Rousseauismus der Sand; sie ist ganz Weib, ihr Empfinden ist ganz weiblich, gesund weiblich, übermenschlich weiblich. Die Vorzüge, die »Gösta Berling« in so reicher Fülle besitzt, finden sich auch in den anderen Erzählungen Selma Lagerlöfs wieder. Sie veröffentlichte zahlreiche Sammlungen, die alle ins Deutsche übertragen wurden, unter anderem: »Die Königinnen von Kungahälla«, »Eine Herrenhofsage«, besonders aber das zweibändige »Jerusalem« (I. »In Delarne«, II. »Im heiligen Land«). Der ruhige, feierliche Fluß der Sprache und die anscheinend so anspruchslose Art, in der Selma Lagerlöf die tiefsten Dinge und größten Gedanken vorzutragen weiß, haben auch ihre »Christuslegenden« zu einem der seltsamsten und stimmungsvollsten Bücher der Weltliteratur gemacht. Wirklichkeit und Wunder sind hier mit einem innigen Zauberbande aneinander gekettet und in eine Sphäre höchster künstlerischer Abgeschlossenheit gerückt.
Dr. H. E.