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Arno Holz. Unter denen, die der neuen Richtung zum Siege verhalfen, ist Arno Holz das stärkste Temperament. Er ging wie kein anderer konsequent seinen Überzeugungen nach und focht theoretisch und praktisch gegen die Reaktion. Schon in jungen Jahren, als Neunzehnjähriger, veröffentlichte er die ersten Früchte seiner Muse und widmete sie – – – Julius Wolf, als dessen begeisterten Verehrer er sich wie alle echten Geibelianer offen bekannte. Alle Süßlichkeit, alle Weichlichkeit dieses blassen Formalisten findet sich in diesen Versen. Auch die zweite Sammlung, in der die Herweghpolterei den Grundton abgab, arbeitet noch ganz mit übernommenen Mitteln. Aber zwischen den bombastischen Schönrednereien dieser sozialen Lyrik begann bereits ein Akkord durchzuklingen, der mit den Kraftrhythmen der späteren künstlerischen Revolution gewisse Obertöne gemeinsam hatte. Dieses »Buch der Zeit« ließ den künftigen Artisten bereits im Keime erkennen.
Den ersten Anstoß zum Bruche mit den alten Traditionen gab die literarische Bekanntschaft mit Zola und Tolstoi. Der Franzose sowohl wie der Russe waren keine Fremden mehr in Deutschland; längst hatten die gärenden Geister die Bedeutung der Genannten, wenn auch nicht ganz klar, so doch im Prinzip erfaßt. Da kam der junge Holz nach Berlin, wo sich das neue Evangelium immer entschiedener durchzusetzen begann. Mit raschem und sicherem Griff erfaßte er die Zügel der Bewegung, und bald hatte er in Johannes Schlaf einen eifrigen Mitstrebenden entdeckt. Ihre ersten gemeinsamen Werke »Papierene Passion« und »Papa Hamlet« fanden sofort Beachtung, ebenso wie das Drama »Familie Selicke«, die alle drei unter dem Titel »Neue Gleise« zusammengefaßt und in einem gemeinsamen Bande veröffentlicht wurden. Das Buch ist gleichsam der Ausgangspunkt einer ganzen Literaturperiode geworden. Trotz der Unmöglichkeiten und Übertreibungen blieb es nicht nur das älteste, sondern auch das beste Zeugnis des konsequenten Naturalismus. Es hatte bei allen Irrtümern künstlerische Qualitäten. Die Novellen sowohl wie das Drama haben Szenen von suggestiver Kraft, großgeschaute Momente. Aus Wust und Unklarheit löst sich doch eine bewußte Technik und stellenweise ein frappierender Glanz der Charakteristik. Erinnern wir uns beispielsweise an das Bild des großen »Thienwiebel«, an die reizende, kokette Ophelia, an das mörderische Geschrei des kleinen Fortinbras! Da gibt es eine Menge interessanter Farbenflecke und Reflexe, die in ihrer Buntheit oft an Zolas meisterhafte Schilderungen erinnern.
Gewiß hatte Holz direkt von Zola gelernt, aber sein Streben ging über Zola hinaus. Er wollte Anschluß an die Natur, ohne jedes individualisierende Moment. In seinem Aufsatz »Zola als Theoretiker« sehen wir ihn bereits in hellem Gegensatz mit den Tendenzen des Franzosen. »Exakte Reproduktion der Natur«, das war künftig die Losung. So erfolgte seine Berührung mit den Skandinaviern, voran mit Arne Garborg, die in der vordersten Reihe »der Konsequenten« marschierten. Bekannt sind die Worte, die der sonst so skeptische Theodor Fontane beim Erscheinen der »Familie Selicke« schrieb: »Hier scheiden sich die Wege, hier trennt sich alt und neu«. Aber auch die Theoretiker beschäftigte das neue Licht. Entrüstet rief die Reaktion Zeter; ein gewisser Avonianus schrieb in seiner »Dramatischen Handwerkslehre«: »Die bis zur Frechheit rücksichtslose Verleugnung aller technischen Regeln sei empörend«. Andere fanden die große Erregung über die extreme Originalität der jungen Dramatiker überflüssig und wiesen auf die Technik des Lokalstückes hin, die hier mit einer Übertragung auf tragische Stoffe benutzt war. Alle diese Ergüsse konnten jedoch den Erfolg des Stückes nicht aufhalten. Aber nicht mehr lange sollte die gemeinsame Arbeit des Zweigestirnes Holz und Schlaf fortdauern. Eine schwache Nachahmung von Wilhelm Busch war ihre letzte gemeinsame Arbeit. Schlaf blieb zunächst Dramatiker, Holz treffen wir bald wieder auf seinem ursprünglichen Gebiete, der Lyrik. Bei diesem neuen Versuche, die modernen Prinzipien zu verallgemeinern, werden wir leicht an die Malerei der letzten Jahre erinnert, vor allem an Liebermann. Dieser Vergleich hat auch des öfteren Ausdruck gefunden, so ungerecht er dem freimütigen Beurteiler auf den ersten Blick erscheint. – Holz hat in der Lyrik die neue Technik verinnerlicht und nicht eben glatt übertragen. Ja, er hat uns auch hier einen Schritt vorwärts gebracht, indem er der Phonetik und dem inneren Rhythmus größere Beachtung schenkte. Seine Polemik gegen den Reim hatte allerdings viel Maniriertes an sich. Selbst ein Meister des Reimes, wie er später in der parodistischen »Blechschmiede« bewies, glaubte er sich dieses Recht eines Angriffs auf ein so wichtiges Mittel des poetischen Ausdruckes anmaßen zu dürfen, ohne den Vorwurf eines mangelhaften musikalischen Könnens auf sich laden zu müssen. Man muß jedoch bei der Auswahl aus seinem »Phantasus«, der für die neuen metrischen Grundsätze bezeichnend ist, sehr vorsichtig sein. Neben vielem Schönen und Klangvollen finden sich Mißtöne der Manier und Übertriebenheiten aller Art, die das rhythmische Gefühl oft genug verletzen. In neuester Zeit hat sich Holz in archaisierenden Versen versucht, die mit Meisterschaft den Ton des siebzehnten Jahrhunderts treffen. Es erschienen bisher zwei Sammlungen, »Lieder auf einer alten Laute« und »Dafnis, Freß-, Sauf- und Venuslieder«, die den alten Formmeister so recht erkennen lassen und ganz entzückende Lieder enthalten. Dagegen ist sein erneuter Versuch mit dem Drama als völlig verfehlt zu betrachten, obwohl sein äußerlicher Erfolg, den er 1904 mit dem in Gemeinschaft mit Jerschte geschriebenen »Traumulus« hatte, ein großer war.
V. H.